Die Kunst vor der Kunst.
Oder was uns ein altes Gemäuer erzählen kann.
Meine Überschrift zu den folgenden Gedanken – die Kunst vor der Kunst – mag widersinnig erscheinen.
Doch lesen Sie selbst, was es mit dem Begriff Kunst auf sich hat. Natürlich wie immer aus angelesenem, gesehenen und den daraus resultierenden Gedanken. Letztendlich also eine Form der Gedankenkunst, denn eindeutig kann ich nicht sein und von Interessen und Zwecken (Karl Popper), wie die Wissenschaft so oft, lass ich mich schon gar nicht leiten.
Der Grundriss entspricht dem einer klassischen Kreuzbasilika. Dabei bildet das Querschiff die Form eines Kreuzes. Den Namen St. Kilian brachten die Siedler aus ihrer fränkischen Heimat mit.
Bei der Erkundung der Sächsischen und Sachsen Anhalter Bäder besuchten wir auch Bad Lausick.
Diese Bäderstadt ist eine zurückhaltende. Nicht spektakulär, denn sie beherbergt anstelle eines Casinos mehrere solide Rehakliniken und das überregional bekannte Kur- und Freizeitbad Riff mit zu hohem Energieverbrauch. Nicht zu vergessen ist die Fleischerei mit großer Tradition, in der man ein saftiges Schnitzel im Brötchen bekommt, um sich für weitere Erkundungen zu stärken. Denn es muß nicht immer Bratwurst sein.
Aber, wie Sie wissen, treibt mich neben meiner Tätigkeit als Bratwurst- und Imbissbudenforscher auch die Kunst um.
Dies bedeutet, dass, wenn ich eine Kirche sehe, muss ich hinein.
Zu meiner Zeit als Messdiener gezwungenermaßen – heute gern. Die eher unscheinbare St. Kilianskirche in Bad Lausick hatte es dann doch in sich, denn sie gehört zu den ältesten in ihrer originalen Form erhaltenen in Sachsen. Um so unverständlicher ist es, dass diese Kirche nicht im Verzeichnis der Straße der Romanik zu finden ist. Andererseits ist dies auch gut, denn Entdeckungen zu machen, die alle schon entdeckt haben, ist nicht nur langweilig, sondern bringt auch keine Erkenntnis.
In der St. Kilianskirche taten über die Jahre mehrere Orgeln ihren Dienst. Die regelmäßigen Stadtbrände im Mittelalter vernichteten mindestens zwei davon.
Andere Orgeln wurden ausgebaut, bis die jetzige, die Silbermann-Trampeli-Orgel ihren Platz in der Kirche fand. Das bewegte Leben einer Kirche ist an diesem Instrument besonders gut nachzuvollziehen. Ursprünglich baute Silbermann die Orgel für eine Chemnitzer Kirche. Sie hatte ein bescheidenes Manual. Also beschloss der Gemeinderat, die Orgel zu erweitern. Letztendlich wurde die Orgel vom Orgelbauer Trampeli ausgebaut. Später verkauften die Chemnitzer die Orgel nach Aulig. Dort vergammelte das gute Stück und sie wurde aus der Kirche genommen, um sie zu restaurierten. 1958 fand sie ihren derzeitigen Platz. Der Orgelprospekt ist zurückhaltend barock.
Den unvergleichlichen Klang einer Silbermannorgel können Sie bei regelmäßigen stattfindenden Konzerten erleben.
Der Bau der St. Kilianskirche in Bad Lausick begann 1105. Damit also vor der neueren Zeitrechnung, in der menschliche Fertigkeiten oft leichtfertig als Kunst bezeichnet werden. Die Kunst vor der Kunst soll ja das Thema dieses Beitrags sein.
Denn dies, was wir heute gemeinhin unter Kunst verstehen, war im Mittelalter schlicht Handwerk. Ich muss den Einwurf „Fertigkeiten“ sogleich revidieren. Heute ist Kunst zuweilen eine Behauptung und bedarf keiner wie auch immer gearteten Fertig- oder Fähigkeiten. Außer die der Behauptung und der gekonnten Selbstdarstellung. Natürlich gibt es Gegenstände und andere durch menschliche Einwirkung entstandene „Sachen“, die ein hohes Können verraten und zu recht die Bezeichnung Kunst verdienen. Da möchte ich gnädig sein.
Das romanische Westportal ist natürlich ein Schmäckerchen – wie der Sachse sagt.
Nachhaltig aus dem in der Nähe gebrochenen Rochlitzer Porphyr gefertigt, ist es ein Paradestückchen der romanischen Architektur. Stilistisch ist das gute Stück ein Übergang vom Stufen- zum Säulenportal. Die, man möchte fast schön sagen, von Wind und Wetter gezeichneten Köpfe sollen die Dämonen vom Haus Gottes fernhalten. Der Gläubige betritt die Kirche und lässt die Widrigkeiten der Welt zurück. Natürlich besteht ein Dilemma. In dem Augenblick, wenn er die Kirche verlässt, sind die Dämonen wieder da. Und auch er selbst kann zu einem solchen werden.
