Ein Porträt kann Bildnis sein.
Was sehe ich – was siehst du. Diskurs über die Glaubwürdigkeit von Kunst.
Ein Gemälde ist ein Gemälde und ein Porträt kann Bildnis sein oder lediglich ein Porträt-Gemälde ohne persönlichen Bezug.
Es muss also seinem Wesen nach nicht die Realität darstellen. Dass die Kunst eine Lüge ist, die mehr Wahrheit enthalten kann als die von uns erkennbare Realität, ist eine Binsenweisheit. Wenn auch von den meisten Rezipienten nicht begriffen. Oder zumindest falsch gedeutet.
Deswegen die Klärung des Sachverhaltes in meinem Text – Ein Porträt kann Bildnis sein .
„Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt“, zitiert Orson Wells Pablo Picasso in seinem Film F for Faka 1973.
Das vollständige Zitat: Wir alle wissen, dass Kunst nicht die Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt – wenigstens jene Wahrheit, die zu verstehen uns gegeben ist. Der Künstler muss verstehen, die anderen von der Wahrhaftigkeit seiner Lüge zu überzeugen. Würde er nur zeigen, dass er nach dem richtigen Weg gesucht und geforscht hat, Lügen zu vermitteln, würde er niemals auch nur irgendwas erreichen.“ (Auszug aus einem Interview mit Picasso. Veröffentlicht in The Arts am 23. Mai 1923.
Hartnäckig steht das 1878 angeblich von den Veranstaltern der Ausstellung des Makart Gemäldes gestreute und von der Wiener Presse dankbar aufgegriffene Gerücht im Raum das Gemälde von Hans Makart „Der Einzug Karls des 5. in Antwerpen“ sei ein Skandal, da er hochrangige Damen der Gesellschaft ohne ihr Wissen unbekleidet dargestellt hätte. Zumindest wird behauptet, er sei so vermessen gewesen, die nackten Leiber mit deren Porträts zu bekrönen, – wurde relativierend angemerkt. Denn wie soll der Maler dargestellt haben, was er nicht sah. Dem kann ich folgen, denn der Künstler an sich ist ein Erfinder.
So weit, so gut. Es spricht jedoch vieles dagegen, dass der Salonmaler reale Personen des öffentlichen Lebens ungefragt abbildete.
Diese Klatschgeschichte wurde in der Vergangenheit mehrmals überprüft, konnte aber nie bestätigt werden. Es blieb ein Gerücht, auch wenn fehlerhafte, ja unseriöse Quellen unablässig zitiert werden. Da dieses Gerücht offensichtlich unausrottbar ist, habe ich mir die Mühe gemacht, das makartsche Bild nochmals genauer zu betrachten. Für mich als Praktiker des Lebens und der Malerei sind unüberprüfbare Zitate von Zitaten und Karikaturen nicht akzeptabel. Es existiert kein Beschwerdebrief oder ähnliches stichhaltiges Beweismittel.
Der Terminus Idealporträt ist eine der Grundlagen meiner Bildanalyse und der These ein Porträt kann Bildnis sein.
Trotzdem muss die Schule des Sehens neben aller Theorie durchlaufen werden, um ein Kunstwerk in seiner Vielschichtigkeit begreifen zu können. Da ist man auf sich selbst gestellt. Ich muss gestehen, dass mich der Künstler Makart nicht sonderlich interessiert und mein Interesse vor allem der öffentlichen Fehlinterpretation des hier verhandelten Gemäldes gilt. Wenn diese auf Oberflächlichkeit zurückzuführen wäre, würde ich mir nicht die Mühe machen, sondern viel lieber über die Kultur der Bratwurstbuden schreiben oder dem Klassizismus als Lebenslinie der Kunst nachforschen.
Da die derzeit kursierenden Falschbehauptungen jedoch einem opportunistisch moralistischen Hintergrund entspringen und die Freiheit der Kunst beeinträchtigen, schreibe ich Selbstverständliches auf.
Denn dieser und andere Vorgänge ähnlicher Art erinnern an byzantinischen Puritanismus. Es kommt jedoch nicht zum Bilderstreit da orthodoxes Denken diesen unmöglich macht und die Ausgrenzung nicht genehmer Haltungen im vollen Gange ist.
Symptomatisch für die #MakartNow und andere Aktionen ist der Ursprung aus der wohlstandssozialisierten, westlich links-konservativen Cancel Culture Bewegung.
