Selbst die Kunst hat eine Resettaste
Kunst darf verwirren, dazu ist sie unter anderem gedacht.
Es gibt immer Idealfälle im Leben. Davon sollte man jedoch nicht ausgehen. Oft wird es nötig, eine Entscheidung oder eine ganze Reihe dieser zu revidieren.
Das fällt meist schwer und man muss sich dazu durchringen, denn selbst die Kunst hat eine Resettaste. Manche Menschen denken, sie würden Ihr Gesicht verlieren, wenn sie eine Entscheidung zurücknehmen, die sich als unrichtig herausgestellt hat. Entscheidungen, die getroffen sind, rückabzuwickeln ist irgendwie im menschlichen Verhaltensmuster nicht vorgesehen. Da stimmt was mit der göttlichen Programmierung nicht.
Manchmal ist klar, dass eine Entscheidung falsch ist, aber es wird an ihr festgehalten, auf Teufel komm raus. Dann kommt das Wort Stellschrauben zum Einsatz.
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Stellschrauben, ja ich fordere sogar diese an den Tischbeinen meiner Stammkneipe endliche anzubringen. Stellschrauben sind allemal besser als Bierdeckel, um einen Tisch das Wackeln abzugewöhnen, obwohl andererseits Bierdeckel für eine Steuererklärung durchaus reizvoll sind. Wirklich wichtig sind die Stellschrauben, welche eine Sprunggelenksfraktur stabilisieren können.
Wenn von politischen Stellschrauben gesprochen wird, sind diese jedoch meist dazu da, eine eigentlich falsche Entscheidung doch noch irgendwie hinzubiegen. Dazu werden dann Instrumentenkästen beschlossen. In diesen sind vorwiegend Antagonismen und Paragrafen enthalten und eben keine Stellschrauben. Mit den Scheren wird beschnitten. Zum Beispiel Freiheitsrechte. Und die Paragrafen sind dazu da, die Beschneidung in Gesetzesform zu bringen.
Früher malten Maler anders als heute Maler malen. Früher entwarf und verwarf man auf dem Papier Ideen. Die Ultima Ratio war der Papierkorb.
Landete da ein zerrissenes oder zerknülltes Blatt, fing alles von vorne an. Papier war damals teurer als heute, aber die Leinwand war in der Korrelation dazu – also der Abstand zwischen den beiden Medien – der war ähnlich wie heute, wenn ich das mal als betriebswirtschaftlich denkender Künstler anmerken darf. Ich kann es jetzt und hier nicht beweisen, vermute aber, dass damals, also als Künstler noch Entwürfe machten, die künstlerischen Materialien im allgemeinen Warenkorb viel teurer waren als heute. So in etwa wie ein Bentley, auf den die zeitgenössischen Künstler ab ihren ersten Versuchen hinarbeiten.
Das die Materialien teuer waren, war auch gut so, denn die Kollegen dachten erst an die Kunst und dann an das Geld, um die Kunst machen zu können.
Wer heute Kunst studiert, will in der Regel erst berühmt und dann reich werden oder umgedreht. Früher überlegte der Maler, bevor er Farbe auf Leinwand kunstvoll verteilte, denn er konnte nicht mal so einfach einen auf Versuch und Irrtum machen, denn der Irrtum an sich war viel teurer als heute. Sozusagen unbezahlbar und mit Verzicht an andrer Stelle verbunden.
Da jedoch Irrtümer selten bis nicht betraft werden, ist die Welt voller Irrtümer. Ich bin ja nun wieder erwarten so alt geworden, dass ich Geschichten von früher erzählen darf. Ich hatte mal einen Professor, der erzählte uns Studenten, nach dem Krieg habe man immer überlegt, ob man das Leinöl zu malen nehmen soll oder es lieber mit einer auf dem Schwarzmarkt ergatterten Kartoffel verspeist. Wenn es dazu Quark gab, war dies ein Festmahl. Kunstwissenschaftlich ist noch nicht bewiesen, dass jene Werke der unmittelbaren Nachkriegszeit besser waren als die heutigen. Aber es sind viel weniger.
Als Maler hat man viele Möglichkeiten, Irrtümer aus der Welt zu schaffen, ohne das dies sofort bemerkt wird. Eine ist die positive Destruktion.
Philologen werden jetzt sagen, das geht nicht. Da eine Zerstörung immer negativ besetzt sei. Man muss manchmal zerstören, um neu anfangen zu können. Ich meine ja nicht mit Gewalt und so. Einfach mal ne Struktur weg oder eine Denke, die sich festgefressen hat, überpinseln.
Wenn ab heute keiner mehr einen Kredit aufnimmt – das nennt man organisches Wachstum – sind die Banken kaputt und Jesus wird mit uns zufrieden sein, denn auch er jagte schon die Wechsler aus dem Tempel. Und wenn die Künstler wieder anfangen zu denken, bevor sie malen, gibt das zwar weniger Kunst, aber dieses Verhalten ist nachhaltig, weil nicht jeder Bürger verpflichtet werden kann, jährlich ein Bild zu kaufen. Mit der Kunst ist das so wie mit den Kühen und der Milch und dem Käse in den USA. Falls Sie verstehen, was ich damit sagen will. Außerdem geht es auch ein wenig um Ästhetik.
Manchmal ist man mitten am Zerstören und es wird was Neues draus. Man muss nur den Mut haben, damit anzufangen.
Dass ist nicht einfach, weil man schon so lange an der Sache gearbeitet hat und mit der Farbe zugleich Lebenszeit abkratzt. Bei einer solchen Aktion – ich kratzte aus Wut über mein Unvermögen auf der bemalten Leinwand rum – entstand was Neues und ich wiederholte den Prozess einige Male bei verschiedenen Bildern, ohne dass es eigentlich nötig gewesen wäre. So entstanden neue Strukturen, die ein zuvor festes Gefüge aufbrachen und trotzdem ein Neues bildeten. Dass mir diese Arbeiten dann außerdem noch regelrecht aus den farbverschmierten Händen gerissen wurden, war auch ganz schön. Da ich aber nach ein paar Bildern wusste, wie das geht, wendete ich mich anderen Möglichkeiten der Bildfindung zu und schrieb letztendlich ein Roman. Die Lektorin wusch mir derart den Kopf wegen meiner Geschwätzigkeit, dass von über 400 Seiten knapp 280 übrig blieben. Dann war der Text lesbar. Übertragen wir diese Erfahrung auf das unechte Leben, also die Politik, weiß man, was zu tun ist. Deswegen ist es alternativlos, alle Alternativen auszuloten.
Selbst die Kunst hat eine Resettaste – man muß sich nur trauen.
Wenn man sich nicht traut, alles abzukratzen, kann man auch Partien partiell übermalen. Die Farbe sollte dann sehr gut decken und am Ende sollte das Bild auch wieder stimmig sein. Kunst darf verwirren, dazu ist sie unter anderem gedacht. Denn nur so kann man Menschen zum Nachdenken bringen. In anderen Ebenen unseres Gesellschafstshäuschens mag das anders sein. Das, was man vorhat und macht, sollte schlüssig und erklärbar sein. Darin unterscheidet sich das Leben und die Kunst. Denn selbst die Kunst hat eine Resettaste und das sollte uns zu denken Anlass geben.