Frans Hals auf der Handyhülle
Oder die Verwurstung der Kunst
Zweifellos ist das Bild von Frans Hals „Die Amme mit dem Kinde“ besonders.
Eine Meisterleistung im eher kleinen Format. Goldstickerei dominiert dieses Gemälde und wie die Amme dem Betrachter einen Apfel präsentiert, ist fast surreal, denn ein inhaltlicher Bezug ist nicht erkennbar. Oder? Soll es eine Metapher des Apfelbäckchens sein oder die verführerische Frucht darstellen, die Eva Adam vor die Nase hielt?
Unwiderstehlich die Direktheit des Ausdrucks der Dargestellten. Also ein Bild, an dem man nicht vorbeikommt. Das geläufigste Motiv auf Alltagsgegenständen sind die am unteren Bildrand der Sixtinischen Madonna von Raffael fläzenden Engel. Selbst Botticelli landete schon auf Badelatschen. Mondrian auf Einkaufstaschen und Designerkleidung usw.
Bei der Beschäftigung mit dem Gemälde von Frans Hals „Die Amme mit dem Kinde“ fielen mir die zahlreichen Produkte mit der Abbildung dieses Gemäldes auf. Ein scheinbar biederes Sujet wird eine Art kultiger Populärgegenstand.
Das Kind wird es sein. Denn sein direkter und offener Blick auf den Betrachter weckt Emotionen, die tief in uns verankert sind. Die Mimik ist das auslösende Element unserer Reaktion. Man spricht von Einfühlungsästhetik. Bild und Rezipient bilden eine gefühlsspezifische Einheit. Die Neurowissenschaft spricht von Affektreaktionen. Deshalb ist die Verwendung gerade dieses Gemäldes auf Produkten verkaufsfördernd.
Der oder die Träger- oder Benutzer*in dieser Produkte sendet eine Botschaft aus und wird somit zur Sympathiefigur. Geborgenheit wird assoziiert. Menschenliebe ohnehin.
Einerseits wird ein Kunstwerk durch Verwendung als Deko-Element entwertet, andererseits jedoch zum Allgemeingut. Folglich erfährt es eine höhere Verbreitung als im Museum hängend. Die Amme mit dem Kind von Frans Hals wird durch die Verwurstung der Kunst zur Monstranz der eigenen Haltung verdeutlicht dieses Bild doch Kinderliebe. Demnach werden Träger*innen zum kinderliebenden Menschen. Und damit Gutmensch an sich.
Die Vereinnahmung von Kunst findet nicht nur durch Auftraggeber, dem Markt, der Politik und vielem mehr statt. Sie wird durch die Verwendung im Alltag gleichsam zu Allgemeingut.
Ist die Kunst nach dem geltenden Urheberrecht und dessen Schutzfrist 70 Jahre geschützt, wird sie danach vogelfrei.
Das bedeutet, dass Künstler*innen einen gewissen Einfluss auf die Verwendung der Werke haben, so lange sie leben. Dann die Erb*innen. Monetär – wohlgemerkt. Freilich kann verboten werden, dass Gemälde auf Bettdecken gedruckt zum Verkauf kommen. Oder aber, wie Gerhard Richter es noch 1988 tat, einen Teppichboden für die Firma Vorwerk entwerfen. Das kann Künstler*in alles tun. (Übrigens: Richter-Teppiche haben ein Empfehlungssiegel des deutschen Allergiker- und Asthmabundes und sind der Gesundheit nicht abträglich.)
Was hätte also Frans Hals gemacht? Sich gegen ein lukratives Honorar für die Verwendung seines Gemäldes als Bettenbezugsdekor gewehrt? Man malte ohnehin im Auftrag. Wir wissen es nicht.
Freilich gibt es Überlegungen, die Museumsshops auch für Nichtmuseumsbesucher freier zugänglich zu machen, damit der Mensch nicht gezwungen ist, das Museum zu besuchen oder gar eine Eintrittskarte zu kaufen, um ein T-Shirt oder eine Tasse mit Weltkunstaufdruck zu erwerben.
Daher meine Überlegung, die Gemeinfreiheit, welche 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers eintritt, zu relativieren.
Da Kunstwerke, welche der Allgemeinheit gehören, also „Volkseigentum“ sind, als Gemeineigentum verstanden werden, bestehen Rechte eben dieser neuen Besitzer. Dem Volk. Zur privaten Gewinnerzielung verwendet, werden sie ihren eigentlichen Zweck „enthoben“. Demnach wäre eine Abgabe auf deren Nutzung legitim, um Ausstellung, Restaurierung und Erforschung zu finanzieren, deren Kosten von der Allgemeinheit getragen werden.