Wie uns ein Logarithmus die Kunst erklärt
Die Kunst, und vor allem das was von ihr sichtbar wird, ist einem komplexen Geflecht von äußeren Einflüssen unterworfen. Ideologien vielfältiger Art, aber vor allem der Kunstmarkt spielen eine beträchtliche Rolle bei Sichtbarkeit der monetären sowie ideellen Bewertung von Artefakten. Jedoch sollte auch der Zeitgeschmack bei der Betrachtung nicht vernachlässigt werden. Die wechselnden Moden sowieso.
Also ist jegliche Kunstbewertung ein temporärer Vorgang, welcher sich zuweilen schlagartig in eine andere Entwicklung bewegen kann, da der Markt einem Rudel gleicht, welches durch die Witterungsaufnahme einiger weniger Leittiere geführt wird.
Ist der Duft des Geldes und des Ruhmes verflogen, wird eine neue Richtung eingeschlagen. Dazu gesellt sich jetzt jedoch im starken Maß das Problem, wie uns ein Logarithmus die Kunst erklärt. Und damit, was dieser für Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Kunst oder Produkten mit einer „Kunstbehauptung“ hat.
Um so älter ein Kunstwerk, desto konstanter seine Wertschätzung.
An der Antike gibt es nichts zu deuteln. Aber schon bei der Kunst des 19ten Jahrhunderts und selbst den Impressionisten schwanken die Bewertungen enorm, obwohl die Qualität der Bilder immer gleich bleibt und sich nicht durch Abnutzung wie bei einem gewöhnlichen Automobil zum Schrottpreis hin reduziert.
Es gibt den inneren Wert und den äußeren Wert von Kunst.
Wobei der äußere Wert an Bedeutung stetig zugenommen hat und nicht nur Schwankungen unterliegt wie der Terminmarkt für Schweinehälften oder Öl, sondern selbst zur Wertlosigkeit sinken kann, da Kunst weder essbar ist noch sich mit ihr im nennenswerten Maß Energie erzeugen lässt. Im Ernstfall gehört sie wegen der verwendeten Blei- und Kadmiumfarben zum gefährlichen Sondermüll.
Im Gegensatz zur bäuerlichen Agrarproduktion greift der Staat der künstlerischen Wirtschaft nicht mit Subventionen unter die Arme, wenn Preise ins bodenlose fallen oder einfach nicht mehr festgestellt werden können, weil das Kunstzeug keiner kaufen will. Dies widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz unserer Verfassung. Wenn entbehrliche Milch subventioniert wird, sollte auch überflüssige Kunst subventioniert werden. Möchte man meinen und meint es doch nicht ernst. Da das EINE wie das ANDERE Irrsinn ist und wäre.
Um das wichtige Thema der Kunstvergänglichkeit kümmern sich die Ausstellungsmacher, Feuilletonisten und die Schreiberlinge der Kunstgazetten weniger. Damit wird er relevant, wie uns ein Logarithmus die Kunst erklärt. Ob dies besser sein wird, wage ich zu bezweifeln.
Sie kümmern sich jedoch um alles, was den Glorienschein des Ruhmes und des Geldes trägt, um davon zu partizipieren. Sie befördern den Aufstieg aber auch den Fall der durch den Markt beförderten Trends und deren Sternchen denken aber nicht daran, eine Kunst-Recycling-Zeitschrift zu gründen oder Kunstvernichtungs-Happenings zu veranstalten.
Von Nachhaltigkeit ist im Kunstbetrieb keine Rede. Ex und hopp. Der eine wird nicht mehr gemocht und der andere stirbt ganz leise.
Matthias Weischer
(Quelle artfacts)
Neo Rauch
(Quelle artfacts)
Jörg Immendorf
(Quelle artfacts)
Aber auch dieser im Augenblick eines Wimpernschlages festgestellte Rang ist nicht für die Ewigkeit gedacht, sondern vom Markt gemacht.
Es kann blitzartig wieder nach oben gehen, so man erst eine Ausstellung im Guggenheim organisiert hat und dann die gierige Kunstmarktherde auf den Trend aufspringt.
