Der Tod der drei Grazien
Ich bin mir nicht sicher, wann die drei Grazien das Tageslicht erblickten.
Eine Frage, die mich seit Langem beschäftigt, ist, ob die drei Grazien tatsächlich eine griechische Erfindung sind – oder ob sie schon viel früher, irgendwo zwischen Himmel und Erde, ihren ersten Auftritt hatten. Vielleicht tanzten sie schon, bevor die Griechen überhaupt wussten, was Schönheit ist.
Wie dem auch sei: Gestorben sind sie gegen Ende der Moderne. Es war ein stiller Tod, kaum bemerkt, irgendwo zwischen Konzeptkunst und Performance. Doch wer weiß – vielleicht stehen sie schon wieder in den Startlöchern, bereit für ein Comeback. Denn Anmut, Charme und Heiterkeit lassen sich nicht so leicht unterkriegen.
Das Mosaik der drei Grazien in Narlikuyu bei Silifke stammt aus dem letzten Viertel des vierten Jahrhunderts. Es zeigt, wie tief verwurzelt dieses Motiv in der antiken Vorstellungswelt war.
Gemeinhin nimmt man an, dass die drei Grazien irgendwann im klassischen Griechenland ihren glanzvollen Auftritt hatten – als Verkörperung von Schönheit, Anmut und Lebensfreude. Von dort aus traten Aglaia, Euphrosyne und Thalia ihren Siegeszug durch die Kunstgeschichte an: von der Antike über die Renaissance bis weit in die Neuzeit hinein. Sie bevölkerten Gemälde, Skulpturen und Gedichte, zierten Paläste und Privatgemächer gleichermaßen.
Damals, als man noch Ideale haben durfte, war die Schönheit der Grazien unantastbar – ein Maßstab, kein Diskussionspunkt. Heute würde man sie vermutlich in einem Seminar zur „Körperpolitik“ zerlegen. Doch das ändert nichts an ihrer Wirkung: Sie bleiben ein Sinnbild für das, was dem Auge und der Seele gleichermaßen guttut.
Erstaunlich ist die Bedeutungsvielfalt dieser drei Frauen, die sich über die Jahrhunderte immer wieder wandelte – und doch stets dieselbe Wirkung entfaltete.
Natürlich stammen sie aus dem vertrauten Olymp, gezeugt – wie könnte es anders sein – von Zeus persönlich. Wer sonst hätte die Hand im Spiel, wenn es um Schönheit geht? In der göttlichen Hierarchie standen Aglaia, Euphrosyne und Thalia allerdings eher unten auf der Karriereleiter. „Untergöttinnen“ gewissermaßen – aber dafür zuständig für das, was das Leben lebenswert macht: Anmut, Schönheit und die Kunst, sich zu freuen.
Eine beneidenswerte Aufgabe – könnte man meinen. Doch wer heute Anmut, Schönheit und Lebensfreude verkörpern will, hat es schwer. Vielleicht ahnen Sie jetzt, warum der Tod der drei Grazien irgendwann unvermeidlich war.
Im Lauf der Jahrhunderte hat man die drei Grazien mit den unterschiedlichsten Attributen ausgestattet – mal züchtig verhüllt, mal freizügig in ihrer ganzen Unschuld. Auf diesem römischen Mosaik aber wirken sie überraschend ernst, beinahe misstrauisch.
Die eine hält, wenn man genau hinsieht, tatsächlich eine Schlange in der Hand – Sinnbild der Verführung, vielleicht auch der Erkenntnis. Ihre Schwester gegenüber trägt einen kleinen Beutel, in den das Tier wohl verschwinden soll. Zwischen ihnen steht die Dritte, die Mittlere, leicht zur Seite geneigt, als wolle sie vermitteln, ohne sich selbst zu sehr einzumischen.
So entsteht eine feine Spannung, ein leises Drama unter Götterdamen. Sie posieren nicht nur für die Ewigkeit, sie diskutieren sie geradezu. Und wie so oft bei alten Bildern bleibt uns das Rätsel ungelöst: Was geschieht hier wirklich? Vielleicht genau das, was Kunst seit jeher ausmacht – sie zeigt mehr, als sie erklärt.
Es ist immer riskant, etwas als „typisch“ zu bezeichnen – besonders in der Kunst. Verallgemeinerungen führen fast immer in die Irre. Und doch: Hans Baldungs Malerei trägt einen unverkennbar nördlichen Ton, selbst wenn sie vom Geist der italienischen Renaissance berührt ist.
Seine Themenwahl, die kühle Sinnlichkeit seiner Figuren und das düstere Nachdenken über Tod und Vergehen verraten eine Mentalität, die weniger von Florenz als von Freiburg, Straßburg oder Nürnberg geprägt ist. Baldung, Schüler und zeitweiliger Mitarbeiter Dürers, hat dessen Strenge und zeichnerische Präzision bewundert, aber nie ganz dessen Leichtigkeit erreicht. Dafür besaß er etwas Eigenes: eine fast beunruhigende Direktheit im Umgang mit dem Körper und seiner Vergänglichkeit.
In Die drei Zeitalter von Frau und Tod verbindet sich das Erotische mit dem Morbiden. Jugend, Reife und Alter stehen nackt nebeneinander, flankiert vom grinsenden Tod – ein Motiv, das in der deutschen Kunst jener Zeit mit erschreckender Selbstverständlichkeit auftaucht. Die Gesichter ähneln sich, als wären sie Abwandlungen desselben Ideals. Individualität ist zweitrangig, wichtiger ist die Idee vom ewigen Kreislauf, vom unaufhaltsamen Verfall.
Diese Tendenz zum „Ideal-Porträt“ – oder besser: zur typisierten Schönheit – teilt Baldung mit Cranach. Doch während Cranach oft höfisch und distanziert bleibt, dringt Baldung tiefer in die Körperlichkeit und in das Unbehagen des Sterbens ein. Vielleicht ist gerade das sein eigentlicher Beitrag zur Kunstgeschichte: die Schönheit beim Verlöschen zu zeigen, ohne sie zu verraten.