Was scheinbar klein erscheint, entspringt einem Großen und unterwandert die Grundlagen unserer Gesellschaft. Wie zum Beispiel die Kunstfreiheit. Mir ist bewusst, dass die ProtagonistInnen dies nicht so sehen. Jedoch darf ich für mich in Anspruch nehmen zu wissen, was Unfreiheit bedeutet und wie sie nahezu unbemerkt in das Substrat einer Gesellschaft eindringt. Diese Tatsache zu beschreiben, benötigt mehr als ein paar Zeilen, da sie ein Merkmal der Gegenwart ist, die sowohl von rechts als auch von links ungut bedrängt wird. Wenn diese Unterscheidung überhaupt noch tauglich ist.
Als hätte man aus der Vergangenheit nichts gelernt, wird mit den sicher geglaubten Freiheitsrechten leichtfertig umgegangen. Die Freiheit ist immer noch die Freiheit des anderen – und auch des Malers sowie der Malerin!
Jetzt aber zum Makartbild und den darauf zu sehenden Porträts.
Charlotte Wolter könne eventuell die Dame am Brunnen stehend am linken Bildrand sein. Wer war Charlotte Wolter? Eine unbedarfte Magt, die vom Künstler überredet wird, Modell zu stehen?
Elisabeth Charlotte Gräfin O Sullivan de Grass, geborene Wolter war die Frau des Grafen O Sullivan. Sie war Hofschauspielerin und trat unter ihrem Mädchennamen auf. Sie war Tragödin und für ihren „Wolter-Schrei“ bekannt. Die Gräfin war eng mit Makart befreundet. Er entwarf für sie Kostüme.
Charlotte Wolter steht regelmäßig für ihren Freund Makart Modell. Als Halbakt mit erkennbarem Gesicht und vermutlich auch als Akt.
Obwohl der Schriftsteller und Chronist der Wiener Gesellschaft, Artur Schnitzler zum Zeitpunkt der Ausstellung des Einzug Karls erst 16 Jahre alt war, darf man annehmen, dass die Veränderung der Gesellschaft schon im vollen Gange war.
Das Wien des Fine de Siècle war angebrochen. Zu dieser Zeit, die auch als dekadent bezeichnet wird, änderte sich nicht nur das Verhältnis zur Sexualität. Schnitzler thematisiert die Problematik exemplarisch.
Andererseits wächst aber auch das Selbstbewusstsein der Frauen und es beginnt die erste wirkliche Emanzipationsbewegung. Misogyne Tendenzen treffen auf eine lauter werdende Frauenbewegung mit ihren Protagonistinnen Helene Lange und Gertrude Bäumer.
Baronin von Teschenberg entspricht als Typus einigen der Dargestellten und stützt meine Behauptung ein Porträt kann Bildnis sein .
Sie ist für mich aber auch nicht als Porträt im Sinne der konkreten Darstellung zu identifizieren. Ich habe die durch die Forschung benannten und infrage kommenden Porträts der Damen, so ich Abbildungen fand, zusammengetragen und mit den Porträts auf dem Gemälde verglichen. Für eigene Recherchen empfehle ich das Buch Doris H. Lehmann „Historienmalerei in Wien“. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011.
Bianca Freiin von Teschenberg, geb. Luccas. Von 1867-68 Mitglied des Balletts des k.k. Hoftheaters. Zweite Gattin des k.u.k. Geheimrates Ernst Freiherr von Teschenberg. Minister des Äußeren mit hervorragenden Kontakten zu Presse.
Die Freiin wird als eines der Lieblingsmodelle Makarts bezeichnet. Es gibt kein Beleg, dass ihr Gatte etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hatte.
Ähnlichkeiten ihrer Physiognomie, besonders der Nasen- und Mundpartie, sind bei mehreren der dargestellten Frauen zu erkennen. Die Frau mit dem Holländertuch hinter der rechten Gruppe der leicht bekleideten Damen scheint ihr am nächsten.
Modell und Maler
Dieses einzigartige Dokument genügt, um die kleinbürgerliche Sicht auf das Verhältnis von „Maler und Modell“ zu erschüttern. Charlotte Wolter thront als Messalina über den zu ihren Füßen sitzenden Makart. Meine Frage. Lässt man sich als Malerfürst so abbilden?
