Der Dom zu Wurzen irritiert
Die Nutzung des Internets hält immer wieder Überraschungen bereit. Denn vor einiger Zeit bin ich über die Kreuzigungsgruppe des Doms zu Wurzen gestolpert und war irritiert.
Dass viele Kirchen – vor allem im Innenraum – über die Zeit bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden, ist mir wohlbekannt. Gelegentlich werden sie mit großem Aufwand in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt.
Gleichwohl bleibt doch die äußere Hülle meist von größeren Schäden verschont. Wie an den Fenstern unschwer zu erkennen ist, ist der Dom zu Wurzen ein gotisches Bauwerk von eher schlichter Gestalt. Die Turmhauben sind barock. Nichts bleibt, wie es ist – oder doch nur selten. 1470 wurden große Teile des Doms ein Opfer des Feuers. Danach wurde auf- und angebaut.
Vor der Reformation soll der kleinste Dom Sachsens sieben Altäre besessen haben. Einige plastische Arbeiten sind erhalten und zieren die kahl wirkenden Wände des heiligen Hauses.
Das Zellengewölbe im Westchor verliert leider durch die dominante Orgel an Wirkung, aber das Kreuzgewölbe des Hauptschiffes war unerreichbar für missliche Eingriffe und verleiht dem Raum Würde. Trotzdem wirkte diese Kirche auf mich irgendwie kalt und abweisend.
Um das Jahr 1817 wird es sehr traurig. Die gesamten älteren Einbauten, samt dem gotischen Flügelaltar, wurden entfernt.
Welche Kunstwerke dabei den sprichwörtlichen Jordan – oder hier die Mulde – hinuntergingen, konnte ich nicht recherchieren. Neugotisches Gestühl sowie Schnitzwerk und ein Altar von Friedrich Matthäi wurden eingebaut. Das Gemälde hätte ich gern gesehen, finde es jedoch nicht. Auch wenn Matthäi kein Großmeister war, so ist mir seine Malerei doch lieber als der „Brutalismus“ der Plastiken von Wrba.
1932 wurde die Wrba’sche Domausstattung fertiggestellt. Ich sah die Kreuzigungsgruppe im Netz und war sofort irritiert.
Um einen besseren Eindruck zu bekommen, fuhr ich nach Wurzen. Die Attitüden von Großmeistern sind oft irritierend und manchmal wenig meisterlich. Obwohl das von Wrba hinter seiner Kreuzigungsgruppe geschaffene Fresko 1961 wegen Salpeterbefall entfernt wurde und das Gesamtwerk somit nicht mehr zu sehen ist, vermute ich, dass es nicht besser war als das heute zu Sehende.
Georg Wrba verteilte seine Plastiken im Kirchenraum.
Sie wirken auf mich befremdlich, ein wenig wie der Gruß aus der Zukunft – also der nach 1933. Wenn man sich die Arbeiten seiner Zeitgenossen Lehmbruck, Georg Kolbe oder auch Max Klinger anschaut, finde ich seine Arbeit martialisch, wie auch das Wurzener Kriegsdenkmal eindrücklich beweist. Die Plastiken sind nicht „berührend“, sie sind grob.
Ein Kunsthistoriker spricht von einer purifizierenden Wirkung des Umbaus des Kirchenraumes. Ich behaupte, es ist eine Entsakralisierung des Kirchenraumes. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie man vor diesen irritierenden Plastiken der Kreuzigungsgruppe eine Andacht halten soll.
Georg Wrba war ein deutscher Bildhauer, Medailleur und Grafiker. Er schuf weit über 3000 plastische Werke an 322 Objekten. Wikipedia
Eventuell liefen die Angestellten der Kirche auch wegen des unschönen Innenraumes so missmutig herum und waren auf Nachfragen einsilbig.
Sie sehen es auf den Aufnahmen im Gegenlicht sehr schlecht, aber die Figuren der Kreuzigungsgruppe waren von Spinnen okkupiert, die ihre Netze geflochten hatten, um die letzte lebendige Kirchenfliege zu fangen.
Ich verließ den Dom zu Wurzen irritiert und besuchte das „Schlosshotel“ auf demselben Areal, um einen Kaffee zu trinken.
Das Schlosshotel begeisterte und hat sehr schöne Räumlichkeiten. Auf dem Schlosshof kann man gut speisen. So hat sich die Reise nach Wurzen gelohnt. Mir geht dieser Kirchenbesuch bestimmt nicht schnell aus dem Sinn. Der Dom zu Wurzen irritiert und lässt den Besucher ratlos zurück.