Kulturhauptstadt Valletta mit geplanter Obsoleszenz
Jährlich wird eine Stadt in einem Land der EU zur europäischen Kulturhauptstadt ausgerufen. Man kennt die Bilder aus dem TV. Oft sieht das Ganze ein wenig nach Karneval aus.
Diese medial aufbereiteten Festivitäten fügen unserer lichtverschmutzten Umwelt zusätzlich einige lichtverschmutzende Lichtshows hinzu, deren Vergänglichkeit mit der Unterbrechung der Stromzufuhr besiegelt ist.
Seit der „Erfindung der Kulturhauptstadt“ durch eine griechische Kulturministerin in den 1980er-Jahren findet dieser Zirkus jährlich in einer anderen Stadt statt.
Hunderten Kulturbeamten wird durch diese Maßnahme ihre Existenzberechtigung gesichert, denn die Kulturhauptstadt Valletta mit geplanter Obsoleszenz ist nur ein Beispiel. Sie fallen nicht in eine unendlich tiefe Depression und belasten damit die Krankenkassen. Außerdem kann man ein wenig Geld hin und herschieben um der Baukonjunktur der jeweilig auserkorenen Stadt einen flüchtigen Aufschwung bescheren. Wie üblich gehen von dem üppigen Etat 10 Prozent in künstlerische Projekte, die nicht nur unterhaltender Natur sind, sondern auch schnell vergessen.
Freilich ist vieles von dem, was ich hier schreibe und behaupte einem gewissen Vorurteil geschuldet, denn eigentlich habe ich noch nie eine Kulturhauptstadt wissentlich besucht.
Oder wenn ich da war, war nichts mehr von dem Spektakel zu sehen. Andererseits, wenn in Baden-Württemberg ganze 10 % des Kulturetats in die Kunst an sich fließen, dann wird das bei dieser europäischen Veranstaltung nicht anders sein. Es ist ein Phänomen, das in einer fortschreitend zivilisierten Gesellschaft die Kunst eher flacher wird, aber immer mehr Menschen daran partizipieren. Duchamp sprach von Läusen am Hintern der Künstler. Diese haben sich zu Zecken gewandelt und infizieren die Künstler mit dem Gift der Marktgängigkeit oder stülpen ihnen ihre eigenen Theorien über, als seien sie eine freie und beliebig formbare Verfügungsmasse.
Von der Stadt Valletta hörte ich, sie sei Kultur an sich und überhaupt eine sehr schöne Hauptstadt eines sehr kleinen Landes. Dienstlich fuhr ich letztens mit einem Schiff (da) vorbei. Nein – wir legten sogar für einige Stunden im Hafen an.
Um mir nach langen Tagen und Wochen an Bord – und mit kulturellen Aufgaben betreut – die Füße zu vertreten, spazierte ich durch die sehr schöne Trutzburg Valletta.
Wegen dieser geografisch und strategisch ideal gelegenen maltesischen Stadt stritten sich schon immer diverse Mächte. Heutzutage kann man hier die Staatsbürgerschaft der EU mithilfe einer ausreichenden Barschaft in Euro erwerben. Russen und andere – unserer Kultur zugeneigter Menschen – wickeln dieses Geschäft in der europäischen Kulturhauptstadt ab und kaufen sich nebenbei auch noch ein Stück der Insel.
Man kennt die gemeinhin „Stadtmöblierung“ genannte Kunst im öffentlichen Raum. Meist übersieht man jene plastisch-dekorativen Werke. Manchmal stehen sie im Weg. Valletta hat eine geniale Lösung gefunden und die geplante Obsoleszenz gleich in diese Kunststückchen einbauen lassen. Dazu später mehr.
Gerade wenn man durch fremde Städte streift, findet man viele Objekte, die den Namenszug „Kunst“ lässig tragen könnten, auch wenn sie praktischer Natur sind und einen profanen Zweck erfüllen.
Briefkästen zum Beispiel. In stringent sachlicher Form und farblich konsequent ausgeführt, gehörten diese, zu den besten neueren Objekten, die ich in der Hauptstadt der Kultur sah. Anfänglich betrachtete ich sie wirklich als Kunst, ehe ich den Briefschlitz unterhalb des Kapitells entdeckte
Auch der Turm der Kühe machte mir einen vertrauten Eindruck, kennt man ja ähnlich gestapeltes Getier aus einem Märchen der Gebrüder Grimm.
Aber ich entdeckte an diesem Rinderturm auch die geplante Obsoleszenz. Einem der Rinder ging ein Horn verlustig und das Schaumpolystyrol kam zum Vorschein. Nicht nur die Frage der Umweltverträglichkeit stand im Raum.
Am eklatantesten war der Zustand unserer Kunst am Innen und Außen der St. John’s Kathedrale zu erkennen.
In dem überbordenden Glanzstück barocker Architektur findet man ein Gemälde des Caravaggio. Und außen, direkt seitlich des Portals, einen Hund und eine Katze aus Schaumpolystyrol. Mich persönlich hat diese Konstellation zum Nachdenken gebracht. Über Kunst und Zeit und Anspruch und was mit unserer Gesellschaft los ist. „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“ behauptet Johann Wolfgang von Goethe. A priori ist diese Behauptung nicht aufrechtzuerhalten. Denn fast jeder kann heute jedes sehen und müsste erkennen, das es eine Kunstqualität gibt, welche sich nicht nach Geld bemisst oder deren Tauglichkeit für ein Event.
Die Infantilisierung der zeitgenössischen Kunst – als auch der gesamten Gesellschaft – ist in einem fortgeschrittenen Stadium angekommen.
Malbücher für Erwachsene verkaufen sich besser als Literatur. Unsere Kinder lernen in der Schule mit Spachteln Schlieren auf billige Leinwände aufzubringen und so Gerhard Richter zu imitieren. Oder aber sie schnippeln aus Buntpapier 3-D Figuren im Stil von James Rizzi, denn in ihrem BK-Lehrbuch ist dieser Dekorateur ernsthaft als bedeutender POP-ART Künstler geführt.
Der Besuch der Kulturhauptstadt Valletta mit geplanter Obsoleszenz war dann doch ergiebig. Denn im Museum der Stadt habe ich ein Gemälde entdeckt, welches verdammt nach einem Caravaggio aussah, aber keiner war.
Meine Kulturhauptstadtentdeckung des Jahres ist Valentin de Bologne (1591-1632). Ein französischer Maler, der mir bis dato unbekannt war, obwohl von ihm im Prado, dem Louvre oder der Galerie der alten Meister in Dresden und auch in Valletta Bilder zu sehen sind. Reisen bildet eben doch.