Cima di Morissolino am Lago Maggiore
Wenn der gewöhnliche Deutsche von ein oder zwei Kirchenglocken geweckt wird, so sind es hier um die Zehn, welche die Nachtruhe – spätestens um acht Uhr – endgültig beenden.
Ihr Klang scheint mir lieblicher zu sein. Nicht so unerbittlich-teutonisch und geradezu fordernd, wie ein Stück weiter nördlich auf der anderen Seite der Alpen.
Mit der Kaffeetasse ins Freie tretend, sehe ich unseren Berg halb entblößt und von einem wabernden Schleier umschmeichelt. Sein Gestein errötet kurz, ehe sich das Wolkennegligee wieder dicht um ihn schließt. Sollte diese schamlose Entblößung in die Morgenröte hinein eine Aufforderung gewesen sein, werde ich ihr widerstehen, da mir bekannt wie steinig der Weg auch zu dem Gipfel des Cima di Morissolino ist. Und wer kann mir schon versprechen, dann, da oben, nicht im Regen zu stehen. Die Mühe wäre umsonst und ein guter Ausblick unmöglich. Lieber schaue ich zum dunstigen See hinunter und verfolge die lautlos gezogene Spur eines einsamen Seglers. Große Dampfer wären an diesem Ort ohnehin unpassend und könnten nur von Schriftstellern oder Filmemachern erfunden sein.
Die hauchdünne Scheibe Mortadella legt sich auf mein blasses Brot wie ein von Caravaggio gemaltes Gewand.