Jahresrückblick 2017 mit Speisekarte
Jedes Jahr das Gleiche. Man weiß, es bringt nichts, und dennoch werden im unbewussten Bereich des Denkens Vorsätze gemacht.
Jedes Jahr wieder der Jahresrückblick 2017 mit Speisekarte. Völlig sinnlos. Die Völlerei muss aufhören. Der Gänseschmalz kommt einen schon zu den Ohren raus. Der Biss in einen Lebkuchen verursacht einen Würgereiz und rauchen ist ohnehin schädlich.
Also besinnt man sich der Hochkultur. Italiens Hochkultur des Kochens. Der Cucina Povera.
Mit dieser einfachen, bäuerlichen, italienischen Küche kann man mit Genuss für all die vergangenen Sünden büßen. Ob man mit einer Nudeltorte den angefressenen Speck los wird, glaube ich nicht. In der zweiten Stufe muss da eine radikalere Lösung her.
So geht man am zweiten Tag des angebrochenen Jahres in den Supermarkt und kehrt gedrückt und mit leeren Taschen heim.
Lauch und ein wenig Petersilie, Eier und kein Speck. Pasta ist im Schrank.
- Stolz,
- Ruhmsucht,
- geistliche Faulheit,
- Zorn,
- Traurigkeit,
- Habgier,
- Völlerei,
- Unkeuschheit.
Da sind sie – unsere Sünden. Euagios Pontikos hat diese für uns – drei hundert Jahre nach Christi Geburt – aufgezeichnet. Bislang ist keine der Sünden getilgt oder gar aus unserem Leben verschwunden. Wir pflegen sie auf höchstem Niveau und so mancher bringt es fertig, alle auf einmal in sich zu vereinen. Diese Menschen werden bewundert und nicht selten zu Führern ernannt und in Sänften durchs Leben getragen.
Neid und Missgunst sind nicht nur Sünden. Diese Eigenschaften bringen auch nichts.
Lassen sich aber nicht ganz verhindern. Ein Fotograf hat es zum Beispiel viel leichter als ich es als Maler habe.
Er drückt auf den Auslöser und hat schon ein Bild im Kasten. Unsereins sitzt nicht nur Tage sonder Wochen vor der Leinwand um ein wie auch immer geartetes Bild zu produzieren. Mein Freund Horst Kistner nagelt ein Zimmer zusammen und setzt, stellt oder legt ein Model da hinein. Drückt ab und hat ein Bild. Und doch sind wir beide große Lügner – wie es schon Picasso beschrieben hat.
„Wir wissen alle, daß Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. Der Künstler muß wissen, auf welche Art er die anderen von der Wahrhaftigkeit seiner Lügen überzeugen kann.“ (1923)
Achtsamkeit für die Umgebung und die darin befindlichen Menschen ist wichtig auch dies gehört zu dem Jahresrückblick 2017 mit Speisekarte. Denn oft sind wir blind was das Naheliegende betrifft.
Rasen durch das Leben und schauen weder links noch rechts. Staunen oft nicht schlecht, wenn kleine Menschen aus Asien in Rudeln auftreten und das bewundern, was wir täglich sehen doch oft nicht erkennen. Umgekehrt reisen wir tausende von Meilen, um das Gleiche bei unseren Besuchen zu tun.
Wer einfach mal vereisen möchte und doch zu Hause schlafen, dem sei angeraten, nicht weiter als dreißig oder vierzig Kilometer zurückzulegen. Ökologisch korrekt lässt sich dies auch gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln tun. Zur Not nimmt man das Rad.
Loffenau im Murgtal ist zum Beispiel ganz schlecht mit dem Flugzeug zu erreichen. In diesem Jahr werde ich nochmals da hinreisen. Ganz am Ende meines Besuchs war ich in der Dorfkirche und habe Fresken aus dem 15. Jahrhundert entdeckt. Darüber muss ich natürlich noch berichten. Als Volkskulturkorrespondent und honorarfrei versteht sich.
Und schon wieder ist die Spargelzeit da. Sie kennen das sicherlich. Man wartet ein Jahr darauf und am Ende ist es einem dann wieder zu viel.
