Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun Selbstbildnis der Malerin
Frau Rubens
Manchmal ist es notwendig, dass eine Königin interveniert.
Die Malerin Vigée-Lebrun hatte exorbitante Einkünfte als bevorzugte Porträtmalerin von Marie-Antoinette, der Gattin von Ludwig XVI., und doch wurde ihr die Aufnahme in die Académie royale de Peinture et de Sculpture verweigert. Nicht nur ihre Umsätze waren bedeutend, auch die Qualität ihrer Gemälde konnte sich durchaus sehen lassen. Und zu allem Überfluss soll sie eine der schönsten Frauen ihrer Zeit gewesen sein. Bilder können lügen, tun es aber in diesem Fall eher nicht. Man nannte Vigée-Lebrun nicht zu Unrecht „Frau Rubens“, dessen Stil sie in den feinsten französischen Rokoko überführte.
Der Bildvergleich könnte nicht eindeutiger sein.
Natürlich lässt es die künstlerische Größe der Marie Louise nicht zu, ein Werk ihres Vorbildes Peter Paul Rubens schlicht zu kopieren. Bildauffassung, Komposition bis hin zum Schmuck ihres Hutes verraten jedoch den Bezug zum flämischen Großmeister.
Schon als Kind und auch später saugte sie alles begierig auf, was mit Malerei zu tun hatte. Sie konnte Stunden über Stunden im Atelier ihres Vaters verweilen und ihm bei der Arbeit zusehen. Als sie nach dem Tod ihres Vaters und gegen den Widerstand ihrer Mutter – der Beruf des Künstlers ist mit Armut verbunden – beschlossen hatte, Malerin zu werden, verbrachte sie Tage, Wochen, Monate im Louvre, um die Gemälde der großen Meister zu kopieren.
Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun porträtiert sich selbstbewusst mit den Insignien der Malerei.
Ihr Blick zum Betrachter ist im Gegensatz zu Helene Fourment nicht der einer Beobachteten, sondern offensiv dem Betrachter zugewandt. Ungewöhnlich sind auch die leicht geöffneten Lippen, die eine außergewöhnliche Offenheit, ja Modernität in das Bild bringen.
Des Weiteren bezieht sich ihr Selbstporträt von 1782 nicht nur explizit auf den Großmeister des Barock, Peter Paul Rubens, sondern übersetzt dessen Malerei in das Rokoko.
Vigée-Lebrun stellt sich nicht nur als selbstbewusste Malerin dar, sondern auch als emanzipierte Frau. In ihren Selbstporträts erkennt man eine Modernität, die bei anderen Malerinnen der Epoche nicht zu finden ist. Natürlich wurde Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun wegen dieser – erotisch zu nennenden – Selbstdarstellung kritisiert. Man fand es ungehörig, sich lächelnd und mit entblößten Zähnen darzustellen. Die natürliche Lebendigkeit wird durch ihren virtuosen Malstil unterstrichen.
Der Vergleich mit ihrer Zeitgenossin Angelika Kauffmann macht dies besonders deutlich. Diese stellt sich in ihren Selbstbildnissen in einer geradezu männlich-ernsten und bedeutungsvollen Art dar. Femininität an sich ist anders. Malerisch sehe ich in dem hier gezeigten Beispiel eines Selbstbildnisses der deutschen Malerin einen starken Bezug zu Tizian. Vigée-Lebrun hingegen orientierte sich an Raffael und Rubens, die an sich schon „leichtfüßiger“ daherkommen als der schwerblütige venezianische Meister. Tizians Kolorit weist im Gegensatz zur luftigen, atmosphärischen Florentiner Renaissance eine gewisse Nähe zur nordischen Malerei dieser Zeit auf: erdverhaftet und ernst.
Ich schweife ab. Erst noch zum Lebenslauf
„Par ordre royale“ wurden die abstimmenden Herren der Akademie letztendlich am 31.05.1783 überwunden und zugleich auch ihre Kollegin Adélaïde Labille-Guiard in den Herrenverein eingeschleust. Nicht überliefert ist, wie die Künstlerkollegen in der Folge mit den Damen umgegangen sind. Wenn man dem Roman von Renate Feyl „Lichter setzen auf grellem Grund“ glauben darf, wurden sie letztendlich von den meisten männlichen Kollegen nicht nur akzeptiert, sondern auch geachtet.
Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun – als bevorzugte Porträtmalerin des Herrscherhauses – floh nach der Erstürmung von Versailles nach Italien.
