Tizian ist besser oder schlechter als...
Museumsbesucher sind so unterschiedlich wie die Kunstwerke, welche sie betrachten.
Tizian ist schlechter oder besser als… könnte eine Frage sein.
Mit dieser Überlegung wird es aber schon sehr speziell. Ja bei derartigen Berühmtheiten ungehörig, mag man meinen. Und doch haben wir alle unsere Präferenzen. Natürlich gibt es diejenigen, welche nicht Kunstwerke, sondern Berühmtheiten bewundern. Aber auch Kunstbetrachter, die empirisch und von jeder Beeinflussung befreit zum Werk und an dessen Inaugenscheinnahme gehen sind zu finden. Nicht geneigt, gebückt, gebuckelt, sondern aufrecht, prüfend und vergleichend. So, von du zu du.
Am Ende des Betrachtungsprozesses kommt der Sehende zu einer, Meinung. Manchmal ist er verwirrt, revidiert die zuvor gefasste Meinung oder stellt vergleichende Studien an. Bestenfalls freut man sich an dem Gesehenen und verlässt mit einem Hochgefühl die heiligen Hallen der Künste.
Dem Praktiker geht es jedoch anders. Er vergleicht nicht nur, sondern bringt das Gesehene in einen Bezug zum selbst Geschaffenen. Nein, ich möchte nicht anmaßend sein. Mich nicht vergleichen oder gar an den alten Meistern messen. Mit Zeitgenossen schon. Aber das behält man lieber für sich. Heute.
Und doch ist der Vergleich ein probates Mittel, mehr über die Kunst an sich zu erfahren. Aber auch zu erkennen, wie man selber tickt und warum man so malt, wie man malt. So gemalt hat, wie man malte und sich Inspirationen zu holen, für weitere Malereien können Zweck der vergleichenden Übung sein.
Sie müssen wissen, ich habe in Leipzig Malerei studiert. An dieser Hochschule gab es zwei Haupt-Strömungen. Ich nenne sie die Malerische und die Zeichnerische. Heisig und Tübke. Also war die gesamte Renaissance und ein wenig mehr unter einem Dach versammelt. Na-Ja. Dies ist anmaßend und doch irgendwie auch richtig.
Tja – armer Tizian. Nun kommt zuerst ein Raffael.
Aber an diesem kann ich deine Malerei besser erklären und wenn ich die Linie noch ein wenig nach hinten führe, komme ich an den Ursprung. Da wo es mit der Renaissance begann.
Raffael erlernte sein Handwerk bei Pietro Vannucci (genannt Perugino) in Perugia nahe Assisi. Also hat nicht nur sein Meister, sondern auch er die Werke des Cimabue gesehen, der wiederum der Lehrmeister Giottos war. Cimabue war der, eher unbekannte, Wegbereiter der Renaissance, denn er brach mit den Dogmen der byzantinischen Kunst.
Cimabue hat das Statische aufgelöst und den Raum für die Zukunft der Malerei geöffnet. An den Fresken des Giotto in der Franziskus Basilika zu Assisi erkennt man, wie sich Räume weiten und mit der Perspektive, Tiefe in die Malerei geholt wird.
Ich weilte vor Jahren einige Wochen in Assisi und habe Umbrien nach Kunst abgesucht wie ein Trüffelschwein.
Während ich, die dort in Massen vorkommenden, unterirdisch wachsenden Pilze wiederholt über die al dente zubereiteten Stringozzi hobelte, kam ich zur Erkenntnis, dass im Umbrischen vielleicht nicht die Wiege, aber doch wichtige Weichen für die Renaissance gestellt wurden. Wenn man bedenkt, dass Leonardo da Vinci, Piero della Francesca, Verocchio und andere illustre Meiser, Pietro Perugino im Handwerk der Malerei unterrichtet haben, ist das für mich einsichtig. Sie alle waren hier oder kamen von hier und gingen später erst nach Florenz oder Rom.
Das Martyrium ist ein Fresko, welches man unbedingt besuchen sollte. (Hier beschreibe ich Ihnen den Weg)
Cimabue malte Fresken, Giotto war ein Meister der Freskomalerei und oben, der eingangs gezeigte Raffael, ist ebenso ein Fresko. Es ist also anzunehmen, dass Maler die etwas mit Umbrien zu tun hatten, besonders in der Freskomalerei geschult wurden.
