Zwischen Figuration und Abstraktion
Wir kennen alle das Gemälde „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch. Mein Gemälde hat damit zwar nicht direkt etwas zu tun. Für mich konnte es jedoch nur diesen Namen bekommen. Die rudimentär durch die Farbschichten dringenden Körper sind lüstern und zugleich asexuell.
Die Kunst ist von einem Dazwischen geprägt, denn ohne Dualismus keine Struktur – Zwischen Figuration und Abstraktion.
Anders ausgedrückt ist jede Komposition seinem Wesen nach von gegensätzlichen Elementen bestimmt. Ohne diese Spannung würde sich alles in einem indifferenten weißen Rauschen verlieren. Die Musik ist von Melodie, Rhythmus, Metrum, Tempo etc. geprägt. Die Malerei durch den Dualismus von Binnen- und Außenform. Von Komplementärfarben und vertikalen sowie horizontalen Elementen, die als Perspektive ein Bild in der Tiefe strukturieren oder flächig gliedern.
Im 20-ten Jahrhundert und seit dem Beginn der Moderne werden stilistische Einordnungen, zusehends aufgeweicht und ein sicher geglaubtes Ordnungssystem kommt abhanden. Andererseits ist das dem Künstler zur Verfügung stehende Repertoire gestalterischer Möglichkeiten plötzlich unbegrenzt. Natürlich führt dies zu einer Verunsicherung. Gewohnte Einordnungen und Maßstäbe scheinen verloren.
Eines ist gewiss. Die Gerade, die Linie, ist in der Natur den Kristallen vorbehalten. Meine Malerei ist organisch. Aus Figuren entstehen Wälder.
Panta rhei – alles fließt in der Kunst auch zwischen Figuration und Abstraktion.
Diese auf Heraklit zurückgeführte und von Platon aufgegriffene Formel beschreibt den Istzustand am besten. Mit stilistischer Freiheit umzugehen ist jedoch auch für zeitgenössische Künstler nicht einfach und scheinbar schwieriger als noch vor 50 Jahren. A priori beziehe ich diese Aussage auf die westliche Kunsthemisphäre. Im Osten war Stil zuerst eine Frage der Haltung.
Heute befördern die Einflüsse des Marktes das „Branding“ der Kunst und binden diese in ein neues Korsett.
Es entsteht eine Art kommerzielle Ikonografie. Werke werden auf den Schöpfer angepasste Markenartikel und müssen wiedererkennbar sein. Also wird die Errungenschaft der stilistischen Freiheit durch Marktopportunismus in Ihr Gegenteil verwandelt. Der Künstler als Lieferant wird zur Marke. Er muss Hüte tragen und allerlei Faxen machen. Man nennt es, ein „Image“ aufbauen. Oder auch authentisch sein, was es oftmals nicht ist.
Zwar sind alle denkbaren künstlerischen Ausdrucksweisen möglich. Die „Kunstschaffenden“ kommen aber aus dem Teufelskreis der Wiedererkennbarkeit nicht raus und halten sich zum Teil ein Leben lang an den von ihnen entwickelten oder von einem Vorgänger adaptierten und modifizierten Stil.
Ich bewerte nicht. Ich beobachte – auch mich.
„Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen.“ (Angeblich Pablo Picasso)
Das Bild „Sich Rekelnde“ ist nicht das Früheste, aber ein frühes Beispiel für das Verlassen des Abbildhaften.
Ungegenständliche Kunst und Abstraktion
Abstraktionen gehen immer von einem realen Gegenstand aus. Man muss einen menschlichen Fuß erst „begreifen“ und im besten Fall naturgetreu abbilden können, ehe man ihn abstrahieren kann. Die Abstraktion ist die Fortsetzung der realistischen Kunst mit anderen Mitteln, gehört aber in die Kategorie der gegenständlichen oder auch figurativen Kunst, so sie sich mit dem Menschen beschäftigt.
Mein Werk beschäftigt sich zum größten Teil mit dem Menschen.
Ich male, – es malt. Der Reiz der möglichst exakten Naturabbildung und die damit zusammenhängenden Möglichkeiten des direkten Ausdrucks waren für mich wenige Jahre nach dem Studium – aber doch vorübergehend – nicht mehr von Interesse. Eventuell beruhte die stilistische Entwicklung auf einem Emanzipationsstreben.
Im Malprozess des Auf- und Abtragens schwerblütiger Farbe kristallisieren sich Gestalten heraus, die in Zeichnungen und Plastiken wie Organe daherkommen. Die destruktive Methode der schöpferischen Bildzerstörung bringt neue Formen hervor.
Auf alle Fälle wollte ich malerische Alternativen ausloten und für mich Neues entdecken. Also meine Möglichkeiten ausloten, wie ich auch als Autor grundverschiedene Themen behandle.
Um diese Herangehensweise zu beschreiben, benutze ich für mich gerne die in einem anderen Zusammenhang von Sigmund Freud benutzte Dualität des Ich und des Es. Das Ich konzentriert sich auf die möglichst genaue Abbildung des Gegenstands. Das Es versinnbildlicht die andere malerische Bewusstseinsebene. Man überschreitet die Grenzen der Realität und dringt in neues Terrain vor. Natürlich muss dieses Gebiet nicht unbedingt unbewohnt sein. Denn irgendwer war schon überall. Die Illusion der absoluten Neuerfindung ist äußerst trügerisch.
Arbeiten auf Papier.
Das Apollinische und das Dionysische
Meine Arbeiten auf Papier zeichnen sich durch eine besondere Spannung aus, denn diese wird mit reduziertem Instrumentarium aufgebaut.
Binnen- und Außenform sind klar definiert. Trotzdem habe sie eine direkte Beziehung zur Malerei. Am besten beschreibe ich diese Pole mit dem apollinischen Charakter der Zeichnung einerseits und dem dionysischen der Malerei andererseits. Kämpfen in der Malerei rauschhaft die Elemente miteinander, vermischen sich Binnen- und Außenformen. Es wird Farbmaterial geformt, abgetragen und an anderer Stelle wieder hinzugefügt. Zuweilen reißt die Leinwand durch die ekstatische Intensität, mit der der Maler sie traktiert. Zumal nicht nur Pinsel, sondern auch Spachtelmesser und Holzspatel zum Einsatz kommen.
Arbeite ich auf Papier, so hantiere ich maßvoll und achte auf die Fragilität und Verletzbarkeit des Materials. Die Reduktion der Mittel und die konsequente Klarheit des Strichs bedürfen des Ausgleichs.
Und doch sind diese apollinischen Arbeiten Teil des Dionysischen und nicht nur diese Dualität sondern auch die Spannung zwischen Figuration und Abstraktion.
Denn unter den Farbschichten der Malereien sind am Anfang eben solche Vorzeichnungen auf die grundierte Leinwand aufgebracht, bevor die Farbschlacht mit ungewissem Ausgang beginnt. Die makellose Leinwand wird mithilfe dieser Zeichnungen defloriert. Im Malprozess wird der klare Strich zwar überlagert, gibt jedoch den Kompositionen ihren körperlich-organischen Charakter. Der Spirit bleibt erhalten und führt die sich widersprechenden Ebenen zueinander.
Der Katalog – Zwischen Figuration und Abstraktion – enthält Reproduktionen von Gemälden und Erklärungen des Künstlers.