Karls beweglicher Hochsitz und sein Leben
Karls beweglicher Hochsitz
Karl Schnabel war stets darauf angewiesen, sich anderen Jägern anzuschließen, da er kein eigenes Jagdrevier besaß. Als Direktor der örtlichen Sparkasse im Westerwald kannte er die Jäger und ihre finanzielle Lage besser als jeder andere.
Sogar die Söhne der Jäger, die es schafften, das Abitur zu absolvieren, kehrten nach ihrem Studium zurück, obwohl die Gegend weitgehend abgelegen war. Sie übernahmen die Reviere ihrer Väter seit Generationen und heirateten die wenigen jungen Frauen aus den umliegenden Dörfern und Ortschaften, die noch nicht fortgezogen waren.
Karl Hubert, ein Fuhrunternehmer, verstand sich gut mit Schnabel und lud ihn oft zu Ansitzen ein. Sie schwiegen, wenn nötig, und unterhielten sich, wenn es etwas zu besprechen gab. Sie schafften es, ihre Schüsse in derselben Millisekunde abzufeuern, ohne sich gegenseitig zu stören – weder indem einer das Wild des anderen verscheuchte noch indem einer dem anderen einen stattlichen Hirsch unter der Flinte wegschoss.
Die beiden harmonierten gut miteinander. Aber Karls Sohn begleitete sie immer seltener in den Wald, da er in Heidelberg studierte.
Sie gingen mit Bedacht und Ruhe vor, betraten das Revier lange vor Einbruch der Dunkelheit, um frische Spuren zu finden. Sobald sie welche entdeckt hatten, wählten sie einen Hochsitz aus und hielten dort aus, bis sich das Damwild direkt vor ihnen niederließ. Die Lichtungen, die sie wählten, boten ausreichend Äsung. In völliger Stille und ohne den Atem anzuhalten, lauerten sie mit der Waffe im Anschlag, um ein Stück sorgfältig auszuwählen. Sobald eines der Tiere den Kopf hob – sei es durch raschelndes Geäst oder das Vorbeischnüren eines Fuchses -, feuerten sie gemeinsam einen Schuss ab, und zwei stattliche Stücke Rotwild lagen vor ihnen.
Als sie jedoch ihre Gewehre mehrere Wochen, gar Monate, luden, ohne dass Wild auftauchte, wurde klar, dass die Winde sich gegen sie verschworen hatten. Früher kam der Wind aus Westen, jetzt jedoch beständig aus Osten. Die Ansitze waren falsch ausgerichtet.
Der gute Wind kam von vorn, doch Nacht für Nacht blies er von hinten und trug ihren Geruch zum Wild, das daraufhin misstrauisch wurde. Ginge dies so weiter, würden die befreundeten Jäger das Wild bald vergrämt haben.
Karl Schnabel bemerkte, dass Karl Hubert schlecht gelaunt war. Dass nicht bei jedem Ansitz etwas erlegt wurde, war ihnen bekannt und gehörte zum Dasein eines Weidmanns. Früher hatten sie zwar unverhältnismäßig viel Erfolg gehabt, aber die vergeblichen Nächte waren eigentlich kein Grund für eine derart schlechte Laune.
In Karls Toyota Land Cruiser konnte es Karl Hubert nicht mehr aushalten und fragte Karl, was mit ihm los sei. Karl schnaubte, ähnlich einem Eber, und knurrte. „Hätte ich meinen Sohn doch nur nicht Germanistik studieren lassen“, sagte er. Karl entgegnete: „Lehrer zu werden ist keine schlechte Wahl, auch wenn dir der Nachfolger fehlt. Es gibt Schlimmeres.“ „Er will Schriftsteller werden, nicht Lehrer“, schnaubte Karl abfällig. „Und neulich hat er sich geweigert, mit mir auf die Jagd zu gehen. Er findet es ‚abscheulich, Tiere zu töten‘, wie er sagt. Er wird noch zum Müßiggänger und grünem Lotterbuben. Er sieht schon jetzt ganz blass aus. Wofür habe ich das verdient?“
Sie vereinbarten kein neues Treffen, als Karl den Sparkassendirektor ablieferte. Der Fuhrunternehmer sah Karl Schnabel nicht einmal an, als sie sich verabschiedeten, gab aber beim Anfahren so wütend Gas, dass die Räder durchdrehten.
Am nächsten Tag rief Karl in der Sparkasse an und sagte Karl, er gebe sein Jagdrevier auf. Er fragte, ob Karl es übernehmen wolle. Karl vergaß den Verkaufsauftrag eines Kunden und ließ den Aktienhandel Aktienhandel sein.
Die Freude über das eigene Revier wurde jedoch durch den unberechenbaren Wind getrübt. Ab Februar blieben ihm nur Schwarzwild und Böcke. Schmalspießer, Hirsche und Ricken hatten Schonzeit. Eine Jagdsaison ohne ordentliches Gehörn! Nur wegen des Winds. Karl wollte seine Hochstände neu ausrichten lassen, kam aber nach dem Kostenvoranschlag der Forstverwaltung schnell davon ab. Es gab Sicherheitsbedenken – eine Straße hier, ein Wanderweg dort. Selbst die Hühnermastanlage wurde plötzlich als Sicherheitsrisiko angesehen.
Er wollte sein Jagdbudget nicht überziehen, zumal seine Frau, von der er sich mittlerweile getrennt hatte, hohe Ansprüche geltend machte.
Da kein Gewinn durch den Verkauf von Wildbret zu erwarten war, stand das Konto, das für seine Leidenschaft eingerichtet worden war, bereits vor Beginn der Schonzeit tief im Minus. Er grübelte in seinem Dachzimmer, fand jedoch keine Lösung für das Windproblem. Karl war von zu Hause ausgezogen.
Der Durchbruch kam beim Karnevalsumzug. Karls Leben war gerettet. Er sah den Karnevalsprinzen auf einem Umzugswagen in einer Kiste mit einem Dach stehen, aus der er Kamelle auf das Publikum warf – ein beweglicher Hochsitz. Karl erinnerte sich an einen seiner Kunden, einen alten Stellmacher in Mammelzen, und beauftragte ihn, seine Idee eines beweglichen Hochsitzes umzusetzen.
Sobald die Schonzeit vorbei war, fuhr er seinen Hochsitz jeden Abend in den Wald und in den richtigen Wind. Er wählte saftig bewachsene Lichtungen aus und suchte die am häufigsten frequentierten Wildwechsel seines Reviers auf. Er erlegte so viel Schwarzwild, dass er nicht einmal die ihm allein zustehende Leber essen konnte.
Auch den von Niederwild frequentierten Pass konnte er nun bequem bejagen und seltene Feldhasen zu einem guten Preis an ein Gourmetrestaurant in Köln liefern.
Ernst lebte seitdem im Wald und war selten an seinem Schreibtisch zu sehen, da er tagsüber