Valeria Messalina (vor 20 nach Christi bis Herbst 48 nach Christi, war die dritte Frau des römischen Kaisers Claudius. Es wird überliefert, sie sei eine grausame Nymphomanin gewesen, die nicht nur Widersacher, sondern auch Männer hinrichten lies, die sie sexuell zurückwiesen.
Mehr zu Valeria Messalina auf Wikipedia.
Die spärlich bekleideten Damen auf Makarts Einzug Karls sind nicht nur Idealakte, sondern haben auch Idealporträts.
Idealporträt wie Ideal Akt sind seit der Antike ein probates Mittel, Schönheit darzustellen.
Es wird berichtet, dass der antike Maler Zeuxis beauftragt wurde, das Idealbild weiblicher Schönheit Helena, zu schaffen.
Die Legende besagt, dass sich der Maler mehrere schöne Jungfrauen zeigen lies um nach ihnen die schönste Frau zu schaffen. Denn in der Natur könne es keine vollkommene Frau geben. Aus der Anschauung mehrerer Schönheiten sei das Schönste zu machen.
Auch Persönlichkeiten, von denen keinerlei Abbildung existieren, werden idealisiert dargestellt. Sei es mit Rauschebart oder besonders großen Augen und wohlgeformten Lippen. Offensichtlich sind die in Frage kommenden Damen solche Idealwesen.
Ich könnte Ihnen vermutlich Hunderte, wenn nicht gar über tausend derartige Idealporträts aus der Werkstatt Cranach zu Wittenberg zusammenstellen.
Ich könnte Ihnen vermutlich Hunderte, wenn nicht gar über tausend derartige Idealporträts aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens zusammenstellen.
Und doch ist der „Fall“ Rubens ein Besonderer.
Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet Peter Paul Rubens Hélène Fourment. Sie stand dem Meister – wie auch seine erste Frau – für zahlreiche Gemälde Modell. Das frappierende ist jedoch, dass man glaubt den Typus Helene schon auf frühen Gemälden von Rubens zu entdecken.
Heiratete er also sein Idealmodell? Oder handelt es sich um eine Mischung aus Ideal und Realität?
Wenn man sich die Gemälde von Cranach, Rubens oder Makart anschaut entdeckt man immer wieder einen Typus an Modell. Das Rubensmodell ist zu einem Inbegriff für eine bestimmte Form von Schönheit in die Umgangssprache eingegangen.
Selbst dieses Gemälde ist vor Nach- und Unterstellungen nicht sicher.
Maria L. Brendel, eine Kunsttheoretikerin, versucht sich in einer psychologischen Ferndiagnose. Sie schreibt im Zusammenhang mit dem „Pelzchen“ über „Traumata, Kastrations- und Verlustängste sowie der Sehnsucht nach einer Muttergestalt.“ War Rubens also psychisch krank? Sind alle Künstler die sich mit dem anderen Geschlecht beschäftigen krank?
Demnächst werden Tierschützer auftreten und fordern man möge das Bild aus der Öffentlichkeit entfernen oder den Pelz übermalen.
Die unzählbaren Marien und Jesus Darstellungen sind vermutlich überwiegend Idealporträts. Da es in der Kunst jedoch keine Regel gibt, die nicht gebrochen wird, hier ein besonders schönes Beispiel.
Die Sixtinische Madonna ist eine Bäckerstochter und war auch Aktmodell!
Lesen Sie: Welche Frau war Das Modell für die Sixtinische Madonna?
Bisher habe ich in hoffentlich verständlicher Form über Kunst und deren Rezeption geschrieben.
Jetzt möchte ich jedoch zur Logik kommen. In dem Fall um Beweggründe folgerichtig einzuordnen.
LOGIK
- Lehre, Wissenschaft von der Struktur, den Formen und Gesetzen des Denkens; Lehre vom folgerichtigen Denken, vom Schließen aufgrund gegebener Aussagen; Denklehre
- Folgerichtigkeit des Denkens
Wolfgang Ullrich schreibt in seinem Beitrag zum Blog #MakartNow der Hamburger Kunsthalle:
„So malte er sich von leicht bekleideten Frauen umgeben, für die ihm Damen der Wiener Gesellschaft ungefragt als Vorbilder dienten. Der mächtige Mann gefiel sich also darin, über andere nach Belieben zu verfügen und sie gar bloßzustellen.“
Nochmals. Diese Behauptung, ist unlogisch und zugleich unwahr, weil unbewiesen.