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Wo Schönheit ist, ist auch Vergänglichkeit. Der Tod der drei Grazien trat ein, als die Moderne ihren letzten Atemzug tat und die Kunst begann, sich selbst zu bespiegeln. Das Zeitalter der selbstgefälligen Ichbezogenheit brach an – und mit ihm verwandelte sich der Künstler samt seiner Werke immer häufiger in das, was der Markt verlangt: ein „Produkt“.
Doch die drei Grazien und ihr düsteres Gegenbild, Die drei Lebensalter von Frau und Tod von Hans Baldung Grien, berühren uns bis heute. Ihre Wucht ist ungebrochen. Man möchte fast sagen: Sie wirken moderner als so manches, was heute als Avantgarde gilt. Auch Otto Dix verstand es später, uns mit ähnlicher Direktheit zu treffen – ohne Sentimentalität, aber mit einem unerbittlichen Blick auf das Leben und seine Abgründe.
Die Reduktion und Expressivität von Baldungs Bildern sind frappierend. Zeitlos in Form, unerbittlich in Aussage.
Liest man die beiden Tafeln von rechts nach links, entfaltet sich ein ganzer Lebenszyklus. Am rechten Rand steht die junge Frau, kokett und sich ihrer Wirkung bewusst. In der Mitte die Reife – selbstbewusst, beinahe triumphierend. Die dritte Gestalt, bereits vom Alter gezeichnet, wendet sich einer Kinderschar zu, als wolle sie das Leben ein letztes Mal weiterreichen.
Dann der Bruch: Auf der zweiten Tafel tritt der Tod auf, grinsend, mit der alten Frau im Schlepptau. Sein Schritt geht nach vorn, auf die Lebendigen zu – denn auch ihre Zeit läuft, und läuft, und läuft. Die Alte blickt grimmig zur reifen Frau hinüber, als wolle sie sagen: „Du bist die Nächste.“ Amor liegt am Boden. Der große Pfeil ist gebrochen. Liebe, Schönheit, Leben – alles endet, nur der Tod bleibt standhaft.
Raffaels Drei Grazien greifen in ihrer Haltung deutlich auf antike Vorbilder zurück. Vermutlich orientierte sich der junge Maler an klassischen Darstellungen, die er aus römischen Skulpturen kannte. Die leichte Drehung der Körper, das harmonische Gleichgewicht zwischen Bewegung und Ruhe – all das verrät eine genaue Kenntnis der Antike und zugleich den unverwechselbaren Sinn Raffaels für Maß und Proportion.
Rätselhaft bleiben die Kugeln, die die drei Grazien in ihren Händen halten. Darüber ist viel spekuliert worden. Eine Deutung besagt, das Gemälde sei ursprünglich als Darstellung des Urteils des Paris gedacht gewesen – jener mythischen Szene, in der ein Apfel über Schönheit und Eitelkeit entschied. Die Kugel könnte also Sinnbild der Vollständigkeit sein, der Einheit von Körper, Geist und Seele.
Eine andere, nicht minder reizvolle Lesart geht vom Apfel selbst aus: vom Symbol des Begehrens über den Granatapfel bis hin zur Fruchtbarkeit. Raffael, stets ein Meister der Mehrdeutigkeit, lässt uns die Wahl. Vielleicht liegt gerade darin seine Größe – dass seine Grazien, bei aller Anmut, ein Geheimnis bewahren.
Aber nicht nur dies ist zu bedenken. Weiterhin fällt auf, dass sich die Bildnisse der dargestellten Halbgöttinnen gleichen. Die Problematik der Unterscheidung zwischen Porträt und Idealporträt habe ich in meinem Beitrag „Ein Porträt kann Bildnis sein“ erörtert.
Sandro Botticelli | La Primavera
Nix Genaues weiß man nicht. Und genau das macht die Kunst so wunderbar – dieses produktive Nichtwissen. Der sogenannte „wissende Betrachter“ ist ohnehin eine Fabelgestalt, eine Erfindung derer, die glauben, Kunst lasse sich wie eine Bedienungsanleitung lesen. In Wahrheit ist Halbwissen das Grundrauschen jeder Kunstbetrachtung – nur wird es erst dann unerträglich, wenn jemand es als absolute Wahrheit verkauft. Es gibt eben Menschen, die „wissen“, ohne zu wissen. Meist gespeist aus Vorurteilen, Eitelkeit oder der allgegenwärtigen Seuche der Selbstüberschätzung.
Botticellis Primavera steckt voller solcher Geheimnisse. Niemand weiß genau, wann das Gemälde entstand, wer es bestellte oder was es eigentlich „bedeutet“. Ganze Generationen von Kunsthistorikern haben sich daran abgearbeitet, und am Ende bleibt – das Staunen. Primavera heißt schlicht „Frühling“, klingt aber auf Italienisch unendlich zarter, als es unsere Sprache je vermöchte.
Ich möchte das Bild nicht in allen Einzelheiten beschreiben, sondern nur auf eine Gruppe eingehen – die drei Grazien. Denn um sie geht es hier. Und, ja, um ihren Tod. Den Tod der drei Grazien.
Zeigen Sie mir einen einzigen Maler des 20. oder 21. Jahrhunderts, der die malerische Finesse Botticellis übertroffen hätte. Es gibt viele, die waren sehr gut. Aber besser? Was heißt das schon – „besser“ in der Kunst? Der Mensch will stets alles schneller, effizienter, schöner machen – und scheitert gerade daran, wenn er es mit wahrer Kunst versucht. Dann bleibt ihm oft nur die peinliche Behauptung der eigenen Genialität.