Otto Piene
(Quelle artfacts)
Heinz Mack
(Quelle artfacts)
Günter Uecker
(Quelle artfacts)
Man kann es den abhängig Beschäftigten der Kunstmaschinerie fast nicht verübeln, wenn sie sich über ihr Beamtendasein oder ihre einsame Schreibstubenexistenz erheben wollen, indem sie intimen Umgang mit den Malerfürstenhäusern suchen, denn vorübergehend können auch sie sich im falschen Glanz eitel rekeln und die Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Selbst wenn der Vergleich mutig ist, weil er die Kunst des Holzschnitts erniedrigen könnte, scheint mir doch die allgemeine Kunstbetrachtung holzschnittartig in der Schwarz-weiß Variante zu sein, denn sie vergisst die Zwischentöne.
Was ist eigentlich modern? Und hat modern etwas mit Kunstqualität zu tun? Wir erinnern uns an die Diktatur der Abstraktion auf der einen Seite der Demarkationslinie und die Diktatur des Realismus auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Diese Teilung war systemimmanent und wurde auf beiden Seiten freilich in unterschiedlicher Form politisch befördert. Allein wenn man überlegt, wie lange es dauerte, bis sich in Westdeutschland figürliche Position in nennenswerter Form durchsetzen konnten, ist man blass erstaunt.
Realistisch zu nennende Formulierungen hatten es im Westen besonders schwer.
Ein einziges einsames Bild von Lucian Freud hat sich in ein deutsches Museum verirrt – soweit mir bekannt. Ist ein bedeutendes Werk von Edward Hopper in unseren Kunsttempel zu finden, oder suchte ich an falscher Stelle?
Freilich kam in den 80er-Jahren die „wilde“ Bewegung auf. Diese bezog sich aber dezidiert auf den urdeutschen Expressionismus und knüpfte nicht etwa an die neue Sachlichkeit an. Konrad Klappheck war eine Ausnahme. Die anderen Tendenzen, Richter, Polke beriefen sich dagegen auf die amerikanische Pop-Art.
Die Verdrängung von nicht in den Trend passenden künstlerischen Entäußerungen hat in Deutschland Tradition. Das funktioniert auch ohne unser Thema, wie uns ein Logarithmus die Kunst erklärt.
Wenn ich nicht die Welt durch eine falsche Brille betrachtet habe, sieht es in anderen Ländern anders aus. Ein John Currin entdeckte ich vor vielen Jahren im Centre Pompidou und dachte – was ist das? Bis heute gab es keine bedeutende Ausstellung dieses bemerkenswerten Malers in Deutschland. Freilich ist sein aus dem Rahmen springendes Sujet typisch amerikanisch und doch hat er seinen Vorgänger in der Renaissance wie der hierzulande zu unrecht verschmähte Werner Tübke.
Otto Dix wurde im Westen erst „entdeckt“, als zu befürchten war, die DDR würde ihn für sich vereinnahmen.
Sein 1929 gemaltes Kriegstriptychon hatte den Krieg überdauert und hing als Leihgabe 1949 in der ersten deutschen Kunstausstellung Dresden. Dix wurde damals in der DDR fix als ein entscheidender Vorläufer des sozialistischen Realismus und Antifaschist gefeiert. Im Westen wurde er freundlich ausgedrückt, ignoriert.
Natürlich war Dix nicht so blöd in die SBZ zu ziehen, genoss aber die Ehrungen eben sosehr wie die „zwischenmenschlichen“ Beziehungen zu und mit schönen Sächsinnen während seiner Aufenthalte in Dresden.
Dix kündigte 1967 den Leihvertrag für das Triptychon Krieg und die Gefahr bestand, das es aus Dresden verschwindet und im „revanchistischen“ Westen landet. Dix wollte 500.000 DM. Über Umwege wurde der Kauf dann auch vollzogen. Meine Behauptung ist nun, dass erst wegen dieses Geschäfts und der Präsenz von Otto Dix in der Dresdner Sammlung westdeutsche Kulturverantwortliche wach wurden. Stuttgart als Hauptstadt seines Heimatbundeslandes kaufe 1972 von Dix das Großstadttriptychon. Weitere Ankäufe folgten.
