Das Gewicht der Wolken und Leonardos Malerei
Das Gewicht der Wolken und Leonardos Malerei erklärt vieles.
Lionardo oder auch Leonardo da Vinci genannt notierte:
„Die Wolken lässest du, vom Windstoss gescheucht, an die Hochgipfel des Gebirgs verschlagen sein, sie hüllen diese ein, sich gleich Wellenstoß an Klippen rückwärts bäumend.“
„Auf dunklem Horizont des Himmels rauchförmige Wolkenflocken vom Sonnenstrahl getroffen, der aus Wolkenrissen gegenüber hervorbrichtund auch den Boden, wo er ihn streift, beleuchtet. Die Winde, Verfolger des niederfahrenden Staubes, jagen diesen im Sprung in wirbelnden Wolken wieder in die Luft, aschfarbig, gemischt mit rötlichem Schein des Sonnenstrahls, der ihn durchdringt.“
Johannes Guthmann schreibt in seiner Abhandlung „Die Landschaftsmalerei der toskanischen und umbrischen Kunst“ über Leonardo: …er dringt in das Wesen der Erscheinung ein und lässt die Seele zu uns sprechen. Das Studium aller Veränderungsmöglichkeiten der Erscheinung, dies Studium der Bewegung, macht ihn zum Psychologen auch der Landschaft.“
Während Giotto und Cimabue als Meister der frühen Renaissance – oder als die letzten der Gotik – ihre Bilder aus der Statik heraus schichteten und die Linie bei ihnen das bestimmende Element der Komposition ist, gilt Leonardo da Vinci als Vollender des Quattrocento und die Linie weicht der Naturdarstellung. In der Natur ist die Linie – außer in Kristallen – unbekannt. Gott kannte kein Lineal.
Quattrocento.
Das so benannte 15. Jahrhundert der italienischen Kunst ließ die Gotik hinter sich und legte die Grundlage für einen unvergleichlichen Aufschwung in der Kunst, dem ich im Angesicht unserer in oberflächlicher Beliebigkeit ersoffenen Zeit nur nachtrauern kann. Es ist die Zeit, welche Bewegung ins Bild brachte und die zu den grandiosen malerischen Exzessen eines Pontormo aber auch Michelangelo und letztlich Peter Paul Rubens führte.
Die intensive, ja wissenschaftlich Art der Naturbeobachtung und der unbedingte Wille, die Natur der Dinge zu erforschen, ergibt andere Bilder.
Künstlerische Umsetzungen, die der Natur sehr nahe sind, ergründen die Materie. Sie verlassen die schematischen Vorgaben der gotischen Malerei, welche vorwiegend nach religiösem Sinngehalt und ohne direktes Naturstudium ausgeführt wurde.
Da der Raum – also die Perspektive – in der gotischen Malerei keine vordringliche Bedeutung hatte, die Wolke aber par excellence den Raum und deren Tiefe verkörpert, spielte sie – die Wolke – wenn überhaupt, eine ornamentale Rolle im Gesamtgefüge dieser Malerei. Am ehesten wird die Landschaft ins Fantastische überhöht und das Himmelsgewölbe zu Ornament. Lediglich bei der Ausnahmeerscheinung dieser Zeit – Hieronymus Bosch – wird sie auch zum Raum und damit bildbestimmend.
Die Landschaft im Hintergrund des Porträts der Mona Lisa von Leonardo da Vinci ist ein gutes Beispiel der Renaissancemalerei. Das Gewitter ist soeben abgezogen und die Landschaft dampft förmlich. Man möchte – sehr gewagt – sagen, sie ist fast so gemalt wie in einem Gemälde von William Turner.
Erblickt man Wolkengebirge, ist das logische Erfassen einer Landschaft nicht einfach.
