Susanna im Bade wissenschaftlich betrachtet.
Sobald die Werke abgehangen sind, verschwindet die Erinnerung an die meisten Ausstellungen im weißen Rauschen des redundanten Kunstbetriebs. Oft bleibt lediglich ein schaler Geschmack zurück.
Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln widmete vom Oktober 2022 bis zum Februar 2023 eine Ausstellung speziell dem Thema Susanna im Bade.
Es gelang diesem umfangreichen Unternehmen eine Grundlage für das Verständnis von Motiv und Deutung zu entwickeln. Es ist zu wünschen, dass die umfangreiche Publikation zur Ausstellung Eingang in die Lehre findet.
Einerseits wird in diesem Kontext auch auf das strapazierte Thema MeToo eingegangen. Andererseits gelingt es jedoch, den Tatbestand der Nötigung in einen historischen Kontext zu stellen.
Denn die Ausstellung im Wallraf zu Köln mit dem Titel „Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ steht auf wissenschaftlichen Füßen. Die Kuratoren und Kuratorinnen laufen nicht populistisch einem Thema nach, welches durch die überbordende Aufmerksamkeitsökonomie oft unreflektiert und ideologisch ohne jede Verhältnismäßigkeit ausgeschlachtet wird. Denn eine Minderheit vermag mit inquisitorischer Anmaßung nicht nur das Thema „Susanna“ im Bade“ zu diskreditieren und tritt damit die Kunstfreiheit mit Füßen. Würde man diesem Streben folgen, bedeutete dies ein Ende der Kunst wie wir sie kennen. Vergessen scheinen die Zeiten der Zensur.
Die Kunstwissenschaftler und Kuratoren dieser Ausstellung haben jedoch nicht auf die „Quote“ geschaut, sondern einfach ihre Arbeit sehr gut und gewissenhaft gemacht, auch wenn ich an einigen Punkten anderer Meinung bin oder mir Kommentare zu Zitaten gewünscht hätte.
Ich möchte am Anfang meiner Überlegungen und Betrachtungen Bedenkenswertes voranstellen. Der Mensch ist ein Säugetier. Genauer ein Plazentatier. Unser Geschlechtstrieb wird von der Amygdala nahe der Spitze unseres Temporallappens liegend gesteuert und durch kulturelle Vereinbarungen in einen gesellschaftlich verträglichen Rahmen gebracht. Der für Lernprozesse und für das Gedächtnis verantwortliche Hippocampus liegt zwar unmittelbar neben der Amygdala, scheint jedoch bei vielen Vertretern unserer Gattung mit seinem Nachbarn nur dürftig zu kommunizieren.
„Es wohnte ein Mann in Babylon mit Namen Jojakim; der hatte eine fromme Frau, die hieß Susanna, eine Tochter Hilkijas; die war sehr schön und fürchtete den Herrn. Denn sie hatte fromme Eltern, die ihre Tochter nach dem Gesetz des Mose unterwiesen hatten.“
Lutherbibel 2017.
Die ersten Texte über den sexuellen Übergriff an einer Badenden stammen vermutlich aus dem Zeitraum von 198 bis 63 vor Christus.
Also wird die eigentliche Erzählung noch um einiges älter sein. In dieser Erzählung des Übergriffs ging es jedoch zuerst um den Machtmissbrauch und nicht um die sexuelle Nötigung. Denn die übergriffigen Alten waren Autoritäten. Es ist von „Ältesten“ und „Richtern“ die Rede. Der zivilisatorische Erfolg liegt darin, dass die übergriffigen Alten vor Gericht unterliegen, weil sich Susanna zeitnah und heftig wehrte. Das Geschick des Propheten Daniel im Kreuzverhör war ausschlaggebend für die Verurteilung. In erster Linie geht es also nicht um die sexualisierte Gewalt, sondern den Missbrauch von Macht. Denn schon damals war klar, dass dieser Missbrauch eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellt. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Was für die Erzählung von damals galt, ist noch heute von Brisanz, denn diese Mechanismen haben selbst die Aufklärung und die unvollendete Demokratisierung überlebt.
Das kurz zur Geschichte, denn wie wir in unseren Tagen mit Entsetzen feststellen müssen, hat sich im Reich der menschlichen Säugetiere nicht viel geändert.
Zu Kunst und Bild | Susanna im Bade
Eine der ältesten Susanna-Darstellungen, die wir kennen, wurde in den Katakomben in Rom gefunden.
Auf diesem Fresko wird Susanna als Schaf zwischen zwei Wölfen dargestellt. Diese Allegorie zeigt, dass es sich bei der Erzählung Susanna im Bade nicht um eine Schilderung im tatsächlichen Sinne handelt, sondern um ein Sinnbild.