Betrachten Sie stattdessen einmal die Hände der drei Grazien. Botticelli wusste, was er tat. Dieses feinmotorische Wunderwerk ist nicht nur Werkzeug, sondern ein Sinnesorgan. Hände können fühlen, trösten, streicheln, schlagen. Sie sind das unmittelbarste Medium zwischen Geist und Welt. In ihnen liegen mehr Knochen, Gelenke und Nerven als in jedem anderen Körperteil – göttliche Architektur, gewissermaßen.
Und Botticelli? Er hat das begriffen, ohne Anatomie studiert zu haben. Er verstand die Hand in ihrer Form und Funktion. Seine Grazien bewegen sich so selbstverständlich, dass ihre Gesten fast musikalisch wirken. Da ist nichts Angestrengtes, kein Manierismus, kein Posen. Alles fließt, alles ist im Gleichgewicht.
Botticelli malt nicht nur mit seinen Händen, er malt die Hände. Und das so leicht, als hätte er sie gerade erst erfunden. Seine Malerei ist duftig, beinahe flüchtig, wie hingehaucht. Wo sollte da Fortschritt herkommen? Die Malerei kennt keinen Fortschritt, zumindest nicht im technischen Sinn. Sie lebt von Erkenntnis, nicht von Effizienz. Rückschritt hingegen gibt es schon – und vielleicht beginnt er genau dort, wo die drei Grazien verschwinden.
Lucas Cranach – ein früher Vertreter der seriellen Kunst
Vieles war früher, als wir heute gern glauben. Es gibt so etwas wie eine „Ich-Zentrierung“ und eine „kollektive Zentrierung“ auf eine Zeit, die wir für besonders halten, weil wir selbst in ihr leben. Nicht selten entsteht daraus die Vorstellung, wir seien die Größten, Schönsten und Klügsten. In der Kunst könnte man das getrost kunsttheoretische Arroganz nennen.
Nehmen wir Lucas Cranach den Älteren. Er lebte von 1472 bis 1553 – also ein gutes Stück vor der sogenannten Moderne, die sich gern als Ursprung aller Innovation betrachtet. Gerade sie beansprucht den Begriff der seriellen Kunst ganz für sich, als sei er ein Kind des 20. Jahrhunderts.
Doch wer sich mit Cranach beschäftigt, entdeckt: Das Serielle hat tiefere Wurzeln.
Die Werkstatt Cranachs produzierte in einer Form, die man heute ohne Weiteres als serielle Kunstproduktion bezeichnen könnte. Immer wiederkehrende Motive, Variationen in Haltung, Farbe, Ausdruck – das war nicht bloß handwerkliche Routine, sondern eine bewusste Form der Bildgestaltung.
In meinem Beitrag Der Tod der drei Grazien schreibe ich deshalb nicht nur über ein Motiv, sondern über das Prinzip der Wiederholung selbst – über das Serielle als künstlerisches Verfahren.
Recherchiert man, stößt man zuerst auf Andy Warhol, Marilyn Monroe und die Campbell’s-Suppendosen. Die Pop-Art hat die Wiederholung zum ästhetischen Programm erhoben. Doch das, was Warhol und seine Zeitgenossen als Provokation verstanden, war bei Cranach längst alltägliche Praxis.
Auch in der Wiederholung seiner „Grazien“-Motive finden kompositorische und malerische Entwicklungen statt – subtil, aber klar erkennbar. Nicht so spektakulär wie bei Monets Heuhaufen oder seinen Kathedralen, aber ähnlich systematisch. Monet stellte 1891 in der Galerie Durand-Ruel fünfzehn Heuschober aus und vier Jahre später achtundzwanzig Ansichten des Portals der Kathedrale von Rouen.
Cranach malte auf Bestellung, Monet entdeckte das Serielle für den Markt, und Warhol trieb es schließlich zur Perfektion.
Alle drei verband ein kalkulierter Umgang mit Wiederholung – als ökonomische Strategie und zugleich als künstlerisches Konzept.
Fast alle beginnen unten, und manche bleiben das ganze Leben dort.
Der Zufall spielt auf jeden Fall eine Rolle. Der Galerist Paul Durand-Ruel trifft um 1870 Claude Monet. Zu diesem Zeitpunkt ist der Maler bettelarm.
Jedoch wendet sich das Blatt, als der Galerist ihm dutzendweise die Bilder für 300 Francs abkauft.
Dieser Betrag ist nicht zu unterschätzen, denn er ist das Hundertfache des Tagesverdienstes eines Pariser Arbeiters. Freilich spekuliert Durand-Ruel. Ja, er geht fast pleite. Bis er dann – natürlich in den Vereinigten Staaten – für seine Künstler den Durchbruch schafft.
Danach läuft das Geschäft mit der erst verschmäten Kunst wie geschmiert.
Denken wir nach. Es liegt nahe, in diesem Fall seriell und schnell zu arbeiten. Wo also ist dann genau der Unterschied zwischen serieller Produktion und serieller Kunst? Cranachs Auftragsbücher waren voll. Also produzierte seine Werkstatt Nymphen, Venus Gemälde und auch einige Motive mit den drei Grazien als Motiv in Serie.
Liebe Kunsttheoretiker. Steckt die Idee vom autonomen Künstler in die unterste Schublade mit der Bezeichnung „romantisches Denken“.
Künstler wie Menschen waren nie autonom. Selbst im All ist der Homo sapiens wie auch Katz und Hund vom Sauerstoff abhängig. Das die moderne Ausstellungspraxis bei Monet ihren Anfang nahm, will ich jedoch sofort glauben. Auch anderer Aspekte des Seriellen sind mir einsichtig. Und doch hat immer und auch alles etwas mit dem Markt zu tun.
Vergleiche hinken. Aber sie sind doch aufschlussreich, denn mich interessierten schon immer die Unterschiede zwischen der Renaissance nördlich und südlich der Alpen. Und auch der Tod der drei Grazien kommt in diesen Überlegungen vor.