- Makart war SALONMALER! Salonmaler leben und arbeiten für den Salon. Erstens wollte jede Dame mit Ruf und Namen von ihm porträtiert werden. Auch von Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun, der Malerin des französischen Hofes wolle jeder gemalt werden. Und von Franz von Stuck ohnehin. Von Gerhart Richter kann man nicht gemalt werden, aber auch von ihm möchte jeder ein Stück Kunst und damit Ruhm haben.
- Makart war eng und innig mit eben dieser „Gesellschaft“ verbunden. Ja, befreundet. Seine malerische und wirtschaftliche Existenz gründete sich auf deren Wohlwollen. Sollte er sich in die Gefahr begeben, es sich bei seinen Auftraggebern zu verscherzen. Ehrlich. Und jetzt ein wenig umgangssprachlich. Wie blöd ist das denn?
Vergleichbar:
- Als hätte Gerhard Richter in frühen Jahren die Frau seines ersten Großsammlers Frieder Burda als Stripperin dargestellt.
- Georg Baselitz Irene Ludwig – die Frau des Großsammlers Ludwig – im Negligé kopfständig abgebildet.
- Willi Sitte Margot Honegger der Bildungsministerin der DDR als Nackttänzerin in Öl gemalt.
- Bernhard Heisig die Frau von Hans-Joachim Hoffmann – dem Kulturminister der DDR – als Nudistin am Strand der Ostsee im Stil von Kokoschka gemalt.
Ich glaube, ich muss diesen Gedankengang nicht weiter ausführen.
Wissen Sie. Ein gutes Bild zu malen bedarf nicht nur ein gewisses Können, sondern auch Sorgfalt. Zuerst ist die Idee. Dann macht man sich Gedanken über die Komposition. Wenn alles im richtigen Maß und Verhältnis ist, folgt die Ausführung. Und ist das Bild fertig, so stellt man es verkehrt herum an die Wand. Nach einiger Zeit schaut man wieder darauf und erkennt eventuell den einen oder anderen Irrtum. Der wird korrigiert. Dies ist meine Art zu arbeiten.
Noch eine schöne Geschichte für die wenigen LeserInnen, die bis zu diesem Punkt meinen Thesen in dem Text – ein Porträt kann Bildnis sein – gefolgt sind.
John Howard, ein britischer Kinderbuchautor, hatte einige Erfahrung mit dem Verlagswesen. 2006 entlarvte er die Buchbranche.
Er bastelte aus der Bedienungsanleitung seiner neuen Waschmaschine ein Romanmanuskript. Dieses sendete er an 30 Verlage und Literaturagenten und erhielt von allen eine freundliche Antwort. Die Profi-Buchexperten versicherten, sein Manuskript mit großem Interesse gelesen zu haben. Jedoch passe es nicht ins Verlagsprogramm. Ich vermute, dass der überwiegende Teil der „Experten“ Literaturwissenschaft studierte. Ob Professoren darunter waren, wird nicht berichtet.
Verwendete und weiterführende Literatur.
Verweise: Henry Keazor „Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lässt.“ Manipulation und Fälschung in der Kunst.
Gerbert Frodl | Hans Makart Werkverzeichnis der Gemälde
Nike Wagner | Geist und Geschlecht. Karl Kraus und die Wiener Moderne
Bettina Rabelhofer Symptom, Sexualität, Trauma | Kohärenzlinien des Asthenischen um 1900
Doris H. Lehmann | Historienmalerei in Wien | Anselm Feuerbach und Hans Makart im Spiegel zeitgenössischer Kritik
Hans-Joachim Neubauer | Fama | Die Geschichte des Gerüchts
Texte aus dem www. sind verlinkt.
SRF | Kunst und Krieg
Dr. Murray G. Hall | Bettauer „Erotische Revolution
Dies ist ein Blog-Text und erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Er ist jedoch nach besten Wissen und Gewissen erstellt.
Ein Porträt kann Bildnis sein ist der 4. Text zum Thema des Kunstbenutzers.
- 1. Blog-Beitrag: Frauenraub gehört sich nicht!
- 2. Blog-Beitrag: Wolfgang Ullrich der Kunstbenutzer
- 3. Blog-Beitrag: Schönheit, Erotik, Mord und Ideologie
- 4. Blog-Beitrag: Ein Porträt kann Bildnis sein