Wenn es überhaupt ein Verstehen außerhalb der Physik gibt. Die Gebilde sind zu gewaltig, um keine Emotionen zu wecken. Diese Wolkengebilde sind die Grenze zur Unendlichkeit des Weltalls. Nachdem die ersten 1000 Jahre nach Christi Geburt vergangen waren, entstanden Bilder Christi Himmelfahrt, bei denen man meist lediglich die untere Hälfte – oft nur die Füße – vom hinauffahrenden Jesus sieht. Der obere Teil seines Körpers steckt bereits tief in den Wolken und ist jenseits des Irdischen. Mit anderen Worten ist Gottes Sohn in dem Himmel, dem unendlichen, uns unbegreiflichen, verschwunden.
Hinter den Wolken, in der unfassbaren Unendlichkeit liegt die geheime Werkstatt Gottes. Sündigen wir straft er uns. Lässt Blitze niederfahren, Donner und Donnerwetter folgen unmittelbar. Die Sintflut sowieso, wie wir fast täglich in der Tagesschau sehen können.
Die romanische Kunst hat den Bogen erfunden und zu ihrem Stilmittel gemacht. Apsisbogen, Triumphbogen, Tympanonbogen und wie sie genannt werden. Der Bogen ist Kirchenportal und Himmelspforte zugleich – porta coeli. Passt aber auch rosengeschmückt zu einem Gartentor.
Nicht umsonst wird häufig die Muttergottes auf den Wolken thronend abgebildet. Dieser Thron ist wahrlich gewaltig und hat wenig Irdisches. Lediglich das Gewicht der Wolken ist in der Lage ihn zu halten.
Ja – die Wolken sind die Klammer zwischen Erde und Himmel. Anderseits verhüllt der Wasserdampf, was wir ohnehin nicht verstehen oder sehen sollen.
Christus wird während seiner Auferstehung von Wolken wie von einer Schutzhülle umgeben. Die antiken Gottheiten benutzen die Unsichtbarkeit, um sexuellen Schindluder zu treiben und Kampfflieger tarnten sich mit ihnen, ehe das Radar aufkam.
Wer kennt nicht dieses Gedicht oder musste es auswendig lernen?
Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöh’n!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen steh’n,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
UND – SO – WEITER
Auf der Zeitachse der malerischen Wolkenkunde erschien auch ein Perugino. Diesen bei uns eher unbekannten Meister der früheren Renaissance entdeckte ich in Umbrien nach langer Zeit wieder und begriff seine Malerei am Ort des Entstehens mehr als in jeder Vorlesung oder Museum. Lebte er doch mit und unter den Wolken im umbrischen Land. Auch seine Madonnen halten sich häufig auf den Wolken auf und habe da ihren Thron. Obwohl ich das eigentliche dramatische Himmelstheater bei ihm noch nicht entdecken kann.
Der Punk geht erst bei den Malern des Barock und Manierismus ab.
Das Gewicht der Wolken wird endlich gewürdigt. Was in der frühen Renaissance zaghaft beginnt, endet in der Illusionsmalerei des Barock. Der Eindruck des unendlichen Raumes wird in der Deckenmalerei umgesetzt. Die Malerei durchbricht Gemäuer und öffnet Decken ins himmlische Jenseits.
In den Bildern dieser hochbarocken Maler wirbeln nicht nur Leiber, sondern auch die Landschaften nebst Wolken durch das Bildgefüge. Es wird existenziell bis zur Ekstase. Die Wolken bekommen nicht nur im Bild ein Gewicht, auch das ihr eigene wird bildhaft, denn selbst so ein unbedeutendes Schönwetterwölkchen bringt schon mal tausend Tonnen Wasser auf die Waage. Das wussten die Kollegen zwar nicht, malten es aber so gut, als erahnten sie das Gewaltige und Unbegreifliche.
Sollten Sie eine gewaltig drohende Gewitterwolke in der Natur oder auf einem Gemälde sehen, denken sie immer daran; so ein Gebilde ist über 10 Kilometer hoch und wiegt mehrere Millionen Tonnen.
Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man froh sein, dass Wolken nicht plötzlich vom Himmel fallen können (oder, wie wir jetzt wissen doch?). Dafür danken wir Gott – dem genialen Physiker. Verheerende Unwetter lösen die Wolken trotzdem aus, wenn sie in Form von zu vielen Tropfen vom Himmel kommen. Man ersäuft langsam und wird nicht gleich von den Wassermassen erschlagen oder weggespült.