Diese Technik bedurfte einer sorgfältigen Vorbereitung. Da auf feuchtem Putz gearbeitet wurde, sind keinerlei Korrekturen möglich. Misslang das Tagwerk, musste der Putz abgetragen und neu aufgetragen werden. Also konzipierte man ein Gemälde, in dem man zuerst diverse Entwürfe machte. Danach entstand ein Karton. Dies bedeutete, man brachte die gültige Entwurfszeichnung linear auf ein stabiles Papier auf und durchlöcherte die Linien der Konturzeichnung mit einer Nadel. Legte diesen Karton anschließend auf den feuchten Putz und tupfte den Entwurf mit einem Stoffbeutel, in dem sich feiner Kohlestaub befand, ab. Die durchstochenen Stellen der Umrisszeichnung übertrugen sich als schwarze Pünktchen auf den feuchten Putz. Dann wurden die übertragenen Umrisse mit wässriger Pigmentfarbe „ausgemalt“. Diese wässrige Pigmentfarbe karbonisiert mit dem Untergrund und verbindet sich auf immer und ewig mit dem Putz. Auf dem obigen Fresko sieht man die einzelnen Pünktchen der übertragenen Vorzeichnung noch nach Hunderten von Jahren sehr deutlich.
Und hiermit sind wir bei der Linie. Obwohl Tizian in seinen frühen Jahren das eine oder andere Fresko gemalt hat, war das lineare wohl nicht seine Welt. Unter Kollegen sagt man zu den impulsiv malenden Kollegen Malschwein. Despektierlich aber bezeichnend.
Wie Sie an meinem langen Vorwort merken – wir sind noch gar nicht im Städel zu Frankfurt angekommen. Denn dahin fuhr ich, um die Ausstellung Tizian und die Renaissance in Venedig zu sehen.
Eines mache ich ausgesprochen selten. Mich auf Ausstellungen Vorbereiten wäre mir eindeutig zu mühsam und würde allen Umgang mit den Künsten die Leichtigkeit rauben.
Jedoch hatte ich von einer früheren Reise noch den Vasari – Künstler der Renaissance – im Handgepäck. In diesem Buch wird von einem Besuch Vasaris und Michelangelos in Tizians Atelier berichtet. Was ich in diesem Standardwerk las, ist beachtlich und vielsagend wenn auch ein wenig hart für den Betroffenen.
„Eines Tages, da Michelangelo und Vasari ins Belvedere gingen, um Tizian zu besuchen, sahen sie dort ein damals von ihm gemaltes Bild: Eine nackte weibliche Gestalt, eine Danae, in deren Schoß Jupiter in Form von Goldregen niederfällt, und sie rühmten (wie man`s macht, wenn der Künstler anwesend ist) sein Werk sehr. Beim nach Hausegehen redeten sie über Tizians Arbeitsweise, und Buonarroti lobte sie und sprach, Tizians Kolorit und Manier gefalle ihm sehr wohl, es sei nur schade, dass man in Venedig nicht von Anfang an gut zeichnen lerne und dass jene Maler nicht die Möglichkeit eines besseren Studiums hätten. „Wenn diesem Manne“, sagte er weiter, „Kunst und Zeichnung Hilfe leisteten gleich der Natur, vornehmlich bei dem Abmalen des Lebenden, so könnte nicht mehr und Besseres geleistet werden, da sein Geist herrlich und seine Manier sehr angenehm und lebhaft ist.“ Dies ist gewiss wahr, denn wer nicht genug zeichnet und auserlesene antike oder neuere Werke studiert, kann durch Übung von sich aus nicht gut arbeiten, kann nicht verbessern, was nach dem Leben gezeichnet wird, noch ihm Grazie und Vollkommenheit leihen, die Kunst noch über die Ordnung der Natur hinaus gibt, welche ja gewöhnlich einige Teile hervorbringt, die nicht schön sind.“
(Endlich verließ Tizian Rom, wo er von den obengenannten Herren viele Geschenke erhalten hatte.)
Ach, Michelangelo. Tizian vernahm deine Äußerung nicht. Ich hätte an seiner Stelle auf meine Art reagiert.
„Mein Lieber. Deinen Bodybuilding-Sybillen fehlt jeglicher Liebreiz. Ja sie sind blutleer. Kein Wunder, da du dich nicht entscheiden kannst, ob deine Figuren männlicher oder weiblicher Natur sind. Einem männlichen Körper hinzugefügte weibliche Geschlechtsattribute können nicht den Liebreiz einer Frau vermitteln. Mit Marmor gelingt dir vieles, aber gut malen geht anders.“ (Anmerkung des Schreibers. Im Vergleich mit seinen Zeitgenossen.)