Ihre Flucht führte sie über Wien nach Sankt Petersburg, wo sie, wie auch schon in Wien, zur Hofmalerin avancierte. Nach ihrer Ehe und Scheidung in Moskau ging es wieder Richtung Westen, da sie mittlerweile rehabilitiert war. In Berlin kam sie mit den Hohenzollern in Kontakt. Letztendlich wurde sie nach zwölf Jahren Exil ausgesprochen freundlich in Paris begrüßt. Mittlerweile in ganz Europa als Porträtmalerin bekannt, erhielt sie einen Porträtauftrag der neuen Dynastie und malte die Schwester von Napoleon Bonaparte. Als Porträtmalerin der herrschenden Klassen blieb sie sich treu. Stilistisch entwickelte sich die Malerin der Zeit folgend weiter. Das Bild von Caroline Bonaparte, Königin von Neapel und Schwester von Napoleon, ist dem Klassizismus zuzuordnen.
Im Falle ihrer Kollegin Adélaïde Labille-Guiard sieht der Karriereweg ähnlich aus.
Weil einer ihrer Aufträge für den Königsstaat nicht mehr zur Vollendung kam und sie die Gesichter der Königsfamilie auf anderen Gemälden übermalen musste, intervenierte eine Fürsprecherin. Eine Marie-Jo Bonnet, die nichts mit der später geborenen gleichnamigen Kunstwissenschaftlerin zu tun hat, klagte: „So dankte die Revolution der einzigen Frau, die ihre Autorität als Malerin und ihren Einfluss in den Dienst anderer Künstler gestellt hatte, der einzigen, die die gemeinsamen Bemühungen um mehr Freiheit und Gleichheit unterstützt hatte“. Daraufhin erhielt sie die exorbitante Summe von 2000 Livres. Auch Vigée-Lebrun erhielt eine „Unterstützung“ vom republikanischen Staat in Höhe von 1500 Livres, obwohl sie keineswegs notleidend war, denn sie hatte sich während ihres Exils erfolgreich durch die Herrscherhäuser Europas gemalt.
Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun war bekannt für ihre Fähigkeit, die Eleganz und den Charakter ihrer Modelle einzufangen. Ihr Talent brachte ihr Aufträge von bedeutenden Persönlichkeiten in Wien, Sankt Petersburg und Berlin ein. In Russland wurde sie besonders geschätzt und erhielt zahlreiche Aufträge vom Zarenhof. Trotz ihrer Erfolge im Ausland kehrte sie schließlich nach Paris zurück, wo sie weiterhin als angesehene Porträtmalerin tätig war.
Ihr Werk spiegelt eine einzigartige Mischung aus Barock und Rokoko wider, beeinflusst von Meistern wie Rubens und Raffael. Die Modernität ihrer Selbstporträts und die Virtuosität ihres Stils machten sie zu einer herausragenden Figur in der Kunstwelt des 18. Jahrhunderts. Selbst nach der Rückkehr aus dem Exil blieb sie eine gefragte Künstlerin und erhielt Aufträge von der neuen Dynastie, darunter das Porträt von Caroline Bonaparte, Königin von Neapel und Schwester Napoleons.
Obwohl der Anteil der Künstlerinnen in der französischen Akademie von anfänglichen 3,6 % bis 1810 auf 17,8 % steigt, so sind diese denselben Karrierezwängen wie ihre männlichen Kollegen ausgesetzt.
Das bedeutet Anpassung. Heute hat sich einiges umgekehrt und manche Akademien (Kunstschulen) suchen händeringend männliche Bewerber. Staatliche Abhängigkeiten stehen nicht mehr im Vordergrund. Der Markt hat die Allmacht übernommen. Er ist unberechenbarer, undurchschaubarer und unerbittlicher als jede politische Einflussname.
Eine Meisterin und ihre Meister
Eine vergleichende Bildbetrachtung anhand des Mutter-Kind-Motivs zeigt die Traditionslinie, in der sich Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun bewegt.
Ich okkupiere hier den Begriff des „denkkräftigen Anschauens“ nach „Martin Heideggers Blick auf die Sixtinische Madonna und seiner Kritik an der Kunstgeschichte“ für mich und betrachte die Werke aus der Sicht des Malers.
Ich sehe dreimal das Motiv Mutter mit Kind. Zeitlich enthoben, sind diese Bilder zeitlos und in sich sehr ähnlich. Es ist unfair, das Gemälde von Rubens als das schlechteste zu identifizieren, da es ein Detail aus einer größeren Komposition ist und mir lediglich in einer eigentlich ungeeigneten Reproduktion vorliegt. Ich finde jedoch kein Motiv von ihm, das sich direkt mit denen von Raffael und Madame Vigée-Lebrun vergleichen lässt. Behelfsweise denke man sich Ähnliches.