Man kann den Spargel einfach nicht mehr sehen. In vielerlei Beziehung funktionieren wir so. Erst wollen wir. Dann haben wir. Und dann kommt der Überdruss. Spargel hat seine Vegetationsperiode. Und das ist auch gut so.
Früher war das anders. Hätte ich zum Beispiel damals in der DDR den Spargel für alle erfunden, wäre mir der Nationalpreis erster Klasse sicher gewesen.
Bei uns nannte sich der Spargel Schwarzwurzel und den gab es im Winter. Spargel war ungefähr so was wie Westgeld. Nur noch seltener. Alle träumten davon. Nur Erich Honecker bekam welchen. Denn Spargel wurde in Beelitz angebaut und das liegt nahe an Berlin. Die Arbeiterklasse hatte mit den Radieschen genug zu tun.
Ich habe heute andere Probleme. Muss mir jedes Jahr neue Spargelrezepte ausdenken. O.K. es gibt Schlimmeres.
Wenn Sie jetzt denken, ich hätte nichts zu arbeiten, täuschen Sie sich aber gewaltig. Die härteste Arbeit ist für mich eine Vernissage und davon hatte ich mehrere in 2017. Ich ertrage das einfach nicht mehr. Ich finde es unendlich affig sich neben seine Arbeiten zu stellen und die immer gleichen Fragen zu beantworten.
„Wie lange haben sie an dem Bild gemalt? Sind die Frauen von einem Foto abgezeichnet? Noch schlimmer ist es: Wissen Sie ich male nämlich auch.“ Bla, bla, bla. Einfach grausig!
Ein Trost sind mir die Wurstbuden. Sie müssen wissen, eigentlich ist mein Traumberuf Wurstbudenforscher.
Dieser Beruf, ist wichtiger als der eines Künstlers. Nicht nur, weil es viel weniger Wurstbudenforscher als Künstler gibt, sondern weil die Wurstbude am Aussterben ist. Ein Kulturgut! Am Aussterben und es merkt keiner.
Denn erst waren die Wurstbuden da und dann kamen die Kathedralen der Welt dazu. Ohne Wurstbuden keine Kirchen. Ohne Wurstbuden keine CDU. Denn das Christentum hätte sich ohne Wurstbuden schwerlich durchsetzen können, wie die älteste noch erhaltene Wurstbude Deutschlands beweist..
Also ist nicht meine Ausstellung in Berlin wichtig gewesen, sondern die von mir analysierte Currywurstbude am Savignyplatz.
Zu der allgemeinen Lebenszeit gehört auch die Urlaubszeit, denn auch dies thematisiert der Jahresrückblick 2017 mit Speisekarte.
Eigentlich bin ich nicht so der typische Urlauber. Aber manchmal muss man sich auch dafür Zeit nehmen. Man kann als Urlauber, oder Vertreter richtig was erleben. Zumal wenn man leichtfertig ein Automobil aus dem VW-Konzern gekauft hat.
Der Dieselbetrug war absehbar und das mein Auto zusätzlich vom Dach her überflutet wurde – trotz geschlossenem Schiebedach – ein Kunstfehler. Das jedoch die vormontierten Reifen, wohlgemerkt Hochgeschwindigkeitsmodelle, von einer Billigmarke stammten und mir bei gemäßigter Autobahnfahrt regelrecht um die Ohren flogen, ist dann nicht mehr spaßig, war aber der Grund für eine Entdeckung.
Denn wer besucht freiwillig Riom? Man hat noch nie etwas von diesem Städtchen mitten in der Region Auvergne-Rhône-Alpes gehört.
Ich jedenfalls nicht und auch nicht die, welche ich als Frankreichkenner kenne. Und wie Sie mich kennen, will ich immer neue Kunst kennenlernen. Es gibt in Riom zwei Kirchen und die waren jeweils einen Besuch wert. Die Basilika Saint-Amable in ordentlichem und die Eglise Notre-Dame-du-Marthuret in einem äußerst desolaten Zustand aber vermutlich mit den besseren Kunstwerken. Wenn man sie nur in der Dunkelheit hätte besser sehen können.
