Modell und Maler
Maler und Modell oder Modell und Maler – welche Kombination hat den größeren Einfluss auf Kunst und Kunstgeschichte?
Es ist erstaunlich, wie eng ein Vorname mit der Persönlichkeit des Menschen verbunden sein kann, der diesen trägt. Ja, zuweilen scheint dessen Leben mit der Bedeutung des Namens schicksalhaft verbunden.
Isabella, die erste Frau von Peter Paul Rubens, verstarb mit 36 Jahren an der Pest.
Sie war nach den Gemälden ihres Gatten zu urteilen der Typ Haushaltsvorstand und würdige Begleiterin des aufstrebenden und schon in frühen Jahren berühmten und erfolgreichen Künstlers. Isabellas Gesicht ist schlank mit ausgeprägten Wangenknochen und dem Wesen nach strenger Natur. Eine ihrer Hände liegt, wie auf mehreren Porträts des Meisters zu sehen ist, schützend auf ihrer Brust. Oder sie hält, wie auf diesem von mir hier als Beispiel gewählten Gemälde einen Fächer als Statussymbol. Der Name Isabella, aus dem Hebräischen stammend, bedeutet „Gott schwört“ „Gott, ist heilig“, aber auch vom französischen „belle“ herkommend „die Schöne“. Demnach eine gottgefällige Schöne ohne die Koketterie einer lediglich „Schönen“.
Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Rubens im Alter von 53 Jahren Hélène Fourment. Sie war bei Eheschließung 17 Jahre alt.
Rubens malte zahlreiche Porträts nach ihr. Augenscheinlich diente sie auch für größere Kompositionen als Modell. Denn Sie entspricht dem Rubensstandart für Weiblichkeit.
Der Name Hélène ist eindeutig und passend. „Die Sonnenhälfte“, „die Strahlende“, „die Schöne“. Meine Spekulation, dass Namen Personen prägen mag, irrational zu erscheinen, ist aber trotzdem bedenkenswert. Im Übrigen gibt es zu Namen und den Rückschlüssen auf die Charaktereigenschaften deren Träger allerlei empirische Forschung. Ich bin jedoch zuerst Bildbetrachter und sehe an den rubensschen Gemälden seiner Frauen Unterschiede, die nicht nur im Zusammenhang mit deren Namen interessant sind, sondern wohl auch einen großen Einfluss auf sein gesamtes Werk ausübten
Freilich hat sich sein früher statisch zu nennender Malstil im Vergleich zum späteren Stil verändert und zu einem sinnlichen, ausufernden blonden Barock emporgeschraubt.
Dessen ungeachtet sehe ich aber auch, dass Rubens die Sinnlichere seiner Ehefrauen, also Hélène, in einer anderen Art darstellte, wie seine erste Frau.
Man darf spekulieren, ob die zweite Ehe sinnlicher war. Der Druck, Rang und Ruhm zu erlangen dürfte von Rubens im Alter von 53 Jahren abgefallen sein.
Dies, zumal er es nicht mit einem Markt zu tun hatte, wie wir ihn heute kennen, in dem der Halbzeitwert der gerade angesagten Kunst rasant schwindet und man auch als Berühmtheit Mühe hat, nicht in den trüben, saugenden und oft tödlichen Strudel des Kunstmarktwassers zu geraten.
Rubens berühmtestes „Ganzkörperportät“ „Das Pelzchen“ für das Hélène Model stand, ist nicht nur eine Hymne auf die Schönheit der Frau, sondern pure Fleischeslust, die heute nicht nur im Netz von Algorithmen als verdächtig eingestuft wird.
Die von Hélène ausgehende Sinnlichkeit prägte des Barockmeisters Spätwerk. Gemeint sind die 10 Jahre, welche er mit seiner jungen Frau bis zu seinem Tod verbringen durfte. Am eindrücklichsten ist dies an den „Drei Grazien“ von 1635 auszumachen. Die Anmut der Frau gepaart mit Lebenslust als malerische Glanzleistung des Meisters. Man darf annehmen, dass es für dieses Gemälde lediglich ein Model gab auch wenn die Physiognomie der Grazien leicht variiert. Hélène! Abgeleitet davon und bei Betrachtung seiner späten Malereien ist es offensichtlich, dass Hélène prägend für sein Werk war. Das Klischee Maler und Modell verkehrt sich ins Gegenteil und wird zum Modell und Maler. Offensichtlich ist jedoch auch, dass der Typus Rubens-Frau schon in seinen früheren Aktdarstellung der alleinige war. Was den Rückschluss zulässt, dass er Hélène auch erwählte, weil sie seinem und dem Schönheitsideal der Epoche des Hochbarock entsprach. Denn üppige Körperformen galten zu Rubens Zeiten als Zeichen des Wohlstands, aber auch der Intelligenz. Diäten dienten allein der Gewichtszunahme.
Ich finde im Oeuvre des flämischen Meisters kein Aktgemälde, auf dem Isabellas Gesichtszüge eindeutig zu erkennen wären. Hélène ist dagegen schon omnipräsent, bevor er sie überhaupt kennengelernte.
Auch die Maltechnik von Peter Paul Rubens ist essenziell für die Wirkung seiner Malerei. Cellulite war zu Rubens Zeiten kein Makel. Und keiner konnte sie so gut darstellen wie der Barockmeister. Dies liegt nicht zuletzt am Malmittel. Rubens verwendete sonnenoxidiertes Leinöl, welches eine honigartige Konsistenz hat. Dieses Malmittel wird mit Pigmenten versetzt und als Schlusslasur aufgebracht. Schon geringe Unterschiede in der Stärke des Auftrags lassen sanfte Wölbungen der Haut entstehen. Selbst in der Technik geübt, kann ich berichten, dass diese Lasur auch gut mit den Fingern aufzutragen ist. Diese Art der Malerei ist eine direkte sinnliche Auseinandersetzung mit der Haut.