Nun ist es passiert. Eigentlich wollte ich Tizian nicht verteidigen, da ich selbst von der Linie her komme, gleichwohl ich diese auch temporär verlor.
Aber nehmen wir noch einen anderen Aspekt in diese eigenwillige Bildbetrachtung auf. Die Farbe und deren Verfügbarkeit.
Wer seinen Farbhändler dergestalt darstellt, hat oft und intensiv mit ihm zu tun.
Die Florentiner und römischen Kollegen – zu Zeiten Tizians – schickten ihre Gesellen in die Apotheke, um neues Farbmaterial zu besorgen. In Venedig dagegen gab es Farbhändler. Und da diese allein vom Handel mit Farben lebten und nebenbei nicht mit Salben und Tinkturen handelten, war ihr Interesse darauf gerichtet große Mengen von Farbenabzusetzen. Dies schlug sich auf den Preis nieder.
Natrium-Aluminium-Sulfo-Silikat das Kilo für 42,84 €. So viel kostet heute ein Kilogramm Ultramarin als künstlich hergestelltes Mineralpigment. Das Mineral Lapislazuli, aus dem früher Ultramarin hergestellt wurde, musste aus Übersee importiert werden. Die aufwendig aus dem Gestein extrahierten Pigmente wurden mit reinem Gold aufgewogen. Der Kilo-Goldpreis liegt heute (11:37 Uhr) bei 36.438,85 €
Ich kann es nicht beweisen, behaupte aber die Farben waren in Venedig kostengünstiger als anderenorts, was eventuell Tizian dazu verführte prima und für seine Zeit sehr pastos zu malen.
Ein Ansatz, um die zeitgenössische Bild-Diarrhoe zu erklären, ist über die Preise des eingesetzten Materials nachzudenken. Füllstoffe wie Schwerspat (Baryt) haben den Kilopreis für eine einfache Ölfarbe ins bodenlose stürzen lassen. Ein 2,5 kg Eimer ist für, um die 50 € zu haben. Selbst zu Zeiten Tizians, als die Ölfarben noch manuell angerieben wurden, hätten mehrere Gesellen tagelang zu tun gehabt, um solch eine Menge Farbe zu produzieren. Von den dazu benötigten Rohstoffen ganz zu schweigen. Über die heute mit Baumwollstoffen in Primark T-Shirt Qualität bespannten Fichtenholzkeilrahmen möchte ich gar nicht sprechen. Im besten Fall ergibt die Bilderflut viel Arbeit für zukünftige Restauratoren-Generationen. Ansonsten ein weiteres Entsorgungsproblem, denn selbst nach dem Verbot von Bleiweiß sind in den verwendeten Farben viele Schwermetalle zu finden.
Aber lassen wir dies bei Seite. Ich glaube schon, dass die Verfügbarkeit von Material auf die Maltechnik von Tizian einen Einfluss hatte.
Natürlich neben seinem Furor als Maler. Und dies gerade in den späten Werken. Aber doch noch mal zu technischen Details. Für die klassische Freskomalerei mit wässrigen Pigmentfarben benötigt man ausgesprochen geringe Mengen Pigment. Mit einer Spachtelspitze Pigment in Wasser aufgelöst ist da schon mal ein Quadratmeter gemalt. Dieselbe Menge in Öl angerieben und deckend auf den Bildträger aufgebracht bedeckt das Format einer Standartpostkarte.
Fürwahr ist das Alterswerk des Tizian ein Faszinosum der Hochrenaissance. Dazu zitiere ich gern nochmals aus Vasaris„Künstler der Renaissance“.