Ein wirklich krasses Beispiel ist der Vergleich zwischen Lucas Cranach, dem Älteren und Jacopo Pontormo. Die von den zwei Meistern zur gleichen Zeit gemalten Werke scheinen formal und malerisch Lichtjahre auseinanderzuliegen. Cranach ist in seiner bodenständigen Werkstattproduktion gefangen, während Pontormo himmelgreifende Bilder malt und mit Bronzino am Abend speist. Leider findet man keinen direkten Vergleich von drei nackt gemalten Grazien, jedoch eine Zeichnung der drei Grazien von Jacopo.
Nackt hin oder her. Der malerische Furor von Pontormo kommt in allen seinen Arbeiten zum Ausdruck.
Die „Heimsuchung“ ist ein gutes Beispiel. Die emotionale Aufladung der Bilder des Manieristen steht im krassen Gegensatz zu dem durch Martin Luther geprägten Cranach. Denn die Katholiken haben schon immer das bessere Theater zu bieten und laden ihre ikonografischen Inhalte emotional auf.
Pontormo wurde nach seinem Tod nahezu vergessen. Sie fragen sich warum? Er ist wohl die stärkste Figur des Manierismus. Es waren die Kritiker – Theoretiker und Neider.
Und zuvorderst ein mittelmäßiger Maler-Kollege. Vasari sein Name. Diesem Giorgio Vasari haben wir einiges zu verdanken, denn als Biograf der italienischen Künstler ist er auch heute noch von Bedeutung. Pontormo jedoch war seine Generation und überragte Vasari malerisch bei weitem. Also menschelt es – wird es subjektiv und ungerecht.
Auch die weitere Kunstgeschichtsschreibung bis in die Moderne hinein schätzte Pontormo nicht, ignorierte ihn oder verachtete gleich den von ihm missachtend als Manierismus bezeichneten Stil insgesamt.
Der Manierismus ist an sich verdächtig. Denn er gründet auf der Maniera. Auf einen ganz eigenen und individuellem Stil, der bis ins Extreme hinein entwickelt wird. Dagegen steht die Cranachwerkstatt auf irdenen Boden und arbeitet einen Berg von Aufträgen ab. Und befriedigt die Kundschaft, ohne aus der Reihe zu tanzen.
Der Rubens treibt es in jungen Jahren wild und hält sich nicht an die Regeln.
Er weigert sich in diesem Gemälde den hellenistischen Typus der Grazien-Gruppe umzusetzen. Da tragen die Grazien plötzlich einen reich gefüllten Blütenkorb und tanzen aus den kanonischen Kompositionsregeln. Deshalb kommt den Grazien auch eine andere Bedeutung zu. Sie werden zum Sinnbild des Überflusses, der Natur und zu einer Art Lebensbrunnen.
Ob diese Komposition für die zahlreichen dekorativen Artefakte, die sich auf dieses Bild beziehen, zurückführen lassen, ist nicht eindeutig zu beweisen.
Aber wir kennen ja die Pappenheimer, die alles klauen und als eigenes verkaufen.
An die 10 Jahre später schuf Peter Paul Rubens eine der berühmtesten Darstellung der drei Grazien.
Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau ehelichte er Hélène Fourment und damit sein Idealmodell.
Jetzt muss es doch mal geschrieben sein. Die drei Grazien sind die Verkörperung von Poesie, Malerei und Musik.
Als ich das Handwerk der schönen Künstle erlernte, grüßte ich täglich die drei Grazien am Eingang der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dort hingen sie in Form eines antiken Reliefs an der Wand. Andere interpretieren sie anders. Für mich sind sie jedoch diese Verkörperungen. Ganz aus Eigennutz. Freilich lasse ich auch die anderen Interpretationen gelten. Denn die Antike hat immer recht.
Irgendwo habe ich gelesen „Natura wird von den Grazien entschleiert“.
Wer kann uns mehr vom Leben lehren als die reine Natur. Ja, das Gemälde der drei Grazien ist erotisch und hinter den Chariten grasen friedlich drei Rehe. Obwohl man die Damen im Vordergrund zuerst betrachtet, sind sie ein Teil der Natur.
Ein fetter Putto umklammert ein Füllhorn, aus dem das Wasser des Lebens fließt.
Wer jetzt jedoch denkt, das Dargestellte ist idealisiert, der irrt. Denn schauen wir uns die Damen genau an, so sind diese realistisch dargestellt. Rubens war so gesehen ein Realist und dies lange vor Courbet. Wenn auch ein Realist der üppig-barocken Lebensfreude. An der Qualität dieses grandiosen Werkes ist abzulesen, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach und in all seinen Teilen von der Hand des Meisters und zu seinem eigenen Vergnügen geschaffen wurde. Denn kein Auftraggeber ist bekannt.
Auch der Maler Francesco Furini wurde erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt.
Ob er in Sippenhaft mit den Manieristen rund um Pontormo genommen wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist er einer der wichtigsten Protagonisten der Florentiner Malerei des frühen 17. Jahrhunderts und dem Übergang zum Hochbarock.
Sie merken es. Die Leichtigkeit der himmelstrebenden Manieristen ist dahin. Im Barock wird es nicht nur fülliger, sondern auch schwerer.
Was mir jedoch bei Furini besonders auffiel, sind seine Figuren. Speziell jene, welche mit dem Rücken zum Betrachter dargestellt sind.
Zum Teil verschwindet ihr Antlitz im Nichts. Der Künstler provoziert unsere Sehgewohnheiten, indem er uns den Blick in das Gesicht der Dargestellten verwehrt.
Die einen werden meinen, es sei aus diesem Grund ein sinnloses Bild.
Ich erachte diese Herangehensweise als einen mutigen Schritt zu einer Form der Abstraktion. Der Rückenausschnitt mit dem Gewand ergibt eine eigene Form, die an sich Bild genug ist.
A priori bin ich der Meinung, dass Künstler aus der Intention heraus arbeiten. Also nicht unbedingt einem Denkmuster folgen, welches sich der geschulte Betrachter entwickelt. Sondern das er einmal Erfasstes und Erlerntes in seine Werke einfließen lässt, ohne ständig darüber nachzudenken.
