Das größte Instrument der Welt
Der anmaßende Mensch verliert immer gegen die Natur. Und das ist auch gut so!
Natürlich möchte (fast) jeder der Größte sein, dass Größte haben oder auch nur einen großen SUV besitzen.
So groß die größten Orgeln auch sein mögen, das größte Instrument der Welt ist und bleibt die uns umgebende Atmosphäre.
Freilich versucht sich der Mensch an des Donners Klang und möchte diesen zumindest nachahmen. Also baut er Donnertrommeln. Mit Vierzehneuroneunzig sind Sie dabei und können ein wenig donnern. Ganz bescheiden in Ihrem Wohnzimmer oder auch im Keller.
Wir Erdlinge laufen erhobenen Hauptes auf der Erde herum, verwüsten die Landschaft und werden klein und demütig, sobald ein Unwetter aufzieht.
Jeder kennt die Gefühle, die nicht nur Gewitter in uns auslösen. Nicht umsonst. Schwere Wolken ziehen auf und künden von Unheil. Das Gewicht der Wolken und Leonardos Malerei haben natürlich auch viel miteinander zu tun. Das Ende der Welt kommt nicht bei Sonnenschein.
Die Künste sind eine Fortführung der Natur mit anderen Mitteln, also messen sie sich an ihr. Klänge können Nebel assoziieren und melancholische Gefühle in uns auslösen.
Flötentöne, die die Vogelstimmen des Frühlings imitieren, sind in der Lage uns freudig zu stimmen und die Schwermut des Winters zu vertreiben.
Die Silbermannorgel im Dom zu Freiberg – und nicht nur die – kann donnern und das Kirchenschiff schier erschüttern, aber auch leise hauchen und fröhlich zwitschern. Denn die unvorstellbar erscheinenden 2.674 Pfeifen und 44 Register, die zur Zeit ihrer Entstehung als das größte Instrument der Welt bezeichnete Orgel besitzt, sind in der Lage, alle Orchester der Welt in den Schatten zu stellen.
Der Organist und auch die Organistin beherrschen den Klangraum des Freiberger Doms mit bloßen Händen, die mehrere Manuale bespielen.
Und die Füße werden auch benötigt. Denn diese bedienen die Pedale. Es sind Register zu öffnen und zu schließen. Der Pilot eines Jumbojets hätte Probleme und würde kleinlaut von dannen ziehen und sein Glück in den Lüften über den Wolken suchen.
Dieses grandiose Freiberger Instrument ist über 300 Jahre alt und lediglich ihre „Stimmung“ wurde über die Jahre leicht verändert. Sagt man.
Natürlich, so die Freiberger, ist ihre Orgel eine der wertvollsten, wenn schon nicht das größte Instrument der Welt. Wegen ihres Preises und der aufwendigen Produktion wurden derartiger Instrumente natürlich durch Sachverständige abgenommen. Einer dieser war Johann Sebastian Bach, der nicht nur als Komponist, sondern auch als Organist hoch angesehen war. Hinter vorgehaltener Hand berichtete mir ein Kenner, dass die Silbermannorgeln nicht zu seinen Favoriten zählten, da jene einen „zu französischen Klang“ hätten. Belassen wir die Behauptung im Bereich der Spekulation. Allein dies der deutsch-französischen Freundschaft wegen.

Beim Orgelspiel im Freiberger Dom war ich vom Donner gerührt, obwohl diese Orgel nicht das größte Instrument der Welt ist. Und trotzdem hat die zweite von Silbermann geschaffene Orgel die Grundfläche eines Einfamilienhauses von 100 Quadratmetern und nimmt auch dessen Raum ein. In Kubikmetern bemessen.
Mir scheint das das Bonmot der Maler „Warst du in Italien, so kannst du auch gut malien“ auf die Orgelbauer in ähnlicher Weise übertragbar ist. Im Falle Silbermanns auf Frankreich. Denn dies gilt als ein Paradies für Orgelbauer. In Frankreich gibt es bis in unsre Zeit 65 Orgelbauwerkstätten und das gemeinsame Ausbildungszentrum befindet sich im elsässischen Eschau.
Von 1702 bis 1710 wurde Silbermann in der Straßburger Werkstatt seines Bruders ausgebildet. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass Gottfried seinem Bruder versprach, nach der Ausbildung das Elsass zu verlassen, um keine Konkurrenz für ihn darzustellen.
Also kehrte er nach den Lehrjahren nach Sachsen zurück. Außerdem war es ein Glück für Freiberg, dass seine Bewerbung für einen Orgelbau in Leipzig abgelehnt wurde. So blieb ihm nichts anderes übrig, als vorerst in seine Heimatstadt Frauenstein zurückzukehren und dort sein Gesellenstück abzuliefern. Danach gründete Gottfried seine Orgelbauwerkstatt in Freiberg und schon sein zweites Orgelprojekt sollte die „Weltbeste“ Orgel werden. Diese Silbermannorgel besaß nun die Silberstadt. Denn Silber brauchte es viel, um Silbermann bezahlen zu können. Er war nicht nur ein begnadeter Orgelbauer, sondern auch ein cleverer Geschäftsmann.
Das größte Instrument der Welt war diese Orgel zu seiner Zeit bestimmt – oder eines der größten. Je nachdem.
Letztendlich ist es auch egal. Da Silbermann im Elsass von seinem älteren Bruder Andreas ausgebildet wurde, brachte er naturgemäß den speziell französischen Klang seiner Orgeln mit in das Erzgebirge und nach Sachsen. Johann Sebastian Bach soll von Silbermann eine flexiblere Stimmung gefordert haben.
Aber der mit dem Titel königlicher Hof- und Land-Orgel-Bauer ausgezeichnete, ließ sich von Bach nicht beeinflussen.
So jedenfalls die Überlieferung. Evidenzbasiert ist diese Aussage jedoch nicht, aber nachvollziehbar. Da Bach nicht der Bach war, wie wir heute Bach kennen und lieben, ist dies wahrscheinlich. Bach war lediglich einer von vielen und in Leipzig nicht die erste Wahl. Der Stadtrat favorisierte Georg Philipp Telemann und Bach war nur zweite Wahl.
Silbermann hat ca. 50 Orgeln gebaut. Davon sind derzeit noch 31 erhalten. Es gibt kleine und große, umgebaute und erweiterte Exemplare wie die in der St. Kilianskirche in Bad Lausick, die Sie in meinem Beitrag „Die Kunst vor der Kunst“ betrachten können.
Weitere Beiträge zu Freiberg auf meinem Blog: Die Grablege im Freiberger Dom