Man kann alles malen. Aber nicht jeder
Als Delacroix Gericault´s „Floß der Medusa“ halb fertig in dessen Atelier gesehen hatte, war dieser für ihn zu einer Art Michelangelo aufgestiegen.
Deshalb versuchte er den älteren Kollegen aber nicht zu imitieren oder gar den Hut so zu tragen wie er.
Gericault´s Malerei war einfach nah an seinem eigenem Gestaltungswillen. Dieser Wille hatte aber trotz dieser Nähe sein Eigenes, und Delacroix‚ Bilder wurden dichter und zum Teil auch drängender als die des Gericault. Ist das wertend? Nein. Anders sind die Bilder des Jüngeren sicher. Aber besser? Aber schlechter?
Das Diktum „Man kann Auschwitz nicht abmalen“ meines verehrten Kollegen Gerhard Richter im Zusammenhang mit seinem „Birkenau“ Gemälden ist wohl wirklich seine Meinung und müsste daher „Ich kann Auschwitz nicht abmalen“ heißen.
Adornos „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ entfachte eine heiße Diskussion. Das von einem berühmten Zeitgenossen des Kulturlebens in unseren Tagen verkündigte Verdikt ist ein Déjà-vu in der Akte der verstaubten und längst widerlegten Behauptungen, es könne ein Individuum festlegen, was ein Künstler können sollte oder müssen müsste. Und, wie immer bei diesem Thema hört man keine Widerworte, noch wird das Gesagte hinterfragt. Diese Alternativlosigkeit entspricht unserem Zeitgeist und der Diskursunfähigkeit im Kulturbetrieb.
Natürlich war damals der Satz von Adorno aus dem Zusammenhang gerissen, aber auch der zeitlichen Nähe der grausigen Ereignisse zu verdanken.
Seinem und Horkheimers Misstrauen der Kultur und Kulturkritik kann ich a priori folgen. Die Nachkriegsentwicklung der Kunstszene scheint den Eindruck auch kräftig zu untermauern, denn nach kurzer Orientierungslosigkeit wurden die Künste wieder von der Politik vereinnahmt.
Im Westen durch die Diktatur der Abstraktion und der politischen Aussagelosigkeit die durch diese zu einer Gegenposition zur Ostkunst wurde und Freiheit symbolisieren sollte. Im Sowjetblock durch den sogenannten sozialistischen Realismus der anfänglich der Kunst des Nationalsozialismus verdammt nahe war.
Die vordringliche Ideologisierung der DDR-Kunst legte sich erst, als westliche Schockladenfabrikanten im Osten mit Westgeld Bilder kauften und der Genosse Kultursekretär bemerkte, dass realistisch gemalte Bilder gefährlicher sein können als ein schwarzes Quadrat. Mit Farbe zugerakelte Tableaus gab es damals noch nicht, und Jackson Pollok war den Genossen im Kulturministerium unbekannt.
Man kann alles malen. Allein die Kunst vermag jede Theorie zu wiederlegen. Paul Celan mit seiner „Todesfuge“ das Diktum des Adorno.
Todesfuge
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei er pfeift seine Juden hervor
läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet
der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
Paul Celan (1947)
„Was wird hier als Vorstellung von Gedicht unterstellt? Der Dünkel dessen, der sich untersteht hypothetisch-spekulativerweise Auschwitz aus der Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive zu betrachten oder zu berichten“
Paul Celan
Später nahm Adorno, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Dichtung von Paul Celan, sein Diktum zurück.
Freilich ist das Geschehen von Auschwitz oder Birkenau unvergleichlich. Andererseits kamen unter der Herrschaft Stalins mindestens ebenso viele Menschen um, verhungerten und wurden im Gulag zu Tode gequält. Es gab das Mittelalter und den 30 jährigen Krieg die Atombomben sowie unsere modernen Kriege mit hübsch über den Köpfen von Tausenden Menschen explodierenden Fassbomben. Giftgas ist auch wieder salonfähig.
Kollege Richter, dem ein Heldensaal im Dresdner Museum gewidmet ist, müsste, so er sich für die Kunst anderer Maler interessiert, die Bilder der Kollegen Otto Dix und Hans Grundig im gleichen Haus gesehen haben.