Furini hat wahrnehmungspsychologisch das Richtige getan.
Durch das Verschleiern und Verbergen steigert er die Begehrlichkeit des Betrachters mehr zu sehen. Wir kennen dieses Vorgehen auch von allseits bekannten zeitgenössischen Künstlern.
All denen kann man einen „Leonardismus“ nachsagen.
Denn das Sfumato und die Helldunkelmalerei wird gemeinhin auf Leonardo zurückgeführt. Furini ist jedoch eher ein „Caravaggeschi“ zu nennen, denn er ist sehr nahe an seiner Manier, wie die dunklen Hintergründe und Kontraste erkennen lassen.
Natürlich müsste man jetzt noch auf die malerische Behandlung des Haars eingehen, die den Protagonistinnen seiner Gemälde eine eindeutig erotische Präsenz verleihen. Dazu ist dann hoffentlich in einem weiteren Blogbeitrag Platz. Denn hier geht es zuerst um den Tod der drei Grazien. Derzeit sind sie noch prall im Leben.
INFOBOX | Die drei Grazien
Die drei Grazien, auch als Chariten bekannt, sind mythologische Figuren, die in der Kunstgeschichte eine bedeutende Rolle spielen.
Diese anmutigen Schwestern sind in der griechischen Mythologie als Aglaia (Glanz), Euphrosyne (Freude) und Thalia (Blüte) oder auch die üppig Gewachsene bekannt. Sie repräsentieren die Schönheit, Anmut und Freude, und ihre Darstellung in der Kunst reicht bis in die Antike zurück.
Die ersten bekannten Darstellungen der drei Grazien stammen aus dem antiken Griechenland, insbesondere aus der Zeit des Klassizismus.
In der griechischen Mythologie waren die Chariten ursprünglich Töchter des Gottes Zeus und der Göttin Hera. Ihre Funktion bestand darin, Harmonie und Schönheit in der Welt zu fördern, insbesondere in Bezug auf menschliche Tugenden wie Liebe, Kreativität und Musik.
Eine der frühesten Darstellungen der Grazien findet sich auf dem Pergamonaltar, einem hellenistischen Meisterwerk aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Dieser Altar, der im heutigen Bergama, Türkei entdeckt wurde, zeigt die Chariten in einer Szene, die den Göttern huldigt. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Grazien zum beliebten Motiv in der griechischen Kunst.
Mit dem Aufstieg des Römischen Reiches übernahmen die Römer viele Elemente der griechischen Kultur, einschließlich der mythologischen Figuren wie der drei Grazien.
Die Darstellungen der Grazien in der römischen Kunst ähnelten oft denen der Griechen, aber es gab auch einige Unterschiede in der Darstellung und Interpretation. In der Renaissance erlebten die drei Grazien eine Wiederbelebung als Motiv in der bildenden Kunst. Künstler wie Sandro Botticelli, Raffael und Peter Paul Rubens schufen beeindruckende Gemälde und Skulpturen, die die Anmut der Grazien betonten. Diese Künstler griffen nicht nur auf antiken Quellen zurück, sondern interpretierten die Grazien auch im Kontext ihrer eigenen Zeit und Kultur.
Die Bedeutung der drei Grazien in der Kunstgeschichte liegt vor allem in ihrer symbolischen Repräsentation von Schönheit, Anmut und Freude.
In vielen Darstellungen werden sie als elegante Frauen mit ätherischer Schönheit und harmonischen Proportionen dargestellt. Die Grazien werden in der Regel in Gruppen von drei gezeigt, wobei jede eine spezifische Tugend oder Qualität verkörpert. Darüber hinaus können die Grazien als Allegorie für die schönen Künste, insbesondere für Musik, Tanz, Poesie oder auch bildender Kunst interpretiert werden. Ihre Anwesenheit in Kunstwerken sollte den Betrachter dazu anregen, Schönheit und Harmonie in allen Aspekten des Lebens zu schätzen und zu fördern.
Charles André van Loo (1705–1765) war ein französischer Maler des Rokoko, der während des 18. Jahrhunderts wirkte.
In Bezug auf die Häufigkeit der Verwendung der drei Grazien als Motiv in seiner Malerei ist es wichtig zu beachten, dass van Loo ein breites Spektrum von Themen abdeckte, darunter historische, mythologische und allegorische Darstellungen. Die drei Grazien waren zwar ein beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte, aber van Loo hat sie nicht in dem Maße verwendet, wie einige seiner Zeitgenossen. Im Verhältnis zu Boucher, dem Meister der „graziösen Frivolität“, war er der „ernstere“ Maler, der sich auch mit historischen und mythologischen Themen befasste. Dies kommt auch in seiner Malerei zum Ausdruck, die eine „klassizistischere“ Anmutung hat. Denn van Loo benutzt eher das Zeichnerische und trennt Binnen- von Außenform durch eine klare Kontur.
Van Loo war bekannt für seinen geschmeidigen und dekorativen Stil, der charakteristisch für das Rokoko war.
Seine Werke zeichneten sich durch Eleganz, Leichtigkeit und eine Vorliebe für lebhafte Farben aus. Im Gegensatz zum Barock war das Rokoko von einer zarteren Ästhetik geprägt, die sich durch Ornamentik, Verspieltheit und eine gewisse Leichtigkeit in der Darstellung auszeichnete.
Nacktheit wurde in der Kunst dieser Zeit als künstlerisches Mittel betrachtet, um Schönheit und Vollkommenheit zu betonen, anstatt eine explizite oder naturalistische Darstellung des menschlichen Körpers zu verfolgen.
Auch van Loo stellte Nacktheit im Rahmen von mythologischen oder allegorischen Themen dar. Dies ermöglichte es den Künstlern, die menschliche Form zu idealisieren und gleichzeitig moralische oder philosophische Konzepte zu vermitteln.
