Haar und Hase in der Kunst
Was treibt die Kunst an, wenn nicht die, des Menschen eigenen Gefühle.
Sehnsucht und Melancholie sind zwei wichtige Aspekte, aber auch Haar und Hase in der Kunst sind nicht zu unterschätzen.
Sehnsucht und Melancholie sind vermutlich die wichtigsten Impulse für die Produktion von Kunst. Haar und Hase dienen lediglich zu deren Illustration.
Jede Empfindung hat seine eigenen Koordinaten und ist nicht ohne einen Anlass zu denken. Eros und Thanatos, Verzweiflung und Hoffnung sind nur einige, wohl aber die wichtigsten Gefühle zu den Sehnsüchten des Menschen. Wir sind von komplementären gefühlen Getriebene und müssen uns in diesem Durcheinander zurechtfinden. Die Melancholie hat also vielfältige Facetten.
Dürers Kupferstich mit dem Titel „Melencolia“ ist wie das Gefühl der Melancholie. Rätselhaft.
Generationen von Bildbetrachtern versuchten und versuchen sich in der Entschlüsselung dieser komplexen Komposition. Wieso ist Melencolia mit Flügeln ausgestattet? Auch der Blick dieser rätselhaften Figur ist nicht freundlich und eher der eines veritablen Racheengels.
Sollte Dürer einen Erzengel gemeint haben, ist die Frage, warum hält dieser einen Zirkel in der Hand und sein eigentliches Erkennungsmerkmal, das Schwert, ist eine am Boden liegende Säge.
In seiner Hand hält er statt des Tod bringenden Instrumentes einen Zirkel, mit dem er offensichtlich nichts anzufangen weiß, außer ihn dem Betrachter als Symbol der „Sternenmesskunst“ herzuzeigen. Wage, Sanduhr und Glocke. Gerechtigkeit und Zeit. Das letzte Stündchen? Der Engel denkt grimmig nach und der Hund zu Füßen dieser melancholischen Figur schläft friedlich.
Hier lasse ich von meinen Deutungen ab. Dürer zu fragen, wäre der einzige Weg, Licht ins Dunkel zu bringen, denn er kannte sich nicht nur mit Haar und Hase in der Kunst gut aus.
Und wenn er auf unser rätseln sagen würde: Habt ihr es nicht begriffen? Es ist Surrealismus. Was dann? Dann würden wir begreifen, was er in diesem Falle meint. Kunst ist zum empfinden und nicht zum Lesen da.
Freilich illustrierte Dürer auch die Bibel. Stellte Adam und Eva dar, wie sie im Begriff sind, das Unheil auf die Welt zu bringen, mit dem wir uns noch heute herumschlagen.
Auch auf diesem Kupferstich sind einige Tiere zu entdecken. Jene zu deuten und einzuordnen fällt nicht schwer. Hier hilft uns die christliche Ikonografie. Da herrscht Ordnung und sie ist in Stein gehauen wie die zehn Gebote des Moses. Also macht es uns die religiöse – im Gegensatz zu „weltlichen“ Motivik – einfach sie zu entschlüsseln. Weiß man doch, wo Himmel und Hölle zu verorten sind. Alles ist an seinem Platz und schon fühlt man sich geborgen.
Aber Achtung, Haar und Hase in der Kunst! Einer der hier beschriebenen (Kunst) Hasen taucht nicht nur auf einem Stich Dürers auf. Auf die Folgenden kommen wir später zurück.
Was ich damit sagen will? Ein Bild mag aus zahllosen Einzelteilen und Einzelheiten bestehen, aber nur zusammen ergeben sie das Ganze.
Und so mancher begreift Kunst nicht, weil er sich im Detail verliert.
Ich vermute, Dürer hatte einen besonders guten Tag erwischt, als er die Komposition Melencolia entwarf. Er zeichnete vor sich hin, trällerte ein Lied und wusste nicht, wo es enden würde.
(Anmerkung des Künstlers: Die Stimmung der oder des Kunstschaffenden ist im Augenblick der Herstellung eines Kunstwerkes nicht mit dessen Aussage zu verwechseln.)
Nach einigen Stunden oder Tagen trat Dürer vermutlich ein, zwei Schritte von seinem Entwurf zurück, um das Geschaffene besser zu überblicken. Oder er benutzte ein Minusglas, um sein Werk zu betrachten. Nach der eingehenden Betrachtung schüttelte er leicht das Haupt, seine Haare wogten durch die Luft und Dürer entschloss er sich dieses Blatt Melencolia zu nennen. Also fügte die entsprechende Inschrift hinzu.
Das Dargestellte entfachte in ihm diese Wirkung und vertrug keine andere Benennung. Somit ist eine weitere Hypothese in Umlauf gebracht.
Und eines möchte ich noch anmerken. Der Entwurf zu Melencolia entstand 1514. Aber erst im Jahr 1770 entdeckte Edward Nairne, dass sich Kautschuk zum Entfernen von Bleistiftstrichen auf Papier eignet. Ja. Und jetzt wird es noch komplizierter. Den Bleistift gab es zu Dürers Zeiten meines Wissens nicht. Denn er verwendete Silberstift und Tusche, um auf Papier zu arbeiten. Diese Materialien lassen sich nicht radieren. Also musste man sich als Schöpfer für seine Schöpfungen gelegentlich etwas einfallen lassen, denn Strich ist Strich und Stich ist Stich. Was nicht radiert werden kann, ist für immer in der Welt.