Raffaellos und Marie Louises Darstellungen sind, stellt man sie sich gespiegelt vor, kompositorisch nahezu identisch. Selbst das schmückende Tuch um den Kopf zeigt die Nähe des Gemäldes der Malerin zu dem von Raffael.
Und doch sind es eigenständige Kompositionen. Da die Malerin nach Fertigstellung des Selbstbildnisses mit Tochter (1786), also 1789, nach Italien floh, kann man keinen direkten Bezug für einen möglichen Einfluss der Komposition durch das Original von Raffaels Gemälde herstellen, da sich die „Madonna della Seggiola“ in Florenz befindet. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Malerin eine Kopie in Paris gesehen hat.
Ein Nebensatz: Die wirklich gute Malerei erkennt man an den gemalten Händen.
Und diese sind der französischen Malerin überzeugend wie selten in der langen Geschichte der Malerei gelungen. Auch die technischen Möglichkeiten der MalerInnen der verschiedenen Epochen sind in Betracht zu ziehen. Obwohl Raffaels Madonna mit dem Kind eine Ölmalerei ist, wirkt sie eher wie eine Temperamalerei. Ich vermag nicht zu sagen, ob dies am Alter des Bildes liegt oder ob wenig Öl als Bindemittel verwendet wurde. Die Gemälde von Rubens und Vigée-Lebrun sind satter. Zu vermuten ist auch, dass die Entwicklung von Pigmenten später vorangeschrittener war und die Farbbrillanz schon allein dadurch eine höhere ist.
Obwohl Rembrandt Kritikern, die seinen pastosen Farbauftrag bemängelten, entgegnet haben soll – man schaut sich ein Bild nicht mit der Nase an – tue ich dies regelmäßig und löse dabei gelegentlich Alarm im Museum aus.Die Maltechnik des Kollegen Rubens studierte ich eingehend, als ich mit P.U.D. an einem Projekt arbeitetet, welches wir „In Spirit of Rubens“ nannten. Für dieses Vorhaben benötigten wir möglichst authentische Kopien rubensscher Gemälde.
Rubens arbeitete mit eingedicktem, gebleichtem Leinöl.
Rubens verwendete sonneneingedicktes Leinöl. Um dieses herzustellen, gibt man gebleichtes Leinöl in einen flachen Behälter und deckt diesen mit einer Glasplatte ab. Als Abstandshalter – es soll neben dem Sonnenlicht Luft zur Oxidation an das Leinöl gelangen – schneidet man Scheiben von einem Weinkorken ab und legt diese zwischen Behälter und Glasplatte. Der Oxidationsprozess benötigt etwa ein Jahr. Das Öl muss von Zeit zu Zeit umgerührt werden, damit sich keine Haut auf dessen Oberfläche bildet. Wir haben dem Malmittel einen Teil Dammarfirnis als „Trocknungsbeschleuniger“ zugesetzt. Die flämische Malerei ist ohne dieses Zaubermittel nicht denkbar. Und wenn man Cellulite so fein malen will, wie es Rubens tat, geht ohne dieses Öl gar nichts.
Raffael hingegen, und das sind Vermutungen, malte mit einer mageren Farbe auf stark saugendem Untergrund.
Die Pinselstruktur ist zeichnerisch und fast trocken aufgesetzt. Das Zeichnerische ist im Gegensatz zur Technik von Rubens ein Merkmal der florentinischen Malerei. Rubens verwendete die Technik des Sfumato, um den atmosphärischen Charakter seiner Bilder zu steigern. Dabei werden die Umrisslinien mit dem Pinsel und der noch feuchten Farbe verrieben. Zum Beispiel nimmt – unter anderem – der Klassizismus die Maltechnik Raffaels wieder auf und stellt die klare Zeichnung in den Vordergrund.
Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun legte sehr großen Wert auf die Qualität der von ihr verwendeten Pigmente.
Auch die Öle – sie verwendete unter anderem Mohnöl und exorbitant teures Lavendelöl – waren das Hochwertigste auf dem Markt. Im Gegensatz zu Rubens verteilte Marie Louise die Farben dünn und fein. Sie arbeitete mit Lasuren, die durchscheinend sind und das Inkarnat besonders zur Geltung bringen. Bemerkenswert ist die Behandlung der Schattenpartien. Durch feinste, kühle Lasuren wirken diese besonders lebendig.