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Die „graciöse Frivolität“ im Werk von François Boucher bezieht sich auf die charakteristische Leichtigkeit, Anmut und sinnliche Verspieltheit seiner Gemälde, die typisch für das Rokoko waren.
Boucher war einer der führenden Künstler dieser Epoche, die sich durch eine Abkehr von den ernsthaften und strengen Formen des Barock zu mehr Leichtigkeit und Sinnlichkeit auszeichnet. Seine Werke waren von einer dekorativen Eleganz durchdrungen, die oft als „graziös“ bezeichnet wird.
In Bezug auf die erotische Komponente seiner Gemälde zeigte François Boucher eine Vorliebe für Darstellungen von Liebe, Vergnügen und sinnlichen Freuden.
Seine Werke enthalten oft nackte oder halbnackte Figuren in idyllischen Umgebungen. Die Erotik in Bouchers Gemälden ist jedoch selten explizit oder vulgär, sondern eher subtil, charmant und von einer spielerischen Leichtigkeit geprägt. Die Darstellung von Akten und intimen Szenen diente oft dazu, eine Atmosphäre der Sinnlichkeit und des Vergnügens zu schaffen.
Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, insbesondere die französische Aristokratie, schätzte Bouchers Werke wegen ihrer eleganten Leichtigkeit und ihres unterhaltsamen Charakters.
Die Rokoko-Ära war geprägt von einem hedonistischen Lebensstil, und Bouchers Gemälde spiegelten diese Haltung wider. Die Menschen der Zeit betrachteten Kunst als Mittel zur Unterhaltung und Flucht aus den realen, oft anspruchsvollen Aspekten des Lebens.
Was die Frauen der Zeit betrifft, so spielten sie häufig eine zentrale Rolle in Bouchers Gemälden. Viele seiner Modelle waren Frauen aus der französischen Aristokratie, einschließlich seiner Mäzeninnen und Damen des Hofes.
Die Frauen der Gesellschaft schätzten oft die Darstellungen von Grazie und Schönheit in Bouchers Werken und unterstützten seine künstlerische Karriere.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Modelle in Bouchers Gemälden oft idealisierte und stilisierte Darstellungen von Frauen waren. Die erotische Komponente seiner Werke sollte nicht als pornografisch, sondern als Ausdruck der Freude am Leben und der Schönheit verstanden werden, die im Einklang mit den Werten und Vorlieben der Rokoko-Ära stand.
Insgesamt verband François Boucher in seinem Werk die Vorlieben der Zeit für sinnliche Genüsse mit einer anmutigen und dekorativen Ästhetik, die seine Gemälde zu charakteristischen Beispielen des Rokoko machten.
Johann Zoffany (1733–1810) war ein deutscher Maler des 18. Jahrhunderts, der vor allem in England tätig war. Er wird oft mit der Neoklassik und dem Rokoko in Verbindung gebracht, aber seine Kunstwerke überspannen mehrere Stile und Genres.
Ich bin bei meiner Recherche auf ein Gemälde gestoßen, welches so gar nicht in sein Werk passen will.
Zoffany war bekannt für seine Fähigkeit, lebendige und detaillierte Gruppenporträts zu schaffen. Er war auch ein Pionier in der Darstellung von Theater- und Bühnenszenen, was zu seiner Bekanntheit beitrug. Jedoch zeichnen sich seine Werke durch eine präzise Komposition, eine genaue Wiedergabe von Details und eine sorgfältige Beobachtung der Charaktere aus, die ich auch bei dieser Arbeit erkenne. Dieses kleine Bildtäfelchen dürfe jedoch privater Natur sein. Denn die innige körperliche Nähe der drei Grazien ist beachtlich und in den traditionellen Kompositionen nicht in diesem Maße zu erkennen.
George Frederick Watts (1817–1904) war ein bedeutender britischer Maler und Bildhauer des 19. Jahrhunderts.
Watts war vielseitig und sein Werk erstreckte sich über verschiedene Genres und Stile. Er gehörte zur viktorianischen Ära, die die Regierungszeit von Königin Victoria (1837–1901) in Großbritannien umfasste. Diese Epoche war von einem breiten Spektrum kultureller, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen geprägt.
Watts interessierte sich für mythologische und allegorische Themen, die er in einer ernsten und symbolischen Weise interpretierte. Der nackte Körper wurde von ihm oft als Mittel verwendet, um universelle Ideen und menschliche Emotionen auszudrücken.
Ein berühmtes Beispiel seiner Malerei ist das Werk „Hope“ (Hoffnung), auf dem zwar keine nackte weibliche Figur zu sehen ist, welches jedoch seine malerische Sensibilität sehr gut illustriert. Das Werk ist eine Allegorie der Hoffnung und wurde zu einem seiner bekanntesten Gemälde.
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Watts malte auch die drei Grazien, wobei er diesen mythologischen Figuren seine eigene Interpretation verlieh. Sein Gemälde „The Three Graces“ zeigt die Grazien nicht in der üblichen anmutigen und verspielten Darstellung, sondern betont eher ihre spirituelle Dimension.
„Die Figuren sind ernst und nachdenklich dargestellt, und das Gemälde reflektiert Watts‘ Interesse an moralischer und geistiger Entwicklung. (Zitat Chatgpt)“
Diese Aussage ist natürlich subjektiv. Die Behauptung in der Suche, sein Gemälde Hoffnung sei die bekannteste Aktdarstellung in seinem Werk ist jedoch einfach falsch. Die KI kann Hilfreich sein aber auch gefährlich. Denn oft erzeugt sie Bullshit und wurschtelt sich irgendwas aus gefundenen Texten zusammen. Blind ist sie allemal – wie an diesem Beispiel bewiesen. (Habe nach verschiedenen Testläufen gekündigt da die Fehleranfällingkeit enorm ist.)