Für diese Entdeckung haben wir dann auch gern drei Nächte in einem Wohncontainer eines Motels verbracht. Für die Kunst stirbt man glatt mal eben, wenn es während der Leidenszeit Wein und gutes Essen gibt.
Wenn Sie jetzt denken, ich würde gar nicht mehr arbeiten, irren Sie gewaltig. Ich habe 2017 sogar ein Bild gemalt und das kann ich beweisen.
Da ich sehr konsequent bis zur Selbstaufgabe bin, habe ich mich nach über dreißig Jahren dazu durchgerungen, meine Arbeit Schritt für Schritt zu dokumentieren. Nicht nur weil ich immer gefragt werde, „wie lange dauert es, bis Sie ein Bild fertiggestellt haben“, sondern auch für meine jungen Kollegen, die sich zwar häufig Maler nennen aber selbst nach fünfzehn Semestern nicht wissen, wie man ein Bild richtig malt. In der traditionellen Technik meine ich. So wie Cranach zum Beispiel.
Ich weiß jedoch nicht, wie ich meine Arbeit kalkulieren soll um die Preisvorstellungen so einiger Zeitgenossen zu befriedigen. Diese Geizkragen können sich dann ja selbst ein Bild malen. Oder bei IKEA einen Kunstdruck kaufen.
Hiermit bin ich jetzt auch meinem Bildungsauftrag nachgekommen und das Jahr 2017 neigt sich dem Ende zu.
Wer die Spargelsaison mitmacht, muss auch die herbstliche Kürbisorgie ertragen und in den Jahresrückblick 2017 mit Speisekarte nicht unerwähnt lassen.
Vieles wird ja ignoriert, wenn nicht gar missachtet. So ergeht es Künstlern und der Kunst und so erging es auch dem Kürbis. Vor zwanzig Jahren war der Kürbis noch ein no go. Arme Bauern im Mittelalter vielleicht oder Hungernde in den Nachkriegszeiten – die haben so etwas gegessen. Aber die gute Küche – nöö nie.
Und heute? Getrüffeltes Schaumspargelsüppchen vom Hokkaidokürbis mit Venusmuschelcarpaccio. Es ist immer dasselbe. Erst sind die Armen dran und dann fressen es die Reichen weg. Mit dem Kaviar war das genau so. Die Wohlhabenden verzehrten das Fleisch des Störs und den Fischern blieben die Eier. Dann muss irgendein leichtsinniger Typ davon genascht haben und schon verkehrte sich alles ins Gegenteil.
Da ich vorwiegend faul bin, fülle ich am liebsten den Kürbis und stecke ihn einfach in den Ofen. So hat der Zeit zum Garen und ich kann schon mal den Wein probieren.
Ohne Aufregung geht kein Jahr zu Ende. Dieses nicht und das Kommende auch nicht. Eventuell ja im kommenden Jahresrückblick 2017 mit Speisekarte mehr dazu.
Irgendwie war ich mal in Dresden. Fand keine Wurstbude über die zu berichten sich lohnte und ging in das Museum, welches mein Schicksal war. Die Galerie der Neuen Meister in Dresden. Die Zeit war leider nicht an ihm vorbeigegangen und eine inkompetente Provinzkunstvereinsleiterin Direktorin. Sie dachte: Huch hübsch – jetzt mach ich mal was Neues. Gründlich schief gegangen. Thema verfehlt und nicht begriffen, was ein Museum ist. Sammeln, bewahren und forschen. Grundstudium Kunstgeschichte erste Vorlesung. Nicht zerreißen, randalieren und und sich beliebig ausleben. Ein Museum ist kein Ponyhof! Ein bisschen Demut vor der Kunst sollte man schon haben, wenn man sich entschlossen hat ihr zu dienen. Nun ist „mein“ Museum – in dem ich das sehen lernte – ein Museum der neuen Monster.
Ich werde auch 2018 nicht bequem, auch wenn das Einige unbequem finden. Aber eigentlich geht es mir um die Wurst und deren Buden.