Bratwurststand auf dem Bahnhof Hannover
Oder die positive Auswirkung einer Zugverspätung
Der Bratwurststand auf dem Bahnhof Hannover fand mich – nicht umgekehrt
Man kann sein Leben lang nach der besten Bratwurst suchen – doch am Ende ist es oft die Bratwurst, die einen findet.
So erging es mir am Bratwurststand auf dem Bahnhof Hannover. Oder besser gesagt: Der Bahnhof von Hannover, den ich bis zu diesem Moment genauso wenig kannte, wie den Bratwurststand darin, wurde mir dank einer Verspätung nahegebracht. Zugegeben. Denn Hannover stand nie weit oben auf meiner Liste der Reiseziele. Einzige Ausnahme: Mein Besuch im Sprengel Museum. Damals – in einer Zeit, als mich Kunst noch mehr interessierte als Kulinarik – war ich mit dem Auto kreuz und quer durchs Land unterwegs, stets auf der Jagd nach Ausstellungen, Inspirationen und großen Meisterwerken.
Die Bratwurst spielte dabei nur eine Nebenrolle. Ich nahm sie zur Kenntnis, gelegentlich aß ich eine – aber sie hatte keinen festen Platz in meinem Denken. Doch das sollte sich ändern.
Die Bratwurst als Lehrmeisterin
Man sagt, dass wahre Erkenntnis oft aus den unscheinbarsten Dingen erwächst. Und genau das geschah mit mir und der Bratwurst. Irgendwann begriff ich: Die Bratwurst ist mehr als nur ein schnelles Essen. Sie ist ein Stück Kultur, ein Spiegel regionaler Identität – und, wenn man genau hinschmeckt, eine kleine Lehrmeisterin des Lebens.
Denn wer sich ernsthaft mit ihr beschäftigt, lernt nicht nur den feinen Unterschied zwischen Thüringer, Nürnberger und Krakauer, sondern auch etwas über Geduld, Handwerk, Tradition und manchmal sogar über das Wesen des Zufalls. Manchmal führt einen das Schicksal an einen Imbissstand, den man nie gesucht hat – und plötzlich hält man eine Bratwurst in der Hand, die so perfekt ist, dass man sich fragt, warum man jemals nach etwas anderem gesucht hat.
Und genau das geschah mir in Hannover. Ich hatte nicht nach ihr gesucht – doch sie hatte mich gefunden.
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Die beste Bratwurst Hannovers ist die am Bratwurststand auf dem Bahnhof Hannover – und ein trauriges Schicksal in Leipzig. Eine Glosse.
Wie bereits erwähnt: Die beste Bratwurst von Hannover bekommt man am Bratwurststand im Bahnhof. Eine einfache Tatsache, die sich nicht diskutieren lässt – zumindest nicht, wenn man sie einmal probiert hat.
Nun gebe ich zu: Das Foto dieser hervorragenden Wurst wird ihrer Qualität nicht gerecht. Aber seien wir ehrlich – Bratwürste sind keine Fotomodelle. Sie ähneln sich alle, zumindest auf den ersten Blick. Doch wahre Genießer wissen: Der Unterschied liegt nicht im Aussehen, sondern im Geschmack, in der Konsistenz, im Knacken der Hülle und dem Aroma des ersten Bisses.**
Von Totgegrillten und ihrem traurigen Ende.
Ein Blick nach Leipzig zeigt allerdings, dass nicht jede Bratwurst ein würdiges Ende findet. Dort gibt es eine ganz besondere Spezies: Die Totgegrillten. Sie liegen auf dem Rost, geplatzt, ausgetrocknet und all ihrer Säfte beraubt. **Eine Bratwurst ohne Saft ist wie ein Witz ohne Pointe – traurig und überflüssig.
Ironischerweise war die besagte Leipziger Wurst eine Thüringer – eine von denen, die sonst in höchsten Tönen gelobt werden. Doch das half ihr nichts. Ihr **Totenglöckchen läutete nicht in Thüringen, sondern in Hannover.**
Wie es dazu kam? Das bleibt ein Rätsel – genau wie die Frage, warum die besten Bratwürste manchmal an den unerwartetsten Orten auftauchen, während andere in der Hitze des Grills ihr Dasein verlieren.
Einerseits hängt die Qualität der gegrillten Bratwurst von deren Behandlung ab.
Unausgebildeten Wurstgriller und Wurstgrillerinnen sind das eine. Andererseits ist die Sache mit der Wurst ähnlich wie die mit dem Leben. Erfolg verträgt nicht jeder. Erst kommt Übermut und dann die Gier.
Die Thüringer Bratwurst hat eine sehr lange Tradition.
Das älteste nachgewiesene Bratwurstrezept soll aus dem Jahr 1432 stammen. Natürlich sind in der Thüringer Bratwurst gewisse Gewürze, die deren Geschmack bestimmen sollen. Jedoch geht es zuallererst um die Qualität des Fleisches. Was sagt uns das. Wer schnell viel Kohle machen will, der verwendet billige Zutaten. Hat zu heiße Kohle unter dem Grill, weil er schnell verkaufen möchte und macht damit alles kaputt. Die Wurst als auch den Ruf derselben.
Nach mehreren Anläufen und einer fünfjährigen Streiterei mit Konkurrenten wurde die Thüringer Bratwurst am 3. Januar 2003 von der EU in Bezug auf die geografischen Angaben geschützt. „Die Kommission wird gemäß Artikel 6, Absätze 3 und 4 diese Bezeichnung in das Verzeichnis der geschützten geografischen Angaben eintragen“.
Und was bedeutet das. Jedenfalls nix Gutes für die Qualität. Jeder Thüringer Wurstproduzent kann beliebiges Fleisch in seiner Wurst verwursten, wie er will.
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Die geografische Herkunft ist lediglich ein Marketinginstrument und ermöglicht es gutgläubigen Verbrauchern eine eben nicht so gute Bratwurst teuer zu verkaufen.
Der Bratwurststand auf dem Bahnhof Hannover hingegen hat eine Bratwurst, die nicht nur gut gegrillt ist, sondern auch hervorragend – ja unvergleichlich – schmeckt. Und woran liegt dies. Natürlich am Inhalt. Das Strohschwein aus dem Landkreis Celle überzeugt ringsum. Und dass diese hochwertige Bratwurst auch noch um einiges günstiger ist, als die Thüringer Massenbratwürste in der Leipziger Innenstadt sein nur nebenbei erwähnt.
Bei so viel Euphorie gibt es doch eine Wurstsafttropfen. Denn die Schinkengriller vom gleichen Stand ist zäh und salzig. Leider auch der Darm hart und ledrig. Vermutlich ist der Umsatz zu gering und die Wurst lag zu lange auf dem Grill.
Wenn ich ihnen eine andere grobe Wurst empfehlen darf? Probieren Sie die von mir für des Weltkulturerbe vorgeschlagene Kölner Mett auf dem dazugehörigen Hauptbahnhof.
Resümee. Fahren Sie mit der Bahn! Ein verpasster Anschluss kann zu Entdeckungen genutzt werden.
Meiden Sie jedoch den Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe!
Kassel hat nicht nur ein Dokumentaproblem, sondern auch ein Bahnhofsproblem. Architektonisch eine Katastrophe. Verspäteter Brutalismus der unmenschlichen Art und der erste größere Bahnhof, den ich erlebte, auf dem man keine Wurst bekommt. Keine Bratwurst, keine Bockwurst, keine Wiener und auch keine Frankfurter. Ein Bahnhof ohne Wurst ist kein Bahnhof!