Wolfgang Ullrich der Kunstbenutzer
Wenn aus Populismus eine Wissenschaftslüge wird
Nachdem sich der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Prof. Dr. Alexander Klar entschlossen hatte, das hinter einer Wand versteckte Gemälde von Hans Makart „Der Einzug Karls V. in Antwerpen“ der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, gibt es auf der Website des Museums einen Beitrag mit dem Hashtag #MakartNow
Die kuratierten Kommentare sind extremistisch, vermittelnd, hilflos, vergleichend, populistisch verlogen, aber auch der Sache angemessen und intelligent abwägend.
Wieso aber wird kein Künstler gefragt, was er zur Kunst des Makart und diesem Bild im speziellen zu sagen hat? Denn diese alten weißen, figürlich-gegenständlich arbeitenden Maler (männlich) gehören zur potenziellen Tätergruppe. Also sollten sie vor Gericht gehört werden.
Dies wurde in demokratisch verfasste Staaten so vereinbart.
Völlig unabsichtlich stolperte ich über die Seite der Hamburger Kunsthalle und war irritiert. Wolfgang Ullrich der Kunstbenutzer, wie ich ihn zukünftig nennen möchte, behauptet in seinem Statement, Makart hätte sich zwischen Kaiser und Albrecht Dürer platziert. Sich also als böser Künstlerfürst überhöht. Privilegiert sei er und malte sich umgeben von leicht bekleideten Frauen der Wiener Gesellschaft, welche er vorher nicht um Erlaubnis gebeten hätte.
Mir ist bewusst, dass sich ein Kunstbenutzer an dem abarbeitet, was die höchste Klickrate (CTR) verspricht. Da ist er ganz dem Kunstgeschäft verpflichtet.
Überprüfbarkeit, Verlässlichkeit, Offenheit und Redlichkeit.
Auf einen Blog-Beitrag, in dem ich das Makartskandälchen streifte, antwortete mir Prof. Dr. Wolfgang Ullrich, es ginge nicht um Nacktheit.
Er betonte die fragwürdigen „Umstände“ der Entstehung dieses Gemäldes, und das Makart Frauen gegen ihren Willen abgebildet hätte und so somit in eine „unangenehme“ Situation gebracht hätte. Also solle dies kommuniziert werden.
Ob der Kunstwissenschaftler damit meinte, ein Warnhinweis neben dem Bild anzubringen, bleibt offen. Auf und in Büchern werden mittlerweile Warnhinweise über den zu erwartenden Inhalt abgedruckt. Also ist anzunehmen, dass demnächst neben Bildern Warnhinweise vor dem Bild angebracht werden.
Daraufhin versuchte ich der Sache nachzugehen und fand keinen Beweis.
Dies teilte ich Herrn Ullrich mit und bekam einen Textauszug, in dem – ich zitiere – stand:“ …Sicherlich lag der enorme Andrang in Wien vor allem an dem gezielt (vermutlich von Makart selbst) gestreuten Gerücht… Außerdem waren in der Anlage noch zwei Karikaturen zu finden.
Hartnäckig wie ich bin, zweifelte ich die Beweiskraft der mir vorgelegten Dokumente an und erlaubte mir anzumerken, dass Gerüchte a priori brandgefährlich sind und großen Schaden anrichten können.
Nun bekam ich vom Verfasser einen Literaturhinweis. Doris H. Lehmann: Historienmalerei in Wien, Köln 2011, S. 410-413 mit der Anmerkung, dass er dieses Buch derzeit nicht zur Hand hätte.
Vom Wohnsitz von Wolfgang Ullrich bis zur Deutschen Bibliothek sind es 16 Kilometer. Also 16 Minuten mit dem Automobil oder 33 Minuten mit der Straßenbahnlinie 4 und 16. Mit einmal umsteigen. Am Hauptbahnhof vermute ich.
Wegen der derzeitigen pandemischen Situation verzichtete ich auf den Besuch der Bibliothek und erwarb das wissenschaftliche Werk online.
Beim Durchblättern dieser Dissertation und stellenweisen Anlesen ergab sich plötzlich ein gänzlich anderes Bild als ich erwartete. Dann die Seiten 410-413. Das Staunen war groß. Alles Lug und Trug was mir Wolfgang Ullrich der Kunstbenutzer untergejubelt hatte!
Lesen Sie was ich las!
An dieser Stelle fragen Sie sich eventuell, warum macht der das? Wieso ignoriert der Maler diesen populistischen Beitrag eines Theoretikers nicht einfach.
Die Frage ist berechtigt und ich stellte sie mir auch. Ich finde es jedoch brandgefährlich, wie zurzeit Richtungskämpfe von einigen Protagonisten des Kunstbetriebs öffentlich ausgetragen werden, die zu Verboten, Zensur und Selbstzensur führen.
Da hilft kein wegducken!
Nun präsentiere ich Ihnen einige der Modelle von Hans Makart.
Doris H. Lehmann hat in ihrer Dissertation „Für und wider den Makartismus. Die Position Anselm Feuerbachs und Hans Makarts im Spiegel zeitgenössischer Kritik“ akribisch recherchiert, welche Personen auf dem hier verhandelte Gemälde von Hans Makart zu sehen sind und in welcher Beziehung sie zum Maler standen.
