Dessau, das Weltkulturerbe – und eine Bockwurst
Dessau. Wer diesen Namen hört, denkt unweigerlich an das Bauhaus. An Walter Gropius, an klare Linien, Funktionalität, an visionäre Architektur.
Der Bahnhofsvorplatz: trist, abweisend. Einladend ist anders.
Natürlich denkt man auch an das Gartenreich Dessau-Wörlitz – eine der großartigsten Landschaftsinszenierungen Europas. Doch wer mit dem Zug ankommt, wird von einer Nüchternheit empfangen, die fast schon brutal wirkt. Und das liegt nicht nur an der dünnen Bockwurst in der Bahnhofsbäckerei.
Andererseits – Dessau wurde im Zweiten Weltkrieg schwer bombardiert. 80 Prozent der Innenstadt lagen in Trümmern. Der Wiederaufbau in der DDR folgte den Dogmen der sozialistischen Moderne. Man wollte neu anfangen – ohne Altlasten, was oft hieß: ohne Geschichte. Breite Straßen, Beton, Plattenbauten. Vieles davon war ambitioniert geplant, manches sogar mutig gedacht. Doch das Resultat: eine Stadtmitte ohne Seele. Architektur wie Arbeiterschließfächer – funktional, aber herzlos.
So entstand eine Innenstadt, die weder alt noch neu wirkt. Sondern einfach… da ist. Dessau, das Weltkulturerbe – und eine Bockwurst und ein städtebauliches Vakuum.
Ein Zentrum, das die Menschen meiden, obwohl es ob der Bedeutung dieser Stadt das Gegenteil sein sollte.
Dabei hätte Dessau kulturell einiges zu bieten. Das Bauhaus ist Weltkulturerbe. Der Wörlitzer Park zieht jährlich über eine Million Besucher an. Doch die meisten reisen an der Stadt vorbei. Denn deren Herz schlägt nicht. Die Fußgängerzone wirkt ausgestorben, die wenigen Geschäfte austauschbar, gastronomische Inspiration? Fehlanzeige. Und wer – wie ich – auf der Suche nach einer ehrlichen, gut gebratenen Bratwurst ist, erlebt hier seine ganz persönliche Enttäuschung.
Denn, und das ist kein Scherz: In der gesamten Stadt Dessau gibt es keinen Bratwurststand. Nicht einen. Kein Grillduft, keine Röstaromen, keine dampfende Wurst auf Pappschale. Stattdessen: eine Bäckereikette am Bahnhof mit einer Bockwurst, so dünn wie die Hoffnung auf kulinarischen Trost.
Vielleicht ist genau das, das Drama von Dessau: Eine Stadt mit Weltkultur, aber ohne Bratwurststand. Ein Ort, der das architektonische Erbe der Moderne verwaltet, aber gleichzeitig erschreckend lebensfern wirkt.
Dessau, das Weltkulturerbe – und eine Bockwurst beschreibt eine Stadt ohne Wurststand. Eine solche Stadt ist wie ein Platz ohne Begegnung, eine Straße ohne Ziel. Man bleibt nicht stehen. Man geht weiter. Und genau das tun die meisten.
Dabei hätte Dessau Potenzial. Die Anhaltische Gemäldegalerie, welche wir besuchten, ist ein stilles Ereignis. Sie könnte ein großes sein – wenn die Stadt drumherum ein Ziel wäre. So aber bleibt Dessau eine Durchgangsstation. Für Züge, für Touristen, für Gedanken. Und für Wurstliebhaber – ein weißer Fleck auf der Landkarte.