Ländliches Konzert
Kunstbetrachtung aus Sicht des „Täters“
Kunstbetrachtung gelingt am besten, wenn der Schöpfer des Werkes außen vor bleibt.
Denn zuerst geht es um das Kunstwerk und erst an zweiter, dritter oder vierter Stelle um den Schöpfer. Dies gilt vor allem, wenn der Maler eines Bildes berühmt ist und uns sein Name den Blick aufs Eigentliche vernebelt.
Bei dem Werk – Ländliches Konzert – kann man durch die unterschiedlichsten Zuschreibungen ganz wirre im Kopf werden.
Die erste Zuschreibung galt Giorgione. Dann behauptet man, das Gemälde stamme von Bellini. Palma il Vecchio und Sebastiano del Piombo wurden auch als Künstler ins Spiel gebracht. Derzeit hängt dieses weltberühmte Bild im Louvre und als Urheber ist Tizian aufgeführt. Oder Giorgione und Tizian, denn eine weitere Hypothese besagt, dass Tizian dieses von Giorgione begonnene Gemälde nach seinem Tod fertigstellte. Das Kunstwerk blieb jedoch immer gleich, wer es auch wie benannte.
Die Wirkung von Komposition und Ausführung dieses an sich unspektakulären Bildes war jedoch enorm.
Eduard Manet sah es im Louvre und es war die Initialzündung für ein weiteres weltberühmtes Bild. Das „Frühstück im Grünen“. Dieses Kunstwerk, ursprünglich auch Bad genannt, beendete den Klassizismus und läutete die Moderne ein. Aber auch um dieses epochale Werk herum wird viel spekuliert. Das „Urteil des Paris“ von Raffael und andere Kunstwerke werden neben dem „Ländlichen Konzert“ als Impulsgeber genannt. So hängt eines mit dem anderen zusammen und vieles bleibt Spekulation.
Ob Tizian oder wer auch immer das ländliche Konzert geschaffen hat, auf Ablehnung stieß, ist nicht überliefert.
Manet bekam jedoch zu seiner Zeit massiven Ärger und heute wäre sein Bild auch bei vielen nicht gut gelitten. Denn, dass zwei bekleidete Männer mit einer nackten Frau so natürlich und unbefangen in der Natur herumsitzen fand man unverschämt. Daraus ist zu schließen, dass die Rezeption eines Kunstwerks wohl von der augenblicklichen Wirklichkeit abhängt und die Moderne eben kein kontinuierlicher Prozess ist. Diese „Moderne“ also die Antimoderne und Elemente der Gegenaufklärung in sich trägt. Das Werk aber bleibt.
„Das ›Neue‹ in der Geschichte kommt nur selten ex nihilo. Es ist tief mit der Vergangenheit verzahnt, insbesondere durch die Pfadabhängigkeiten und […] durch eine Dynamik des Umschlagens, die solche Verbindungen zur Vergangenheit vernebelt. Das Neue ist unordentlicher, stärker vorgeprägt und von älterer Abstammung, als es die eindrucksvollen neuen globalen Institutionen und Globalisierungspotenziale vermuten lassen.“
Saskia Sassen, Das Paradox des Nationalen. Territorium, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter, Frankfurt/M. 2008, S. 22.