Es seien lediglich 3 Beispiele angeführt. Ich versichere keinen – ich betone KEINEN Fall, der die öffentlich verbreitete These des Kunstbenutzer Prof. Dr. Wolfgang Ullrich stützt „Der mächtige Mann gefiel sich also darin, über andere nach Belieben zu verfügen und sie gar noch bloßzustellen“ gefunden zu haben. Ganz im Gegenteil, alle Modelle standen in einem engen Verhältnis zum Meister und viele empfanden es als eine Ehre von ihm auf diesem Bild verewigt zu werden.
„Außerdem hat Hans Makart sich selbst zwischen den Kaiser und Albrecht Dürer platziert und damit demonstrativ als Künstlerfürst in Szene gesetzt.“
Behauptet Wolfgang Ullrich. Es ist bekannt, dass sich der studierte Kunstwissenschaftler gern mit den „Größen“ des Kunstgeschäfts anlegt. Welchen tieferen Hintergrund dies hat, oder ob die bevorzugte Zielgruppe lediglich Aufmerksamkeit auf seine Person lenken soll vermag ich nicht zu sagen. Eventuell ist es auch pathologisch?
Das folgende Dokument erklärt warum Dürer auf dem Bild gelandet ist. Das sich die Schöpfer von Gemälden zuweilen selbst auf ihren Kompositionen verewigten ist seit der frühen Renaissance bekannt.
- Giotto auf den Fresken von Asissi
- Fra Filippo Lippi auf dem Fresko im Duomo di Spoleto
- Michelangelo auf dem jüngsten Gericht in der Sixtinische Kapelle
- Velasques auf dem Gemälde Meninas inmitten höfischer Personen und der Infantin
Derartige Selbstporträts tauchen in den unterschiedlichsten Konstellationen auf. Nahe des Jesus zusammen mit Königen. Als gemarterter Produzent eines Großwerkes. Voller Stolz und Eitelkeit. So wie wir Menschen sind. Kunst an sich ist eine Form der Selbstvergewisserung der eigenen Existenz.
Der Kunstbenutzer betrachtet lediglich „Das Leben der Anderen“.
Prof. Dr. Wolfgang Ullrich offenbart eine seltsame Art der Bildanalyse und lässt jegliche wissenschaftliche Redlichkeit zugunsten eines billigen Effekts vermissen. Wer die Selbstdarstellungen von Künstlern mit Selfies vergleicht, verlässt kunstwissenschaftliches Terrain.
Mir scheint auch in diesem Fall eine mit einem akademischen Anstrich versehene Blase der Selbstbezogenheit entstanden zu sein. Wolfgang Ullrich der Kunstbenutzer sollte der Kunst dienen und daran denken, dass seine Existenz von der Existenz der Kunst abhängt.
Weitere Beweggründe des Autors
Seit 2019 interessieren mich Insekten aller ART und die Geheimnisse der mystischen Möhre.
P.S. Ich finde es bedauerlich, das ein Kunstwissenschaftler, der auch unbequeme Themen mutig angeht, seine Arbeit mit leichtfertigem Populismus und unwissenschaftlichem Gehabe infrage stellt. Wenn er Kunst benutzt um Aufmerksamkeit zu erheischen ist er ein Kunstbenutzer.
Postskriptum
Das Kurpfälzische Museum Heidelberg zeigt aktuell die Ausstellung „Frauenkörper“.
Die Kuratorin Dr. Dagmar Hirschfelder antwortete wie folgt auf eine Frage von Ingeborg Salomon von der Rhein-Neckar-Zeitung. Frau Hirschfelder wird Chefin der alten Meister in der Berliner Gemäldegalerie. Solche Stimmen lassen hoffen!
Link Zur Ausstellung FRAUENKÖRPER
Würde man diese Angelegenheit auf die leichte Schulter nehmen, könnte man den Vorgang #MakartNow mit dem Vorhaben vergleichen, die Filme von Bud Spencer und Terence Hill wegen Gewaltverherrlichung auf den Index zu setzen.
Dies ist der erste Beitrag aus einer Reihe zur Wiener Kunst und Literatur um 1900.
- 1. Blog-Beitrag: Frauenraub gehört sich nicht!
- 2. Blog-Beitrag: Wolfgang Ullrich der Kunstbenutzer
- 3. Blog-Beitrag: Schönheit, Erotik, Mord und Ideologie
- 4. Blog-Beitrag: Ein Porträt kann Bildnis sein
Verwendete und weiterführende Literatur.
Gerbert Frodl | Hans Makart Werkverzeichnis der Gemälde
Nike Wagner | Geist und Geschlecht. Karl Kraus und die Wiener Moderne
Bettina Rabelhofer Symptom, Sexualität, Trauma | Kohärenzlinien des Asthenischen um 1900
Doris H. Lehmann | Historienmalerei in Wien | Anselm Feuerbach und Hans Makart im Spiegel zeitgenössischer Kritik
Hans-Joachim Neubauer | Fama | Die Geschichte des Gerüchts