(Anmerkung: Ob es ein Zufall ist, dass die ersten „Bleystefftmacher“ ausgerechnet in Nürnberg, der Dürerstadt, im späten 18. Jahrhundert ihrem Gewerk nachgingen, ist nicht bekannt.)
Es gab Zeiten, in denen handwerklicher Dilettantismus bös auffiel und die Behauptung, man sei Künstler erst bewiesen werden musste. Haar und Hase in der Kunst mussten dargestellt werden und erkennbar sein. Nur behaupten genügte nicht.
Und was hat dieser Exkurs mit den Hasen zu tun? Auf der Fotografie After Sunset von Horst Kistner sind solche zu sehen. Nicht gemalt oder gestochen, sondern mit Licht abgebildet. Kistners Werk hat jedoch weitere Facetten. Dazu gehört die Grundstimmung. Die Nacht mit Erscheinungen am Himmel und das Mystische. Also kam mir der Stich von Dürer in den Sinn, auch wenn von weit her gedacht. Seine Fotografie sehen Sie gleich.
Der Hase und die Kunst. Hier einige Beispiele, welche Rolle dieses äußerst fruchtbare Tier im Zusammenhang mit der Darstellung von Frauen spielt. Weiterzugehen wäre zu viel des Guten und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
In Horst Kistners Komposition After Sunset werden Bildelemente verwendet, die sich einerseits lesen lassen und andererseits einen surrealen Ansatz haben. Also mit den Sinnen erfasst sein wollen.
Die Nachtstimmung, die von außen in den Raum dringt. Die besagten Hasen und eine Frau, die ihren Blick gen Himmel erhebt wie Maria Magdalena.
Und dies zu einer Erscheinung, welche sich Lampe nennt. Das Empfinden, das diese Fotografie beim Betrachter auslöst, muss man nicht beschreiben, denn Gefühle mit Worten auszudrücken ist auch in der Beziehung zur Kunst schlecht möglich. Man müsste die Geschichte, die im Betrachter entsteht, literarisch umsetzen. Diese würde jedoch – genau wie ein Bild – verschieden interpretiert. Literatur ist eine Kunst für sich und deshalb auch subjektiv. Denn alle Kunst ist, a priori ihrem Wesen nach, das Gegenteil von Objektivität, vermag aber das Verhältnis des Individuums zur Umwelt am besten darzustellen.
Maria Magdalena soll gemäß der Schrift die Weggefährtin und Geliebte von Jesus Christus gewesen sein.
Zwar ist dies nicht bewiesen, aber Jesus war auch nur ein Mensch. Wenn ich in meinem Lexikon christlicher Ikonografie nachschlage, wird diese Tatsache leider nicht aufgeführt.
Es kommt jedoch noch viel schlimmer wie geschrieben steht. Jesus soll ihr die sieben Teufel ausgetrieben haben. Wer da Unanständiges denkt, – muss zur Beichte.
Außerdem soll Maria Magdalena nicht nur Augenzeugin der Auferstehung gewesen sein, sondern salbte den Leichnam Jesu, nach dem er sich für uns umsonst opferte. In dieser Tatsache kann eine Andeutung gesehen werden. Denn Jesu war, wenn man den Abbildungen Glauben schenken darf, ein ansehnlicher Mann und zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung 30 Jahre alt. Auch hat Maria Magdalena mit ihren Tränen Jesu die Füße benetzt und anschließend mit ihren langen Haaren getrocknet. Nicht ohne Grund war Maria Magdalena ein begehrtes Bildmotiv. Allein schon der Haare wegen.
Ihren Blick der Verzückung muss man nicht interpretieren. Er ist eindeutig und wenn schon nicht auf einen körperlichen, so doch auf eine Form des geistigen Orgasmus zurückzuführen.
Es muss jedoch erwähnt werden, dass Paulus in seinem 1. Korintherbrief der Bibel schreibt, dass die langen Haare der Frau ihr ein Schleier sein.
Dies kann nur falsch sein, weil er in der gleichen Zeile behauptet, es sei für den Mann eine Unehre, lange Haare zu tragen. Ich kenne keine Darstellung Jesu mit Kurzhaarschnitt, exaktem Scheitel und Schnauzbart. Man soll nicht alles glauben, was geschrieben steht. Mit dem, was man sieht, sieht es anders aus. Und was man berühren kann, existiert in der Regel wirklich.
Die langen Haare der Frauen signalisieren Vitalität und gesteigerte erotische Kraft. Damit schneiden wir mal alte Zöpfe ab. Sexualität gehört auch zum Christentum und die Künstler waren dankbar, Maria Magdalena darstellen zu können, ohne sich einer unmittelbaren Folterung oder Vertreibung ausgesetzt zu sehen.
Der Symbolgehalt unseres Haupthaares ist kein Geheimnis.
Man denke nur an Samson, dem Delila im Schlafe die Haare abschnitt. Mit dieser heimtückischen Aktion raubte sie dem Unbezwingbaren jede Kraft und machte ihn durch diese Tat zur leichten Beute seiner Feinde.