Perugino vollendete Raffael in Perugia
Eine Entdeckung!
Der Künstler als Unternehmer ist in Verruf geraten.
Perugino war der erste Unternehmer im Bereich der bildenden Künste – behauptet die Kunstwissenschaft. Er betrieb gleichzeitig zwei Werkstätten, und zwar in Perugia und Florenz. In seiner Florentiner Werkstatt bildete er unter anderem auch den jungen Raffael aus.
Das die künstlerische Produktion in Werkstattform in Verruf geraten ist, hat wohl zwei Gründe:
Einerseits steht es dem kleinbürgerlichen Bild des Künstlers als Bohemien im Wege. Sah und sieht dieser – in die Zwänge der gesellschaftlichen Konventionen eingebundene Bürger – doch das Leben eines Künstlers als Gegenentwurf seines eigenen Daseins. Diese Sicht ist oft nicht nur ein Trugbild, sondern wird auch von vielen angehenden Künstlern falsch verstanden, da die Lebensform nichts mit der künstlerischen Leistung zu tun hat, sondern lediglich eine sozialgeschichtliche Kategorie darstellt.
Für den Bürger ein Sehnsuchtsbild – für den Künstler eine probate Ausrede bei Erfolglosigkeit und für die Vermarkter und Nutznießer des Kunstbetriebs oft eine Begründung für erbrachte Leistungen nicht oder nicht angemessen zu bezahlen.
Andererseits hat die heutige Werkstattproduktion den Makel, Artefakte kurzer Halbwertzeit – den eines Münsterkäses zum Beispiel – für einen aus den Fugen geratenen und auf Qualität ohnehin nicht achtenden Kunstmarkt herzustellen. Mir scheint, dass die Konsumenten von Kunst insgesamt ungebildeter sind als von 400 oder 600 Jahren. Da macht es auch nichts aus, wenn man auf den Mond fliegen kann oder die Welt in die Luft zu sprengen vermag. Das kulturelle Niveau der breiten Bevölkerung hat sich nicht weiterentwickelt.
Obwohl einem auffällt, dass die Meister der Renaissance häufig Motive in recht ähnlicher Art wiederholten – um nicht zu sagen reproduzierten – sollte man dies nicht fehlverstehen und als Fantasielosigkeit werten. Ein häufig wiederholtes Motiv wurde wertgeschätzt und von den Auftraggebern so verlangt. Heutzutage kann man ähnlich Serielles arbeiten, auch häufig beobachten. Der Markt verlangt danach und es wird geliefert. Der Kunde möchte einen Gerhard Richter kaufen, der wie ein Gerhard Richter aussieht.
Die Kunstkennerschaft war zu Zeiten der Raffaels und Botticellis jedoch eine andere. Mit Letzterem, also Botticelli, traf Perugino während seiner Ausbildung in der Werkstatt des Verrocchio in Florenz zusammen und wurde als „Pietro Perugino, Schüler des Botticello“ bezeichnet. Wenn man dies weiß, sieht man den Einfuß des Lehrers auch in seinen Werken. Den feinen klar gezeichneten Strich gab Perugino an Raffael weiter und dieser an Jean-Auguste-Dominique Ingres und dieser an Picasso. Wobei anzumerken ist das der lange Name des Herrn Ingres zur neuzeitlichen Vermarktung nicht taugt 😉
Perugino ist bei Weitem nicht so bekannt geworden wie Raffael aber überlebte den mit 37 Jahren Gestorbenen und vollendete dessen Fresko in der Capella di San Severo in Perugia.
Solche verborgenen Meisterwerke findet man in den Gassen und an deren Ende, wenn man aufmerksam ist.
Betritt man die kleine Kapelle, nachdem man einen unbedeutenden Obolus entrichtet hat, ist man allein mit der Kunst und kann Zwiesprache mit ihr halten.
Der Schüler hat den Meister bei Weitem übertroffen und doch – Perugino vollendete Raffael.
Die Statuen gleichenden Figuren im unteren Teil des Freskos sind von Peruginos Hand und scheinen einem anderen Jahrhundert zu entstammen. Raffaels Komposition ist dynamischer. Gleichwohl bin ich mir bei diesem Fresko nicht sicher, wie viel im Original noch vorhanden ist und welche Partien von Restauratoren – zum Teil dilettantisch – überarbeitet wurden. Ich glaube, es wurde vieles zerstört. Ganz im Gegensatz zu seinem Fresko in der Kirche San Sebastiano zu Panicale, wo mir das Fresko frisch wie am ersten Tag erschien, ist jenes in Perugia schon arg in die Tage gekommen und durch unsachgemäße Behandlung oder die Einwirkung von Erdbeben zerstört.