Leichtfertig werden epochale Kunstwerke von der zeitgenössischen Kunstkritik und den Damen und Herrn der Kunsttheorie übersehen wenn nicht gar verdrängt. Warum, sei dahingestellt.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Otto Dix‘ Triptychon (1928-1928) ein Hauptwerk der Kunstgeschichte ist wie Grünewalds Isenheimer Altar auch.
Beide Kunstwerke taugen nicht für schickes Ambiente. Die Bilder „Birkenau“ von Gerhard Richter schon. Geht es im Eigentlichen darum?
Als Jugendlicher und junger Mann habe ich oft vor dem Dix Triptychon gesessen und im Nachdenken darüber, was uns Menschen ausmacht, Stunden da ausgeharrt. Habe Menschen gesehen, die im Angesicht dieses Kunstwerkes weinten und denen Schrecken ins Gesicht gezeichnet war.
Wenn man heute die Birkenaubilder im Museum Burda besucht, geht man danach im Rizzi fein essen und trifft eventuell ein syrisches Regierungsmitglied welches auf Erhohlungsurlaub in Baden-Baden weilt.
Bilder sind Bilder, und Bilder sind auch immer gemeingültig. Wenn Goya den Krieg oder eine Erschießung darstellt, ist es der Krieg, der Mord, der Tod, die Qual. Im Allgemeinen und übergreifend bis zu uns gedacht. Das macht Kunst aus.
Kunst ist eben keine Illustration der Zeitgeschichte.
Und Otto Dix gab seinem Triptychon den Titel Krieg, nicht „1. Weltkrieg“ und auch nicht „Nie wieder Krieg“. Krieg ist eine Art der Vernichtung von Menschen. Die Mechanik der KZs ist auch eine Art der Vernichtung und Fassbomben auch und Hunger in Nordkorea auch.
Das Triptychon Krieg galt zu Zeiten, als Stalin immer noch Massenvernichtung betrieb und der Koreakrieg tobte, als Monstranz des Antifaschismus und des Friedenskampfes der Deutschen Demokratischen Republik. Erst 1968 konnte man sich durchringen, die Dauerleihgabe anzukaufen. Man verkaufte damals Meißner Porzellan und Rüstzeug aus den Museumsbeständen, um Dix in Devisen auszubezahlen. Dies war ungefähr die Zeit, in der man auch in Westdeutschland den lange verdrängten Dix wieder für sich entdeckte. Hatte man im Osten Angst, das Triptychon an den Westen, den militaristischen Staat, zu verlieren? Oder hatte der Westen Angst, dass sich Otto Dix vom Osten instrumentalisieren lässt? Wir wüssten es, wenn es jemanden interessieren würde. Jedenfalls wurde Dix im Westen gemobbt. Nicht nur er – Erich Heckel auch.
Heute kommen Bilder noch lebender Künstler meist auf anderen Wegen in die Museen.
Als Kompensation für ausgerichtete Ausstellungen und dem damit zusammenhängenden Renommee, welches die Preisentwicklung auf dem Markt unterstützen soll. Als Leihgaben strategisch denkender Kunstinvestoren. Manch Museumsleitungskader möchte sich auch nur im warmen Licht des Ruhms anderer räkeln oder spielt eine Art ART-Hitparade, um das Kassenhäuschen in Betrieb zu halten.
Ist es eigentlich vermessen, Picassos Guernica als harmlos zu empfinden, und ist es wegen des Namens seines Schöpfers das berühmtere Kriegsbild? Dix ist direkt und schlägt uns das Grauen mitten ins Gesicht. Keine Fotografie kann das – allein nur sein Bild. Dix hat uns gezeigt, welches Leid Menschen anderen Menschen antun können. Das kann auch ein Gerhard Richter sehen.
Sehen kann er auch, dass sich das Bild von Otto Dix in einer langen kunsthistorischen Tradition der Kriegs- und Grauensdarstellung bewegt. Grünewald. Das Leiden Christi. Aber auch Goya.
