Das Abendmahl im Rinnstein
Ein Zeichen des kulturellen Niedergangs?
Wundert man sich das Abendmahl im Rinnstein zu entdecken? Eigentlich nicht.
Denn einen Cranach auf dem Verteilerkasten der Stadtwerke Wittenberg anzubringen, ist zwar ein Höhepunkt der Geschmacklosigkeit, aber leider auch ein Symptom unserer Zeit. Freilich versteht man, dass Wittenberg auf Cranach stolz ist, hat er doch nicht nur Wittenberg künstlerisch geprägt, sondern das gesamte 16. Jahrhunderts. Weltweit besitzen die bedeutendsten Museen Werke von ihm.
Die Stadtkirche St. Marien samt dem hier als „Straßenkunst“ gezeigten Abendmahl von Lucas Cranach d. Ä. und Lucas Cranach d. J. gehören zum UNESCO-Welterbe.
Es gibt Erben, die achten das Ererbte und es gibt Erben die meinen, mit dem auf sie Überkommenen beliebig verfahren zu können. Dem Wallfahrtsort der Reformation gebührt ein großes Lob, die christliche Kunst derart profaniert zu haben (Zynismus). Wir wollen unseren Glauben unter das Volk bringen, scheint der Beweggrund zu sein. Also kleben wir das Abendmahl irgendwo hin. Dummheit, Gedankenlosigkeit? Oder doch ein Zeichen des kulturellen Niedergangs?
Es verwundert nicht, dass mit Cranach Werbung gemacht wird. Es gibt in Wittenberg Cranach-Ferienhäuser, die Hofwirtschaft – Cranach – im Cranach-Hof.
Cranach-Tassen und den üblichen Nippes-Kram. Daran kann man sich gewöhnen oder nicht. Jedoch sind selten christliche Motive betroffen. Die Engel von Raffaels Sixtinischer Madonna vielleicht. Einen Frans Hals auf der Handyhülle findet man und die Sonnenblumen von van Gogh allenthalben.
Das Verteilerkästen landesweit bemalt werden, mögen Menschen hübsch finden. Meist ist ihre Gestaltung irritierend. Zuweilen ansehnlich oder aber ein ärgerlicher Störfaktor im Landschafts- oder Stadtbild. Wer allerdings auf die Idee kommt, ein Altarbild auf einen dieser Verteilerkasten anzubringen, muss eine außerordentlich hohe kulturelle Bildung genossen haben (Zynismus).
Freilich ist die Entweihung heiliger Orte überall im Gange. Kirchen werden aufgegeben und für andere Zwecke verwendet.
Dadurch werden geweihte Gebäude dem profanen Gebrauch überlassen. Bei einer Umnutzung von Gotteshäusern kommt allerdings der „Codex Iuris Canonici“ aus dem kirchlichen Gesetzbuch zwingend zu Anwendung. Die gesegneten Kirchen sind durch einen Abschiedsgottesdienst aus ihrer Bestimmung zu „entlassen“. Das Allerheiligste wird aus der Kirche getragen, Altäre und andere liturgische Geräte werden entfernt und “an einem würdigen Ort aufbewahrt“.
Auch wenn es sich bei dem Abendmahl auf dem Verteilerkasten um eine Reproduktion handelt, wird es durch diese Verwendung entweiht, beschmutzt und in den Dreck gezogen. Umso mehr, da derartige Kästen schmutzige Orte sind. Nicht nur Hunde pissen gegen sie. Bierflaschen werden darauf abgestellt und Müll liegt um sie herum.