Meine Hypothese, die Namen betreffend wird durch ein weiteres stilprägendes Modell erst erschüttert und dann doch bestätigt.
Dina Vierny war Modell, Muse und (außereheliche) Lebensgefährtin des Bildhauers Aristide Maillol. Ihr Vornahme stammt aus dem Hebräischen und wird mit „die Richterin“ oder „die Gerechte“ übersetzt. Frappierend ist die Tatsache, dass Maillol Dina, die damals 15-Jährige, gleichermaßen 10 Jahre vor seinem Tod kennenlernte. Und auch hier dasselbe Phänomen wie bei Rubens. Dina entsprach exakt der Leiblichkeit, die das Werk des Bildhauers schon prägte, bevor sie in sein Leben trat. Eine 15-Jährige steht einem 72-jährigen Bildhauer Modell. Und nicht nur dies. Sie wird nicht nur seine Geliebte, sondern sammelt später Maillols Kunst und eröffnet 50 Jahre nach dem Tod des Künstlers ein privates Museum.
Aber ihr Name? Wie verhält es sich damit.
Clotilde Maillol, die Ehefrau des Künstlers, hatte keine Hemmungen, während der Nazizeit mit den Besatzern Kontakt zu haben und beschwerte sich bei Arnold Breker, dem prominentesten Bildhauer der Nazizeit, dass ihr Mann besagtes Modell zur Mätresse hatte.
Was macht Dina DIE GERECHTE in der Zeit der Besatzung? Während sich Clotilde mit den Nazis abgibt, geht Dina in den Widerstand. Sie führte Flüchtlinge nachts über die französisch-spanische Grenze und rettete zahlreiche Leben. Letztendlich wurde sie von der SS gefasst und landete im Gefängnis. Hinrichtung oder zumindest das KZ waren ihr sicher. Maillol benutzte seine guten Verbindungen zu Arnold Breker und konnte sein Modell dank dessen Beziehungen zu höchsten NS-Kreisen befreien. Dina wird ihrem Namen gerecht.
Andrée Madeleine Heuschling, eine junge Frau vom Land, war Pierre-Auguste Renoirs letztes Modell.
Ihr erster Rufname ist männlicher Herkunft und bedeutet „der Tapfere“. Auch ihr zweiter Vorname, Madeleine, ist nicht ohne. Er bedeutet „Die Erhabene“.
Sie kam in das Atelier des greisen Meisters, als der nach dem Tod seiner Frau deprimiert und körperlich leidend das Malen so gut wie aufgegeben hatte. Ihr Erscheinen lies den Maler aufleben und inspirierte ihn wieder mit dem Malen zu beginnen. So entstanden zahlreiche heute berühmte Alterswerke. Es ist nicht davon auszugehen, dass zwischen Modell und Maler ein erotisches Moment während der Sitzungen zustande kam. Ohne Sinnlichkeit ist jedoch auch die Kunst eines Renoir undenkbar. Freilich besteht das Problem, dass er sich in seinem Alterswerk auch an Rubens und Tizian orientiert und damit in seiner Zeit überlebt war. Die jungen Kollegen stürmen auf die Abstraktion zu und Renoir ist nicht nur alt, sondern „sieht auch künstlerisch alt aus“. Entwickelte sich die Kunst vor 1900 in „Mehrgeneratiosschritten“ fängt sie um 1920 an zu rasen und das Neue überlagert alles, was zuvor geschaffen wurde.
Für Bonnard war Renoir jedoch noch Vaterfigur. Aber auch er geriet ins Abseits. Nicht zuletzt, weil Picasso ihn als „Neo-Impressionisten“ und „Dekadenten“ verhöhnte.
Zitat Picasso: „Noch etwas nimmt mich gegen Bonnard ein. Wie er nämlich die gesamte Bildoberfläche als zusammenhängendes Farbfeld füllt, mit einer Art von kaum wahrnehmbarem Gezitter, Pinselstrich für Pinselstrich, Zentimeter für Zentimeter, aber vollständig ohne jeden Kontrast“ oder „Ein Potpourri der Unentschiedenheit“. Wie wir wissen, ist die Betrachtung von Kunst subjektiv und nicht nur Künstler neigen zu absoluten Aussagen und Behauptungen. Die Zeit ebnet die Urteile der Zeitgenossen jedoch ein und stellt früher oder später alles auf seinen Platz, wie auch die Ausstellung Matisse – Bonnard im Städel zu Frankfurt eindrücklich zeigte.
Und was wurde aus Renoirs letztem Modell? Als der Sohn des Malers – Jean Renoir – desillusioniert und deprimiert aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrte, lernte er das Modell seines Vaters kennen. Die junge Frau baute ihn auf und wurde nicht nur seine erste Frau, sondern als Catherine Hessling eine bekannte Schauspielerin. Und Jean wahrscheinlich auch wegen ihres Einflusses der berühmteste Regisseur seiner Zeit. Sie war nicht nur tapfer, ihren eigenen Weg zu gehen, sondern auch erhaben, was ihre schauspielerische Leistung betrifft.
P.S. zum Thema Modell und Maler. In ca. 400 Gemälden von Bonnard taucht Marthe auf!
Er traf die Veilchenverkäuferin mit 26 Jahren und sie blieben für 40 Jahre ein Paar. Ohne Marte gäbe es keinen Bonnard wie wir ihn kennen. Ihr Vornahme Marte bedeutet „Herrin des Hauses“. Sie war Herrin des Hauses und Herrin der Malerei ihres Mannes.
Mehr zu ihr und Bonnard finden sie auf dem Blog des Städel – Wer ist diese Frau?