Freilich anders. Freilich nicht so bedrängend wie Dix, aber intensiv, und in unendlicher Trauer verharrend ist das Bild „Opfer des Faschismus“ von Hans Grundig.
Der unter dem Einfluss des Verismus eines Otto Dix stehende Grundig erfuhr das Leid der Konzentrationslager und auch der Front am eigenen Leib. Dieses Bild dürfe man bei einem Diskurs über das, was „Man kann..“ nicht außen vor lassen. Sträflich ist dies, weil es bei diesem Zyklus von Richter auch um Dresden geht. Und drei Dresdner Maler und einen speziellen Ausstellungsort.
Natürlich bin auch ich persönlich angesprochen.
Gehöre ich doch einer Generation an, die unter kriegstraumatisierten Vätern aufgewachsen ist und einen nicht geringen Teil deutschen Irrsinns noch hautnah erlebt hat. Ich 33 Jahre in DDR-Diktatur und Kommunistenmilitarismus. Im Einzelnen kann man darüber in meinen literarischen Versuchen lesen. Aber natürlich haben diese Erfahrungen auch bildhafte Auswirkungen gehabt.
Ich nenne es eine Unterhaltung mit Vätern. In den frühen 80er Jahren bin ich bei der Suche nach Farbe und anderen Malutensilien auf eine Witwe getroffen. In Waldheim, der Stadt Georg Kolbes, eines dem Nationalsozialisten nahen Künstlers guter Qualität und Stadt grausiger Schauprozesse, wohnte diese Frau. Ihr Mann studierte in den 30er Jahren in Dresden und ist in Stalingrad gefallen.
Sie übergab mir, zusammen mit seinen Farben und Pinseln, auch einige Studienarbeiten. Aktstudien fast lebensgroß. So wie es zu einer akademischen Ausbildung gehört(e). Man meint nun, stehende Akte seien stehende Akte, seien stehende Akte. Nein es stehen „Deutsche Frauen“ da. BDM Mädchen. Arierinnen. Gattinnen von SS-Männern und KZ-Kommandanten. Ich sehe sie so, obwohl man meinen sollte, alle Menschen sein nackt gleich anzuschauen. Und dann die Todesfuge und die verbrämte Sexualität meiner Elterngeneration. Daraus wurde Bild.
Vor der Ehe keinen Sex, aber schon einige Menschen hingerichtet. Vor der Zeugung steht der Tod.
Und dann kommt die Zeit der rechtsradikalen Morde in Deutschland. In den 1990er Jahren. Kurz nach der „friedlichen“ Revolution. Oder war sie der eigentliche Auslöser. Man fragt nicht – man forscht nicht.
Man ist es leid, überall auf seine Herkunft angesprochen zu werden. Erst ist man DDR-Bürger und im Westen eher fremd. Dann ist man Westbürger, und die Menschen fragen was in dem Land los ist, in dem man lebt. Und schon ist man wieder dran. In Zürich war das, wo ich damals arbeitete. Und in den USA und auch in Griechenland, wo man mich fragte.
Kunst aus Wut entstehen zu lassen, ist eine der Möglichkeiten. Die FAZ schrieb irrtümlicherweise zu meinen 17. Plastiken „Betroffenheitsstudie“. Ich war noch nie betroffen, weil das die Erfahrung nicht zuließ. Ich bin aber häufig wütend, weil mich Dinge angehen.
Ich bildete dann die 17 Toten der Mordserie eines Jahrs (laut Innenministerium – wie sich später herausstellte, waren es jedoch viel mehr Opfer) in lebensgroßer Form ab.
Einen Text von Dr. Martin Sather (Ausstellungsleiter Mannheimer Kunstverein) finden Sie uner diesem Link: Kunst gegen Gewalt 17 Plastiken: Aus Wut wird Gestaltung
Es müsste heißen: Man will Auschwitz nicht ertragen. Und das wäre gerade noch verständlich. Jedoch nicht vernünftig.
Der Text Man kann alles malen. Aber nicht jeder. ist die Reaktion auf ein von der Frankfurter Zeitung mit Gerhard Richter geführtes Interview. Veröffentlichung: 25.Februar 2016