Auf einer Miniatur aus dem 9. Jahrhundert ist eine sich kämmende Susanna zu sehen, die in ihrer Intimität von den Alten gestört und bedrängt wird.
Die femininen Haare und deren Bedeutung in der Kunst als erotische Komponente sind ein Topos. Neu war mir in dieser Beschreibung jedoch, dass die übereinandergeschlagenen Beine einer weiblichen Figur als lebendiger „ceinture de chasteté“ (Keuschheitsgürtel) gedeutet werden. Ich fand eine wissenschaftliche Arbeit von J.J. Tikkanen – Beinstellungen in der Kunstgeschichte – aus dem Jahr 1912, in der dies beschrieben wird.
Natürlich ist es legitim, wenn sich Wissenschaftler Gedanken über Nasen machen.
Ich habe das Gemälde Susanna und die Alten von Peter Paul Rubens schon einige Male gesehen, fand auch den Gesichtsausdruck des rechten Alten mit seinem geil-stierenden Blick beachtlich, bin jedoch nicht auf die Idee gekommen, in ihm einen Juden zu sehen. Für mich hatte er den Typus eines Satyrs. Die Hakennase hätte ich nicht als stereotyp eines antisemitischen Vorurteils gesehen. Zumal mir ein Satyr mit Stupsnase unbekannt ist.
Als Praktiker sehe ich zuerst, dass es Rubens auch in dieser Komposition gelungen ist, unser Auge zu täuschen.
Denn der Arm, den Susanna nach links oben streckt, hat keine logische Verbindung zu ihrem Oberkörper. Nicht das mich dies stören würde. Ich sehe es einfach. So wie auch die Figuren auf dem Gemälde der Raub der Töchter des Leukippos anatomisch sehr „fantasievoll“ gestaltet sind und in der Realität alles zusammenbrechen würde. Mit forschendem Stift habe ich dies herausgefunden, indem ich die Leiber unter den sie verhüllenden Tüchern komplettiert habe. Also die Reproduktion mit Transparentpapier abdeckte und die Leiber der Töchter in den verdeckten Partien linear ergänzte. Das ist die Wissenschaft des Malers. Sie forscht am Gegenstand, um ihn zu begreifen.
Die Kunstwissenschaftler sehen auf dem Gemälde von Tintoretto „Die beiden Alten“ (oder auch „Susanna im Bade“) dem Titel folgend die beiden Alten und analysieren diese nach allen Regeln ihrer Kunst.
Mich interessieren hingegen Susanna, die floralen Motive, das seidige Inkarnat ihres Leibes und den gekonnten Chiaroscuro-Effekts den der Maler aufs trefflichste beherrschte. Auch die von ihm angewendete Dreieckskomposition und nicht zuletzt die Anwendung des Goldenen Schnitts ist interessant.
Es ist lediglich eine Spekulation.
Aber Tintoretto sah dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auch so und konzentrierte sich auf die Darstellung der Badenden, die das Bild dominiert. Nebenbei natürlich auch auf den Hirsch im Hintergrund. Die Alten waren dem Thema geschuldet und mussten auch aufs Bild. Natürlich kann man im Hirsch ein Symbol für Wollust sehen. Wenn man will, ist auch Haar und Hase in der Kunst allgegenwärtig. Überhaupt scheint jedes Ding als Symbol zu taugen.
Mich würde es jedoch interessieren, wer dieses Gemälde in Auftrag gab und welchen Raum es ursprünglich schmückte. Dem Auftraggeber ging es vermutlich um die vordergründig dargestellte Schönheit der Frau.
Bis in das 19. Jahrhundert hinein war eine Darstellung von Nacktheit ohne einen allegorischen Bezug selten.
Vom Großmeister Rembrandt gibt es einige Aktdarstellungen ohne Bezug zur Mythologie oder biblischen Erzählungen. Ich denke an einige Radierungen wie die sitzende Frau am Ofen und andere grafische Arbeiten. Peter Paul Rubens malte seine zweite Frau Helene Fourment fast nackt, nur mit einem Pelzchen spärlich bedeckt.
Erst Manets Olympia befreite die Aktmalerei und gab ihr neuen Raum. Und André Brouillett interpretiert gleich das Susanna-Thema um und stellt es auf den Kopf.
Auch wenn der Aufsatz im Katalog zur Ausstellung „Susanna – Bilder eine Frau vom Mittelalter bis MeToo“ von Roland Krischel differenzierter ist als die Texte in der Publikation zur Hamburger Ausstellung Femme fatale, die ich als Fanal bezeichnet habe, so begeht Krischel doch den Fehler, Werk und Künstler gleichzusetzen.