Obwohl Gustave Courbet meines Wissens nach die „Drei Grazien“ nicht als Motiv verwendet hat, ist sein Werk dennoch wichtig und sollte hier erwähnt werden.
Auch schon in Rubens‘ Darstellung der drei Grazien können wir eine Form des Realismus erkennen. Es gibt zwar keinen klaren Beweis dafür, dass Helene Fourment direkt für das Gemälde „Die drei Grazien“ Modell stand, aber es wird angenommen, dass sie möglicherweise als Inspiration für die Darstellung der weiblichen Schönheit in diesem Werk gedient haben könnte. Ein Vergleich mit dem Gemälde „Das Pelzchen“ scheint mir jedoch ausreichend als Beleg. Rubens hat also in realistischer Manier ein Aktporträt seiner von ihm angebeteten Frau geschaffen.
Gustave Courbet wird zu Recht als der „Erfinder“ des Realismus betrachtet, da er sich stark am Modell orientierte und als einer der ersten die Fotografie als Vorlage für seine Gemälde nutzte. Ebenso verzichtete er darauf, Allegorien oder Gleichnisse zu verwenden, um nackte menschliche Körper darzustellen.
Mit ihm bricht ein altes System auf. Ist hiermit der Tod der drei Grazien eingeläutet?
Ich frage mich wie wohl auch einige andere meines Faches, was denn eigentlich moderne Kunst ist und woran man sie erkennen kann. Dies ist überraschend. Aber am Werk von Lovis Corinth kann man die Entwicklung der herannahenden Moderne gut erklären.
Corinth war bekannt für seine stilistische Vielfalt. Er durchlief verschiedene Phasen in seiner Karriere, darunter den Impressionismus, Symbolismus und Expressionismus. Diese Bereitschaft zur Experimentierfreudigkeit und die Fähigkeit, sich an neue Strömungen anzupassen, sind charakteristisch für moderne Künstler. Ihr Markenkern.
Corinth erlebte und reagierte auf die Veränderungen und Herausforderungen seiner Zeit. In der Kunstgeschichte markierte die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert den Übergang von der Tradition zur Moderne. Künstler begannen, traditionelle Konventionen zu hinterfragen und neue künstlerische Ausdrucksformen zu erkunden. Corinth trug dazu bei, diesen Übergang mitzugestalten.
Moderne Künstler waren oft darauf bedacht, ihre persönliche Vision und ihre individuelle künstlerische Handschrift auszudrücken. Corinth verfolgte in seinen Werken eine expressive und subjektive Darstellungsweise, die sich vom damals vorherrschenden akademischen Realismus abhob. Corinth schuf auch Aktgemälde, die sowohl traditionelle als auch moderne Elemente vereinten.
Aktmalerei wurde in der Moderne oft als Mittel betrachtet, um den menschlichen Körper auf neue Weisen zu erforschen und auszudrücken.
Corinth trug dazu bei, die Aktmalerei in die Moderne zu führen, indem er neue Techniken und Interpretationen einbezog. Insgesamt kann Lovis Corinth aufgrund seiner Vielseitigkeit, seines Einflusses auf die Moderne und seiner Bereitschaft zur Experimentierfreudigkeit als moderner Künstler betrachtet werden obwohl er wie bei seinen „Drei Grazien“ oft mythologische und allegorische Themen verwendete um Nacktheit darzustellen.
Beachten Sie den selbstbewussten Ausdruck der „linken Grazie“ und Sie sehen mit dem Gemälde sind wir schon nahe an unserer Zeit.

Frantisek Kupka (1871–1957) war ein tschechisch-französischer Maler und einer der Pioniere der abstrakten Kunst. Sein Werk lässt sich kunsthistorisch in den Kontext des Abstrakten Expressionismus und des Orphismus einordnen.
Jedoch beschäftigte sich Kupka in seinen frühen Werken auch mit der Aktmalerei. Obwohl er den menschlichen Körper nicht nur als physisches Objekt sah, sondern versuchte, ihn in eine spirituelle Dimension einzubeziehen, haben wir es bei diesen drei Grazien mit einer eher deftig-barocken Darstellung des Sujets zu tun. Man könnte auch meinen: Er nimmt das Ganze nicht ernst.
Pierre Bonnard (1867–1947) war ein französischer Maler und Grafiker, der zu den führenden Vertretern des Post-Impressionismus und der Kunstbewegung der Nabis gehörte.
Bonnard war Mitglied der Künstlergruppe „Les Nabis“ (Die Propheten), die sich Ende des 19. Jahrhunderts formierte und sich durch ihre experimentelle Herangehensweise an Farbe und Form auszeichnete. In Bezug auf Aktmalerei war Bonnard bekannt für seine intimen und häufig sinnlichen Darstellungen des weiblichen Akts, die er in seinem eigenen, sehr sinnlichen Stil gestaltete. Diese Aktgemälde zeichneten sich durch lebhafte Farben, eine feine Linienführung und eine oft träumerische Atmosphäre aus. Bonnard malte häufig den Impressionisten folgend in seinem eigenen Zuhause oder im Freien, wodurch er intime und persönliche Szenen schuf.
Bonnard war jedoch nicht dafür bekannt, allegorische Themen wie die der drei Grazien zu malen.
Sein Fokus lag eher auf der Darstellung des Alltags und persönlicher Szenen. Also wird der Bildtitel „les trois greaces“ lediglich auf die drei dargestellten Akte bezogen sein und keine allegorische Bedeutung haben.
Pablo Picasso beschimpfte angeblich Bonnard als “Neo-Impressionisten”.
Und bezeichnete ihn als einen “Dekadenten”. Und dies nur, weil er die Natur zum Vorbild hatte. Weiter höhnte angeblich Picasso.
“Noch etwas nimmt mich gegen Bonnard ein. Wie er nämlich die gesamte Bildoberfläche als zusammenhängendes Farbfeld füllt, mit einer Art von kaum wahrnehmbarem Gezitter, Pinselstrich für Pinselstrich, Zentimeter für Zentimeter, aber vollständig ohne jeden Kontrast”.
