Brutale Architektur ist gut für jede Stadt
Anfänglich dachte ich, der Begriff Brutalismus sei doch ein wenig zu gemein für die gestalterischen Bemühungen einer ganzen Architektengeneration. Das kann ja mal passieren. Nicht alles gelingt jedem und zu jeder Zeit.
Genau genommen und bei Tageslicht besehen beschreibt dieses Diktum ein architektonisches Massenphänomen, welches in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts seinen Anfang nahm und bis an das Ende der 70er Jahre des letzten Jahrtausends andauerte. Im näheren Umfeld des Baugeschehens entstanden viele Kiesgruben, denn es wurde auf Beton mit Beton gebaut. Dieser Aspekt ist brutal gut, denn früher wuchsen auf diesen Flächen Kartoffeln und die haben genau genommen keinen Freizeitwert, außer sie werden als Pommes frites im Freibad angeboten.
Allein jene Löcher voller Wasser erhöhten die Attraktivität der Städte, da die Insassen, jener hier zu beschreibenden Gebäude, an diesen Wasserlöchern im Sommer Erholung finden.
Wissenschaftlich ist noch nicht endgültig bewiesen, ob die Häufigkeit des gemeinen Hautkrebses in einem direkten Zusammenhang mit Baggerseen steht, denn auch der Eigenheimbesitzer planscht mit seiner Familie im Sommer gern draußen. Die Brüsseler Bürokratie hat weder vor abschreckende Bilder mit schwarzem Hautkrebs an den Baggerseen aufzustellen, noch das betreten und beschwimmen derselben zu besteuern, zu verbieten, oder gar die durch Raubbau an Sand entstandenen Löcher leer pumpen zu lassen und mit Paragrafen zu füllen.
Der oben angeführte gemeine Begriff soll von Le Corbusier herrühren der seine Architektur liebevoll mit béton brut bezeichnete. Wörtlich übersetzt roher Beton und phonetisch schon nah an dem treffenden deutschen Begriff Brutalismus, der jedoch eigentlich in England 1953 vom Architekten Alison Smithson geprägt wurde. Damals war schon alles europäisch. Selbst der Beton.
Der Architekt spricht gern von Materialästhetik. Sichtbeton trägt also nicht nur Stahl in sich, sondern auch eine geheime Ästhetik, die hart wie das Material und unverrückbar erscheint.
Leichtigkeit passt nicht zum durchökonomisierten Leben. Alles funktioniert, wird gestapelt und genau kalkuliert. Jede Abweichung von der Norm gradlinig mit Beton zugegossenen. Es ging neben der verqueren Ästhetik des Bauens vor allem um Ökonomie. Also um stapelbare Wohneinheiten, die am Fließband produziert werden.
Klar, musste man nach dem Krieg die selbstverschuldete Minimierung des nutzbaren Wohnraums ausgleichen und neuen für die Flüchtlinge aus dem Osten schaffen. In den 70er Jahren dürfte dieses Problem erledigt gewesen sein. Die paar Ossis, die es danach noch über die Betonmauer schafften, waren locker unterzubringen und ohnehin an diesen Baustil gewöhnt. Ein Arbeiterschließfach bleibt in Ost und West das Gleiche. Lediglich der Freilauf war im Westen ein wenig größerer für denjenigen, welcher ihn finanzieren konnte.
Mitte der 80er gab es in der Stadt, in der ich heute lebe, immensen Leerstand. Vor allem Gründerzeitwohnungen, die „nicht dem Standard entsprachen“ waren out. Stuck wurde abgeschlagen, Decken abgehangen, runde Ecken begradigt oder man verzog sich gleich aufs Land, um am täglichen Berufspendlerverkehr teilhaben zu dürfen.
Dafür hatte man ja die Schneise für die vierspurige Schnellstraße durch die Stadt gezogen. Wie fein der Staub auch war, man kannte ihn noch nicht. Die Luft war Blei geschwängert.
Diskriminieren möchte ich die Bevölkerung nicht, aber zu befürchten ist, dass die Menschen damals gern in die ihnen angebotenen Betonschließfächer zogen. Man musste sie nicht überreden oder gar schubsten wie eine Kuh auf einen Viehtransporter in Richtung Schlachthaus. Fahrstuhl, Stellplatz und Müllschlucker sind unverzichtbare Dinge, die einfach zum modernen Leben gehörten wie damals Rudi Carrell oder der plappernde Lockenschopf an Samstagabend nach acht. Heute G. Jauch, Fußball Krimi, Krimi, Krimi, Serie. Vor allem muss es praktisch sein – das Leben und seine Durchführung.