Das Geschäftsmodell der Religionen beruht auf dem Modell der wiederkehrenden Sünde.
Die Kunst vor der Kunst war also Handwerk und hatte einen Zweck zu erfüllen.
Erst in der Renaissance entwickelt sich der Typus des Künstlers. Für Giorgio Vasari ist solch ein Mensch einer, der sein Wissen weitergibt und Neues entdeckt. Ausgehend vom Meister-Schüler Verhältnis und der darauf beruhenden handwerklichen Qualifikation entsteht die Basis für das Disegno.
Also nach Vasari: der Urgestalt oder dem Urbild jeder Naturerscheinung. Es ist: …der Vater unserer drei Künste, Malerei, Bildhauerei und Architektur entspringt dem Geist und holt aus allen Dingen ein allgemein geistiges Element [giudizio universale], gleich einer Form oder Idee aller Dinge der Natur.“ (Wikipedia)
Über den oben zu sehenden Flügelaltar im Seitenschiff ist lediglich bekannt, dass er aus dem „abgebaggerten“ Ort Blumroda bei Borna stammen soll. Also einem Stück Kunstgeschichte, welches vor dem Tod durch den Braunkohleabbau gerettet wurde.
Wir sprechen in meinem Gewerbe oft von Authentizität.
Für mich sind derartige Artefakte absolut authentisch.
Vermutlich wurde dieses Stück von einem Schreiner für die Dorfkirche seines Heimatortes mit viel Geschick und Herzblut angefertigt. Eine behutsame Säuberung könne man der Schnitzerei jedoch angedeihen lassen, um dem kleinen Flügelaltar neues Leben einzuhauchen.
Blumroda wurde bis 1957 abgebaggert. Der 1955 zerstörten Wasserturm Blumroda wurde an anderem Ort neu errichtet. Die Kirche bleibt jedoch fortan unerwähnt.
Die aus der Barockzeit stammende Kanzel ist das einzige für die St. Kilianskirche angefertigte Inventarstück, welches die Zeit überdauert hat. Sie wurde nach dem Brand von 1693 angefertigt.
Was nicht durch widrige Umstände abbrennt, wird oft von Menschenhand zerstört.
Die Kanzel galt lange als verschwunden, weil sie dick unter mehreren braunen Farbschichten als unansehnlicher Holzklotz ihr Dasein in der Kirche fristete. Vermutlich beruht der Entschluss, dieses Stück zu übertünchen auf die Bildfeindlichkeit bestimmter Kleriker.
Ähnlich wie heute bestimmte Kreise und KreisInnen die Darstellung des nackten Körpers in der bildenden Kunst verdammen, so griffen in Zeiten, in der die Kunstfreiheit noch keinen Rolle spielte, Kleriker und anderes Gesindel in die Kunstgeschichte ein. Wo liegt der Unterschied?
Die Malereien auf der Kanzel sind von einer anrührenden Natürlichkeit geprägt und vermutlich durch einen einfachen Maler ausgeführt.
Erst im Jahr der Re-Romanisierung 1954 wurden die zahlreichen Farbschichten entfernt.
Im Querschiff ist noch ein weiterer kleiner Flügelaltar zu finden.
Dieser ist eine Dauerleihgabe aus Thum im Erzgebirge. Auch dieser besticht durch seine Einfachheit. Die Malereien auf den Flügeln stellen Maria und den Täufer Johannis dar und sind offensichtlich formal grundlegend anders gestalte als die Plastik der Anna Selbdritt in der Mitte des Schreins. Ich verorte diesen kleinen Altar in der Gotik. Obwohl die plastische Gestaltung ein wenig gedrungen erscheint, so sind die gemalten Figuren in Komposition, Aufbau und Ausführung Gotisch.
Das emanzipatorische Programm des L`art pour l`art war eine große Errungenschaft.
Leider werden die meisten Errungenschaften früher oder später durch missbräuchliche Verwendung entwertet. Der Geist der „reinen Kunst“ wurde neben Literaten wie Gustave Flaubert bis hin zu Edgar Allan Poe auch von den bildenden Künstlern vertreten. Gleichwohl kann ich nicht erkennen, dass dieses Programm das Handwerk infrage stellte oder relativierte. Dennoch habe ich das Gefühl, dass unter dem Deckmantel des L`art pour l`art die Grundlagen der Kunst mehr und mehr verloren gegangen sind. Der Strich. Die Zeichnung. Der sorgsame Entwurf, ob bildnerischer oder anderer Natur scheinen nicht mehr von Belang.
Die Wertigkeit der Kunst vor der Kunst bestand in der Kunst des Individuums, das ICH vor der SACHE zurückzunehmen. In der Gegenwart geht Authentizität vor Kunst. Wenn man authentisch Kunstloses in den Umlauf bringt, wird dieses allein durch Behauptung zur Kunst.
Meine Gedanken zu den barocken Deckengemälden werde ich später mit Ihnen teilen um diese Gedanken nicht zu überfrachten..