Lochner´s Apostelmartyrien sind eine Graphic Novel des Mittelalters
Derzeit wird oft von der Bedeutung des Bildes im Internetzeitalter gesprochen. Eine Überflutung unserer Sinne mit visuellen Botschaften ist wahrlich nicht von der Hand zu weisen.
Lochner´s Apostelmartyrien sind eine Graphic Novel des Mittelalters.
Diese grandiose Bilderzählung im Städel Museum Frankfurt war gedacht, um den Menschen seiner Zeit die christlichen Erzählungen zu vermitteln. Sie zu belehren, zu bekehren und manchmal auch zu verängstigen.
Für die Betrachter im fünfzehnten Jahrhundert waren die Bildtafeln von Stefan Lochner zu den Martyrien der Apostel eindrückliche Bildwerke, die die überlieferten biblischen Geschehnisse so drastisch wir nur möglich darstellen sollten.
Außerdem waren Bilder ohnehin in dieser Zeit eine Rarität und wurden mit Sicherheit in anderer Art wahrgenommen, als wir dies heute tun. Wir leben mit dem abgefilmten und abfotografierten Grauen und konsumieren dieses allabendlich in der „Guten Stube“ vor dem TV.
Es schreckt nichts mehr, denn unsere Wahrnehmungsorgane sind abgehärtet und mit einer zivilisatorischen Hornhaut überzogen.
Und doch vermeiden wir in der Kunst den Realitätsversuch. Verstecken uns hinter lapidaren Symbolen. Einen Versuch wäre es schon wert die Hornhaut der Gleichgültigkeit zu durchdringen. Jedoch scheint die Kunst den Schwanz eingezogen und es sich in der kuscheligen Ecke des „Schönen“ gemütlich gemacht zu haben. Oder aber: wo keine Nachfrage – kein Angebot. Denn jede Zeit hat die Kunst, die sie verdient.
Heute können nahezu alle Menschen lesen und lesen doch immer weniger oder lediglich die verkürzten Formen einer Twitter-Nachricht oder eines gestammelten Tweets auf Facebook.
Für das Bedürfnis schneller Informationsaufnahme gibt es aber durchaus auch bildgestützte Erzählungen anspruchsvollerer Inhalte. Die Graphic Novel. Comics, in ihrem Aufbau ähnlich, sind dem eher Komischen und Oberflächlichen zuzuordnen. Jedoch – auch diese Meinung muss differenziert werden.
Die als Comic daherkommende Erzählung „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“ von Art Spiegelmann, war für mich die härteste Nummer in diesem Bereich.
Ich war verstört und irritiert. Natürlich konnte solch eine Geschichte nur von einem Sohn eines Opfers der Shoah geschrieben und gezeichnet werden. Dem Sohn eines Auschwitzüberlebenden.
Ob eine Graphic Novel oder auch ein Comic die Rezeption eines Themas erleichtert oder intensiviert, vermag ich nicht zu sagen.
In dieser Bild-Text basierten Art lassen sich Geschichten aber scheinbar besser in der Breite vermitteln, als in abstrakt-verkürzter Form oder als überbordende literarische Erzählung.
Das Lärmen der Kunstwelt überdeckt die feinen Geister.
Wenn berühmte Bilder groß und gewaltig daherkommen, verblasst das helle Licht der „kleineren“ Meister. Eben deshalb lohnt es sich, in die verborgenen Winkel der Museen der Welt vorzudringen. Und das Städel in Frankfurt hat deren viele. Oft erlebt man in diesen Ecken und verborgenen Kammern die echten Wunder, denn in den Blickachsen der großen Säle und an den repräsentativen Wänden hängt meist das wohlbekannt Anerkannte und mehr als Bekannte.
Trotz dieser unbestrittenen Tatsache bin ich der Meinung, man sollte sich bemühen, Sammlungen möglichst nicht nach dem vorherrschenden Zeitgeschmack umzusortieren, so wie die Waren eines Supermarktes, zum Zwecke der Verkaufsförderung, in ständiger Bewegung gehalten werden.
Denn Museen sind Orte der Erinnerung und Identifikation und eben keine beliebigen Präsentationsräume für feilgebotene Saisonware. Die gefühllos über den Haufen geschmissene Sammlung der Neuen Meister in Dresden machte mich zum Beispiel sehr wütend, weil diese Sammlung Identifikationspunkt und ein wichtiger Pfeiler nicht nur meiner Sozialisierung war.
Lochner´s Apostelmartyrien sind eine Graphic Novel des Mittelalters und doch ganz modern.
Der abstrakt, goldene Hintergrund und die klare Zeichnung sind ausgesprochen prägnante Bildelemente und durchaus medientauglich. Der Lochner macht es. Er muss nichts erfinden und auch kein Spektakel inszenieren.
Stefan Lochner erzählt Geschichten und illustriert christliche Überlieferungen wie die Meisterfilmer des italienischen Neorealismus, Frederico Fellini, Pier Paolo Pasolini oder Visconti.
Die Kunst ist eben doch – und trotz ihrer vielen Erscheinungsformen, Stilen und Zumutungen – ein Kontinuum. Es gibt kein Automatismus, dass eine künstlerische Haltung die andere ablösen muss. Es geht um die Möglichkeiten der Darstellung und die zur Umsetzung verwendeten künstlerischen Mittel. Diese können über die Zeiten hinweg transformiert werden. Das Paradigma der angeblichen Evolution der Kunst ist immer wieder infrage zu stellen.
Schmerz und Gewaltschilderungen durchziehen die Kunstgeschichten genauso wie die sinnliche Hymne auf den nackten menschlichen Leib.
Ob wir eine Kreuzigung Jesu von Grünewald sehen, das Kriegstriptychon von Otto Dix oder Abbildungen die Bilder der Folterungen von Botero – in diesen Werken geht es gleichermaßen um Gewalt.
Ein Nachdenken, warum die eindringlicheren Werke nicht aus neuerer Zeit stammen, ist lohnenswert.
Schon Picassos Guernica ist im Vergleich mit Otto Dix Kriegstriptychon eine Art Wohlfühlästhetik und lässt sich auch gut als Teppich knüpfen. Aber mit Boteros Arbeiten zu Abu Ghraib hab ich wirkliche Schwierigkeiten, obwohl sie keinem unlauteren Kalkül zu entstammen scheinen. Ich komme einfach formal nicht damit zurecht. Seine putzig knuddeligen Figuren taugen für diesen Inhalt nicht. Hier gilt dann doch der alte Ausdruck „Form follows Funktion“.
Weitere Abbildungen zu Lochner´s Apostelmartyrien finden Sie auf der Seite des Städel Museums Frankfurt