Das einzige aber auch beliebteste Arbeitsmittel des Architekten war das Lineal und neben dem Quadrat war ein Rechteck schon exaltiert. Die für die Beleuchtung der Unterführung gedachten Lichteinlässe, folgen diesem Prinzip, ohne ihrer eigentlichen Bestimmung gerecht zu werden. Das schöne Muster reduziert den Lichteinlass und die dicken Glasbausteine im Ritter Sport Format sind wohl nicht zielführend für den Zweck aber formal durchaus passend. Der Mensch wirkt in diesem Betonambiente vorwiegend störend und ist deswegen auch abwesend, denn er nimmt Rücksicht auf die Architektur und stört nicht gern.
Die aufregendsten gestalterischen Elemente entdecken Sie in den Auf- und Abgängen der Überführung. Vermutlich sind einige der Betonflächen, am Denkmalsschutz vorbei, von unkundiger Hand weiß angetüncht wurden, aber der Gesamteindruck ist minimalistisch eiskalt und klar dieser Epoche zuzuordnen. Diese Konstruktion könnte auch der menschenleere Zugang einer U-Bahn in Südamerika sein.
Von Düsseldorfer Meisterhand und in besserer Qualität abgelichtet wäre solch eine Fotografie bei Sotheby’s den Preis einer Penthousewohnung in diesem Block wert. Das hat schon was. Vor allem, wie ich den Goldenen Schnitt so lässig hinbekommen habe, ohne im Geringsten an diesen zu denken.
Kunstwissenschaftler schreiben zumeist im Nachhinein das auf, was der Künstler nicht gedacht hat, aber hätte denken können.
Um ein architektonisches Kleinod zu entdecken, darf man das Tageslicht nicht scheuen. Früh aufgestanden und auf die Jagd gehen ist Pflicht, denn des Abends wird der öffentliche Raum abgesperrt und die Benutzung verwehrt um die wertvolle Bausubstanz zu schonen. Der gefahrlose Weg, um die Hauptverkehrsader der Stadt zu passieren, ist nicht möglich und man benutzt die finstre Unterführung, um sich ein wenig zu gruseln und auch um sich danach freiwillig der natürlichen Selektion durch den Straßenverkehr zu stellen. Das schult unsere Sinne – wenn auch nicht den Verstand.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass dies einst die hochgelobte Moderne war, so kann Moderne schnell ganz schön schnell alt aussehen.
Der Architekt dieser Zeit baute für die Menschen, rechnete aber nicht mit ihnen.
Da wird der schöne Sichtbeton in Schalungsbretteroptik weiß gestrichen und bunt bemalt. Wie jeder Bunker, welcher der widrigen Natur ausgesetzt ist, eines Tages von der Natur überwuchert wird, so eignet sich der Mensch die brutale Architektur auf seine weise an und versucht sie somit bewohnbarer zu machen.
Brutale Architektur ist übrigens für jeden gut, weil sie die Entwicklung des Mietniveaus einer Großstadt nach unten zumindest erweitert, wenn schon nicht nach oben absichert.
Soziale Schichten müssen ja auch geschichtet sein. Alles hat seine Ordnung und man denkt, es geschieht schon nichts. Es besteht zwar jederzeit die Gefahr, dass solche Viertel hipp werden aber dem äußeren Anschein nach ist dies in meinem hier vorgestellten Beispiel noch nicht der Fall.
Es kann auch ganz anders ausgehen wie man nicht nur an der Banlieue in Paris sieht. Irgendwann läuft das aus dem Ruder. Zurzeit knistert weltweit der Beton. Es gibt wohl Seismografen, aber leider keine kompetenten Empfänger, welche die Signale empfangen, geschweige denn darauf reagieren.
Manche Milliardäre warnen, es könnte sein, die Bürger würden bald – wie einst – zur Mistgabel greifen. Oder zum Molotowcocktail.
Die nähere Umgebung der Schnellstraßenbebauung ist verhalten subversiv – urban. Freundlich sieht anders aus. Dönerbuden aber auch ein seltenes Exemplar der Imbissbudenkultur sind hier zu finden. Multikulti ohnehin.