Auf der nördlichen, gemäßigten Halbkugel sind die Niederschläge jedoch nicht mit denen in den Tropen zu vergleichen.
Dort wiegen die Wolken, in denen sich der Tropenregen befindet, lässig Hunderte von Tonnen. Eine kleine Probe eines heftigen Niederschlags daraus durfte ich auf der Höhe des Äquators auf dem Weg zum Amazonas auf hoher See erleben. Der Himmel öffnete seine Schleusen – ist in dem Fall wörtlich zu nehmen und das Meerwasser brodelte, als sich die Himmel in das Meer ergossen.
Ganz prosaisch gesehen ist eine Wolke lediglich die Ansammlung von winzigen Wassertröpfchen oder Eiskristallen, die durch ihre temporäre physikalische Beschaffenheit über unsern Köpfen schweben.
Das Gewicht der Wolken ist also ganz einfach zu erklären und doch unvorstellbar.
Und doch können wir ohne sie nicht überleben. Wir würden verdursten, verhungern und vermutlich auch verbrennen, gäbe es dieses schwebende Wasser nicht. Das Gewicht der Wolken ist also nicht nur eine theoretische Größe sonder von existenzieller Bedeutung.
O.K. ein wenig komplexer ist es schon aber mich interessiert eigentlich nur Form der Wolken und deren Zusammenspiel mit dem Licht. Dabei wiederum interessiert mich auch nicht die spezifische Wellenlänge des Lichtes, welches auf eine Wolke trifft und ihr so zu einem eventuell dramatischen Auftritt verhilft, obwohl sie „nur“ grauer Wasserdampf ist.
Seitdem ich einige Zeit unter den Wolken von Umbrien verbrachte ist mir verständlicher wie Glauben und Aberglauben entsteht. Die gewaltigen Gebilde lassen einen demütig werden. Man fühlt sich wie ein Staubkorn und ausgeliefert.
Natürlich müssen in oder über diesen Wolken unsichtbare Wesen sein. Nur dort kann Gott thronen und über mich wachen, Zeus seine Blitze gegen Widersacher schleudern oder die Verhüllung nutzen, um einer Sterblichen beizuwohnen. Zeus, der göttliche Schwerenöter, vögelte überall rum und wurde nicht selten dabei ertappt. Aber auch Jupiter besuchte die Dame Io als Nebel und wohnte ihr bei.
So hemmt er die Flucht und raubt Io die Unschuld. Mittlerweile schaut Juno gerade auf die Gefilde hernieder und verwundert sich, wie bei hellem Tag sie ein flüchtiger Nebel mit Nacht deckt. (Ovid)
Jupiter und Io ist ein Gemälde von Antonio da Correggio aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Stil der Renaissance.
„Voll Verwunderung nun, wie aus flüchtigem Nebel gedrängt sei
Dunkele Nacht in der Helle des Tages, erkennet sie deutlich,
Daß kein Fluß das Gedünst, kein sumpfiges Land es gesendet.
Und, wo ihr Ehegenoß sich beschäftige, spähet sie ringsum,
Weil sie die Schliche verstand des oft ertappten Gemahles.“
(Ovid Matamorphosen)
Auch als er mit Io einen oder eine seiner zahlreichen Halbgöttinnen, Halbgötter zeugen wollte, erwischte ihn Hera. Zeus verwandelte um sich vor ihrem Zorn zu schützen Io in eine Kuh. Aber es wird doch alles Gut. Und die Welt nahm ihren Lauf. Sie wird zurückverwandelt.
Wie sagt doch ein bekanntes Lied. Über den Wolken muss die Freiheit unendlich sein. Denn wenn man über den Wolken ist, verbergen sie die Wirklichkeit der Welt. Das tut gut.
Am Morgen danach….
Das Gewicht der Wolken spielt keine Rolle – alles ist leicht.