Albrecht Altdorfers „Susanna im Bade“ – Die Kunst, ein Drama zu verstecken
Es gibt Gemälde, die schreien ihre Handlung geradezu heraus. Und es gibt Albrecht Altdorfers „Susanna im Bade“ von 1526 – ein Bild, das sein biblisches Drama so tief im Unterholz versteckt, dass man es beinahe übersieht.
Dabei ist die Geschichte alles andere als leise: Zwei alte Männer spähen einer Frau nach, bedrängen sie, verleumden sie, und am Ende steht eine Entscheidung über Leben und Tod. Doch Altdorfer, der Meister der detailversessenen Weltlandschaften, wollte offenbar etwas anderes erzählen. Oder vielmehr: Er wollte alles erzählen und die eigentliche Szene in dieser Überfülle beinahe verschwinden lassen.
Dominiert wird das Bild von einem Palast – und was für einem. Der Palast Jojakims erhebt sich wie ein veritabler Traum aus der Architektur der Renaissance, nur noch ein wenig üppiger, ein wenig fantastischer. Halt ein typischer Altdorfer. Jede Säule, jeder Arkadengang, jede Balustrade scheint in einem eigenen Ornamentrausch zu leben. Wer die Susanna sucht, muss sich durch dieses steinerne Labyrinth arbeiten, durch die Menschenmassen, die Marktszenen, die Treppenläufe, die Szenen des alltäglichen banalen Lebens. Alles pulsiert, alles beschäftigt sich mit sich selbst – und gerade dadurch wird Susanna zur Randfigur in ihrer eigenen Geschichte.
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Während sonst, wie Wikipedia nüchtern anmerkt, die Malerei Susanna gerne entkleidete – man nutzte das Bibelmotiv als Vorwand – hat Altdorfer sie erstaunlich keusch gekleidet dargestellt.
Die Füße in einer Wasserschüssel, die Magd mit dem Kamm hinter ihr, eine zweite Magd mit Krug, und davor ein Teppich, der fast schon prunkvoller ausgeführt ist als die Protagonistin. Die Szene wirkt, als sei sie nur ein weiteres Genre-Detail in einem viel größeren Welttheater. Susanna erscheint nicht als Opfer dramatischer Bedrohung, sondern als junge Frau, die sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit dem alltäglichen Bade- und Pflegevorgang hingibt – unberührt von der späteren Katastrophe.
Und die alten Männer? Nun, man muss sie zuerst finden. Links, tief im Gebüsch, dort, wo das Blattwerk fast undurchdringlich wird, lugen zwei rot-blaue Farbflecken hervor – die Gewänder der Alten, die sich wie räuberisches Wild ins Unterholz drücken.
Peinlich, beinahe slapstickhaft wirkt ihr Auftreten, als habe Altdorfer ihnen bewusst die Würde genommen.
Nichts heroisch Dämonisches – eher zwei ungeschickte Spanner, die in den Zweigen hängen bleiben.
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Diese bewusste Marginalisierung des Dramas macht das Bild so ungewöhnlich.
Nicht Susanna ist der Mittelpunkt, sondern die Welt, in der sie lebt – ein welthaltiger Organismus, dessen Größe die menschlichen Konflikte relativiert. Altdorfer entscheidet sich gegen das Moralbild und für das Panoramabild. Der Palast, die Gärten, das Gewimmel: Alles ist wichtiger als die biblische Intrige. Oder anders gesagt: Die Welt geht weiter, auch wenn Unrecht geschieht.
Vielleicht liegt genau darin die Modernität des Bildes in seiner Zeit.
Denn es zeigt einen Moment, der im großen Strom des Lebens zu verschwinden droht. Ein Drama, das nicht theatral ins Licht gezerrt wird, sondern sich wie ein zufälliger Schatten am Rand eines überwältigenden Weltpanoramas abzeichnet. Susanna ist hier nicht Sinnbild der Versuchung, sondern eher ein kleiner, fast beiläufiger Teil einer lebendigen, überbordenden Wirklichkeit.
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Und so betrachtet, ist Altdorfers Version nicht nur eine der ungewöhnlichsten Darstellungen der Susanna im Bade, sondern auch ein Kommentar auf die Zerstreutheit der Welt selbst.
Das Auge verliert sich im Ornament, die Erzählung verliert sich im Detail – und vielleicht ist genau das die Wahrheit, die Altdorfer zeigen wollte: Dass das Wesentliche manchmal kaum sichtbar ist, selbst wenn man direkt darauf schaut.
Wenn Sie ein weiteres Interesse an dem Motiv Susanna im Bade haben empfehle ich Ihnen meinen Text: Susanna im Bade – Männliche Macht, Sexualität und die Geschichte einer Projektion.