„Es ist wirklich wahr, dass seine Verfahrensweise bei den Letzteren von seiner Jugend sehr verschieden ist, indem er seine ersten Arbeiten mit einer gewissen Feinheit und mit unglaublichem Fleiß ausführte, sodass man sie sowohl aus der Nähe als auch aus der Ferne betrachten kann, während die Letzteren, ohne Vorzeichnung gemalt, dick und fleckig aufgetragen, derart sind, daß sie aus der Nähe nicht angesehen werden dürfen, aus der Ferne aber als vollendet erscheinen. Und diese Verfahrensweise war die Ursache, daß von vielen, die ihn hierin nachahmen und dabei ihre Erfahrenheit zeigen wollten, hässliche Malereien gemacht worden sind; und zwar geschieht dies deshalb, weil es ihnen scheint, jene Bilder wären ohne Mühe gemalt, was aber keineswegs der Fall ist und sie sich im Irrtum befinden; denn man erkennt, Tizian überarbeitete sie und ging mit den Farben so oft darüber, daß sich die dabei aufgewandte Sorgfalt wohl kundgibt. Diese Manier, so ausgeübt, ist voll Überlegung, schön und vortrefflich, denn sie bewirkt, daß die Malereien sehr lebendig und mit großer Kunst ausgeführt erscheinen, während ihre Mühen verborgen bleiben.“
Ein Standardtext über das Geniale und das sich lediglich genialisch gebende.
Hiermit verlasse ich die Ausstellung Tizian und die Renaissance des Städel und komme unvermittelt in der Moderne an. Ein, zwei Säle weiter treffe ich auf Lovis Corinth und kurz darauf auf Otto Dix. Da haben wir es wieder. Das Malerische und das Zeichnerische in der Kunst.
Charlotte Berendt-Corinth, die Frau des Meisters, stand nicht nur für dieses Bild Modell.
Aber es sollte das Letzte vor seinem Tod sein. Wenn man das Werk von Corinth mit dem von Tizian vergleicht und die malerische Entwicklung darin analysiert, kann man einiges an Übereinstimmung beobachten.
Das vierundzwanzig Jahre früher entstandene Bild der Salome, das ich sozusagen mit meiner Leipziger Kunstmuttermilch im dortigen Museum aufgenommen habe, ist zwar malerisch, orientiert sich aber viel stärker an der Kontur als die späten Arbeiten des Meisters.
Die Obsession, der Hymnus des Malers dem Leben, der Erotik aber auch dem Tod bildhafte Gestalt zu verleihen, spiegelt sich in seinem Duktus wieder. Er ist von einer ganz ähnlichen Kraft geprägt. Wie der des späten Tizian.
Ebenso wie Tizians Spätwerk seine Zeitgenossen irritierte, reizt auch Corinth zum Widerspruch. Ja, irgendwie ist er bis heute ein Außenseiter geblieben und man weiß nicht so recht, wo man ihn zwischen Impressionismus und Expressionismus ansiedeln soll. Jedoch scheint er im Werk des Willem de Kooning und dem der Jungen als auch alten Wilden wieder aufzutauchen. Für Letztere darf ich hier das oben zitierte nochmals zitieren.
„Und diese Verfahrensweise war die Ursache, dass von vielen, die ihn hierin nachahmen und dabei ihre Erfahrenheit zeigen wollten, hässliche Malereien gemacht worden sind; und zwar geschieht dies deshalb, weil es ihnen scheint, jene Bilder wären ohne Mühe gemalt, was aber keineswegs der Fall ist und sie sich im Irrtum befinden;…“ (Vasari)
Das die Nationalsozialisten sein Werk für entartet hielten verwundert nicht, denn echte künstlerische Kraft schreckt Kleingeister bis heute, egal, in welcher stilistischen Ausformung sie vorgetragen wird. Corinth tritt mit seinem malerischen Furor geradezu die Türe zur Moderne auf.
Ein Schwenk, ein kleiner Raum und da ist die andere malerische Haltung zu finden.
Otto Dix. Nicht unähnlich seine Rezeption. Ja ich behaupte ketzerisch, ohne die DDR hätte es Dix eventuell bis heute nicht in die bundesrepublikanischenMuseen geschafft.
Als der DDR-Staat 1968 das Dresdner Kriegstriptychon von Otto Dix für damalig unglaubliche 500 TDM kaufte und ihn zugleich als antifaschistischen Künstler feierte, bekam die West-Kulturbürokratie kalte Füße und erwarb flächendeckend Dix. Aber lassen wir das und schauen auf die Kunst.
Das Lineare. Hier ist es wieder. Das Nebeneinander künstlerischer Positionen ist der eigentliche Reichtum und nicht mit gut oder schlecht zu bewerten.
Zu letzterem, also der guten oder schlechten Kunst, empfehle ich ihnen den Artikel in der Neuen Züricher Zeitung „So viel schlechte Kunst! Aber woran soll man sie erkennen?