Das Deutsche in unserer Kunst hat viele Facetten und nicht jede gehört gewürdigt.
Eigenarten der Kunst nördlich der Alpen sollten aber gerade in Zeiten der globalisierten Verflachung nicht verächtlich beiseitegeschoben werden. Die lang anhaltende Dominanz der amerikanisch geprägten Abstraktion half in der Nachkriegszeit die Vergangenheit zu übertünchen, weil sie nicht inhaltlich, sondern eher formal diskutabel war. Gleichzeitig grenzte man sich von der unsäglichen, ideologisch aufgeladenen, flachen Jubelkommunistenkunst ab.
Nun aber wieder zu – wie uns ein Logarithmus die Kunst erklärt und damit zu Picasso, ehe ich zu tief in kulturpolitische Abgründe gerate.
Picasso hat nur selten, und lediglich, wenn es für ihn notwendig und angezeigt war, künstlerisch politisch hart zugeschlagen. Zu nennen sind seine zwei Großformate Guernica und das Massaker in Korea.
Das Bild Massaker in Korea musste ich als junger Mensch analysieren und finde es im Kontext zu Goyas Bild bis heute nicht überzeugend, denn dieser Vergleich wurde damals angeführt.
Guernica hat dem Ersteren gegenüber eine gänzlich andere Qualität und jagte selbst den Amerikanern als „kommunistisches“ Bild ein Schrecken ein.
Nur ein stark eingeschränktes und schabloniertes Denken kann so irre sein, weil Picasso mit solchen Bildern in der Sowjetunion (als malender Sowjetbürger gedacht) im Arbeitslager gelandet wäre. Obwohl er der KP Frankreichs angehörte, galt er doch im Osten als dekadent. Willi Sitte, der Arnold Breker der DDR, hatte in den 50er-Jahren einige Picassoeske Bilder verfertigt und musste bei den DDR-Bonzen Abbitte leisten und zu Kreuze kriechen, um später dann selber einer der härtesten Zensoren zu werden. Zu seinen Geburtstagen kam gern Gerhard Schröder vorbei, um dem Genossen zu gratulieren.
Schon wieder treibt es mich vom Algorithmus weg.
Also: Guernica lässt trotz seiner Wirkung dem Betrachter den Ausweg in abstrakte Erörterungen und Gedanken zu entfliehen, da die Abstraktion mehr zum Symbol als zur Darstellung der Realität taugt. Über solche Kunst lässt sich aber deutlich besser und vor allem ausgiebiger theoretisieren als über die Abbildung der Realität.
Google Suche Guernica Picasso: 426.000 Ergebnisse und 93.600 in Anführungszeichen gesucht.
Welches ist nun das bessere Bild? Ich behaupte, das Wirkungsvollere ist der Krieg von Dix. Sichtbarerer und akzeptierter ist jedoch jenes Kriegsbild von Picasso, weil die abstrakte Wahrnehmung von Wirklichkeit für unsere Sinneswahrnehmung verträglicher ist als das gemalte Grauen.
Ergebnis Google für Otto Dix der Krieg: 175.000 Ergebnisse und 11.100 in Anführungszeichen gesucht.
Der Verismus eines Otto Dix geht einen diametral anderen Weg als Picassos Abstraktion, indem er das Gelebte, Gesehene und Erlittenen versucht zu überhöhen. Ob dies jedoch möglich ist, bleibt bei dieser Realität des Krieges dahingestellt. Jedenfalls sagt Dix, er möchte das Erlebte wiedergeben. Es darf bei diesem Vergleich von Kriegsbildern auch in Betracht gezogen werden, dass Picasso sein Bild aus sicherer Entfernung, aber Dix aus eigenem physischen Erfahren heraus geschöpft hat.
Was und die Googlesuche aber eindeutig zeigt, ist die Akzeptanz des Publikums, obwohl angenommen werden darf, dass jenes Bild von Dix das eindrücklichere und somit auch in seiner Wirkung eindrucksvollere wäre.