Ich möchte Ihnen hier nicht zumuten, die dezidiert sexuellen Arbeiten von Käte Kollwitz oder anderen Künstlerinnen (z.B.Miriam Cahn) zu sehen. Aber lassen wir das.
Oder eben nicht. Einige Sätze zu meinen Erfahrungen mit Aktmodellen. Ja, es gab wenige, für die Geld ein Beweggrund war, Modell zu stehen. Ein Grund! Hätte ich gespürt, dass ihnen sich nackt zu zeigen unangenehm gewesen wäre, hätte ich die Zusammenarbeit sofort beendet. Sorry. Ich habe sie in wenigen Fällen beendet, weil das einerseits unangenehm ist und sich ein gehemmtes Modell nie natürlich gibt.
Die überwiegende Zahl der Modelle wollte keine Bezahlung, sondern eine Aktzeichnung meiner Hand von sich. Durchaus auch sehr sinnliche Zeichnungen. Anlässlich von Ausstellungen auf denen Gemälde gezeigt wurden, für die sie Model waren, kamen sie mit ihren PartnerInnen und waren stolz in die Bilderwelt eingegangen zu sein.
„Die Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)
Und damit möchte ich doch auf die differenzierte Betrachtung von Anja K. Sevcik in dem Katalog verweisen. Sie merkt an: „Auch wenn Künstlerschaft und Klientel im Barock überwiegend männlich geprägt waren, so wurde „Susanna“ durchaus von Frauen rezipiert, die hinter der Entblößung der biblischen Heldin ganz offensichtlich keine Bloßstellung vermuteten – im Gegenteil.“
Diese Erkenntnis kann ich auch für mein Umfeld vollkommen teilen und möchte hiermit zu der Künstlerin Artemisia Gentileschi kommen.
Denn die #MeToo Diskussion hat auch ihr GUTES. Eher am Rand des Kunstgeschehens stehende Künstlerinnen treten wieder ins Rampenlicht. Die Malerin Lotte Laserstein, die vor den Nazis ins schwedische Exil flüchtete und die Aktmalerei emanzipiert. Ein Skandal ist jedoch die späte Wiederentdeckung. Oder die emanzipierte Malerin Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun, eine sinnliche Porträtmalerin mit Geschäftssinn.
Dieses Bild, malte die Künstlerin vermutlich in ihrem 17. Lebensjahr.
Die junge Artemisia Gentileschi war selber ein Opfer von sexuellem Missbrauch. Sie war die Tochter des Malers Orazio Gentileschi. Dieser gab sie zu einem befreundeten Maler in die Lehre und sie wurde von ihm sexuell missbraucht. Letztendlich landete der Fall vor Gericht und nicht der Peiniger wurde gefoltert, sondern das Opfer um herauszufinden, ob sie die Wahrheit aussagte. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung – die Selfmadefrau des Barocks.
Ich möchte in dem Zusammenhang ohne weiteren Kommentar auf Ihr Gemälde „Das natürliche Talent“ eingehen.
Dieses Gemälde wurde von Michelangelo Buonarroti dem Jüngeren (1568–1646) als eines der Gemäldeserie in Auftrag gegeben, die das Leben seines Großonkels Michelangelo Buonarroti verherrlichen sollte.
Nach der Analyse der Gesichtszüge ist davon auszugehen, dass sich die Künstlerin selbst, und zwar nackt darstellt. Diese Nacktheit wurde ebenso wie Michelangelos jüngstes Gericht in der Sixtinischen Kapelle mit Schleiern und Vorhängen übermalt.
Die Ende 2022 begonnenen Restaurierung wird die Übermalungen nicht ohne Beschädigung des Werkes beseitigen können. Demnächst soll eine digitale Nachbildung des Originalzustandes präsentiert werden.
Der Katalog Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo ist für mich schon jetzt ein Standardwerk der kunstgeschichtlichen Erforschung des Themas Susanna im Bad. Und steht in seiner Bedeutung diametral zu dem Pamphlet der Hamburger Ausstellung Femme fatale.
Ich sehe die Kölner Ausstellung positiv als auch negativ. Positiv: ja endlich mal eine Ausstellung die den Namen Susann verdient. Negativ deshalb, weil viele moderne Interpretationen und kritische Darstellungen noch nocht einmal erwähnt werden, geschweige den Beispiele im Katalog angegeben werden. Sehr schade, zumal gerade die moderneren Bilder mit der sich selber verteidigenden Susanna nicht auftaucht.