Wissenschaftliche Belege kann ich nicht anführen, aber nach eingehendem Studium der Unterführungsarchitektur und anderer einschlägig bekannter Gebäude wie dem Karlsruher Theater oder aber auch dem Leipziger Gewandhaus hat diese Bauweise Ihren Ursprung im militärischen. Vieles erinnert an Bunker oder hat zumindest den Charme von Panzergaragen.
Kann es sein, dass diese Generation von Architekten in Ihrem früheren Leben Bunker gebaut hat oder zumindest von deren Architektur bis ins Unterbewusstsein hinein geprägt wurde? Spielt der Kalte Krieg mit der Drohung eines Atomkriegs eine Rolle bei der Gestaltung des trauten Heims?
Obwohl fast fensterlos ist solch ein Bunker doch sehr nah da der Ästhetik der Sichtbetonbauweise, denn er besteht aus Sichtbeton. Gleichwohl sind die verwitterten Oberflächen um einiges attraktiver als die gepflegten innerstädtischen. Und was macht der Mensch?
Der lässt sich in viereckige kahle Räume sperren, obwohl der Homo sapiens (übersetzt verstehender, verständiger beziehungsweise Weiser, gescheiter, kluger vernünftiger Mensch – wie Wikipedia behauptet) Millionen von Jahre in der schönsten Natur gelebt hat und sich nur gelegentlich zum Schlafen in eine Höhle verzog.
Der Neandertaler soll nicht so klug gewesen sein wie wir, starb aber vorsichtshalber aus, bevor die A1 durchs Ruhrgebiet gezogen wurde.
Er ahnte, dass vom Regierungspräsidium seine Lagerfeuer verboten werden. Natürlich des Feinstaubes wegen – also verwandelte er sich in jenen.
Vorstellbar ist an diesem Ort die Produktion von strategischen Mittelstreckenraketen. Der Schnürboden als Startrampe. Das Dach öffnet sich und einem Höllenlärm, Feuerschweif hinter sich herziehend rast die Rakete in das Weltall um einen Zweck zu erfüllen.
Die Zauberflöte von Mozart ist auch schön und mit viel Musik und Kostüm. Aber in diesem Gemäuer?
Ob der Hersteller der Pflastersteine eine verwandtschaftliche Beziehung zu dem Architekten hatte, und deswegen das Wasserspiel wasserlos ausfiel, ist nicht bekannt.
Ich kann Ihnen jedoch verraten, oder Sie ahnten es schon, innen ist das Theater fast so heimelig wie der Müllcontainerunterstellplatz am zuvor beschriebenen Wohnblock. Wenn man die Augen fest schließt und sich von einer Aufsichtskraft schnell den Saal führen lässt, kann man hervorragendes Theater erleben.
Das ist dann doch erstaunlich, da man ja im Allgemeinen behauptet die Form folge der Funktion. Womit auch dieser Lehrsatz widerlegt wäre und ich langsam zum Ende kommen kann.
Der Homo sapiens, der intelligente, weiß sich zu helfen und richtet sich zur Not auch in einem Schützengraben wohnlich ein.
Am liebsten fährt er aber ohne Krieg zu haben weit weg und hat es gern bequem und wohnlich dabei. Hinter der Wohnungstüre ist Schluss mit Sichtbeton und nicht nur im Wohnmobil soll es behaglich sein. Auch am Hindukusch hatten die Verteiler unserer Werte einen Weihnachtsbaum.
Der absolute Gegenentwurf zur brutalen Architektur dieser Zeit ist wohl der Citroën 2CV. Wacklig, klapprig günstig und gut. Da passt kein Lineal dran. Wie überhaupt an die sogenannten gegenkulturellen Jugendbewegungen von den Hippies bis zu den Punks keine Maßstäbe der bis dato geltenden bürgerlichen Betongesellschaft passten.
Teile der Jugend verweigerten sich demonstrativ der Konsumgesellschaft und bastelten sich am liebsten alles Selbst zusammen, ehe diese subkulturellen Elemente von der „Zivilisation“ eingefangen wurden und sich ein Häuschen im grünen mit Solardach bauten – zwei Kinder einen Hund und die gesicherte Pension in Aussicht.
Fleischverbot sonst Bürger Tod.
Eines Tages kommt der Tag an dem man entscheiden muss, ob man will oder nicht. Die brutalen Gebäude sprengen und zerkloppen ist sehr teuer. Auch der im Beton enthaltene Sand kann unmöglich wieder in die Sandgruben verfrachtet werden.