Dieses angebliche Zitat fand ich in einem Zeitungsartikel. Weiter recherchiert wird der Kunsthistoriker Wilhelm Hausenstein für diese Verunglimpfung haftbar gemacht. Also antworte ich mit Matisse, der den Kunsttheoretikern sehr kritisch gegenüberstand:
„Die Wahrheit ist, dass ein Maler eben nur mit der Palette in der Hand existiert und dann tut, was er kann.“
Man meint Bildtitel spielen in der Malerei und der bildenden Kunst eine bedeutende Rolle, da sie dem Betrachter zusätzliche Informationen über das Kunstwerk liefern. Das mag gelegentlich so sein. Oft sind diese Titel jedoch lediglich eine mäßige Beschreibung des zu Sehenden.
Denn der Tod der drei Grazien war schon lange vor Bonnard eingetreten, als deren eigentliche Bedeutung immer mehr verschwand.
Ein bekanntes Beispiel ist Picassos Werk „Les Trois Grâces“, das er im Jahr 1921 malte, welches oft mit der Bezeichnung „Drei Frauen am Brunnen abgebildet wird und ein guter Beleg für die Willkürlichkeit der Betitelung von Kunstwerken ist.
Man findet jedoch auch noch einige seiner Gemälde und Zeichnungen, die unter dem Titel die drei Grazien firmieren. Einen inhaltlichen Bezug kann ich jedoch außer der sichtbaren drei Frauen nicht ausmachen. Es gibt auch einige Theoretiker, die das Thema unserer Grazien in seinem Les Demoiselles d’Avignon sehen wollen.
Die Exegese dieses Kunstwerks steht im krassen Gegensatz zu dieser Titelbehauptung.
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Wenn man weiter recherchiert, findet man mit einiger Mühe Werke von Fernand Léger, Jan Metzinger oder auch Fernando Botero, die diesen Titel tragen, sich jedoch offensichtlich lediglich auf die drei Frauen beziehen. Sprich drei Frauen = drei Grazien
Letztendlich meint man in der Gegenwart die drei Töchter des Zeus und der Eurynome, Euphrosyne (die „Frohsinnige“), Thalia (die „Blühende“) und Aglaia (die „Strahlende“) mal fix die Themen Geschlechterrollen und Normen überstülpen zu müssen und instrumentalisiert sie.
Der Tod der drei Grazien ist damit endgültig eingetreten.
NACHTRAG ZUM VORTRAG
Wir dürfen getrost behaupten, dass die drei Grazien um einiges älter als Jesus Christus sind.
Und irgendwie leben die Grazien in uns weiter. Ich, der Schreiber dieses Blogs mit meinen vielen Behauptungen und Erkenntnissen bin natürlich ein Teil dieser titelgebenden Branche und habe selbst einigen meiner Werke den Titel „Die drei Grazien“ gegeben. Gelegentlich sind auch vier Grazien daraus geworden. Dann nannte ich dieses Erzeugnis vier Grazien. Denn die Grazie an sich und im Besonderen steht für das lateinische Gratia Anmut oder auch Lieblichkeit. Also letztendlich für eine Form des Schönen.
Guten Morgen Frau Ingeborg Knaipp,
Ich entdecke erst heute Ihren Kommentar zu Gustave Courbets „Trois Baigneuses. Daher einige, kurze Anmerkungen des Praktikers:
Betrachtet man die mittlere Figur des Gemäldes, fällt die Größe ihres Kopfes auf. Ein erwachsener menschlicher Körper hat in der Regel ein Kopf-zu-Körper-Verhältnis von etwa 1:7 bis 1:9 – wobei 1:9 bereits eine sehr große Körpergröße impliziert. In Courbets Darstellung wirkt der Kopf im Verhältnis zum Körper möglicherweise etwas größer, was entweder eine bewusste stilistische Entscheidung oder eine Besonderheit der Perspektive sein könnte. Ich habe den Körper vermessen. Im Großen und Ganzen passt die Größe jedoch.
Die Delle im Unterleib der Figur mag auf einen unglücklich gesetzten Schatten zurückzuführen sein. Allerdings habe ich das Gemälde derzeit nur als Reproduktion vor mir, was eine abschließende Beurteilung erschwert.
Gustave Courbet wird von der Kunstwissenschaft als Vertreter des Realismus eingeordnet – eine Richtung, die sich von der naturalistischen Malerei unterscheidet. Während der Naturalismus eine nahezu wissenschaftliche Präzision anstrebt, betont der Realismus die ungeschönte, direkte Darstellung der Wirklichkeit. Courbet verzichtete auf idealisierende Darstellungen und setzte stattdessen auf eine kraftvolle, oft grobe Malweise.
Seine Technik beeinflusste später die Impressionisten, die ihn als Vorbild sahen. Dies lag nicht zuletzt an seinem expressiven, teils „lockeren“ Malstil. Auf „Trois Baigneuses“ lassen sich skizzenhafte Partien erkennen, die seinen pastosen, kräftigen Pinselstrich unterstreichen. Seine Malweise war bewusst roh und materialbetont, frei von akademischer Glätte.
Die Ablehnung akademischer Traditionen ermöglichte Courbet eine malerische Freiheit, die damals kontrovers diskutiert wurde – ähnlich wie heute Ihre Kritik an der scheinbaren Unausgewogenheit der Komposition. Doch gerade diese Freiheit macht sein Werk zu einem Meilenstein des Realismus.
Mit sonnigen Grüßen aus Leipzig
Thomas Gatzemeier
Die drei Grazien unterstützen Luna / Merkur / Venus. Und, Sol / Merkur / Venus. Sie sind Allegorien des Tages und der Nacht. Dazwischen liegen (Morgen und Abendröte) in einer Person. Sie sind jugendliche Gestalten und helfen auch nur Planeten die bis hin zur Sonne reichen. Bei den Elementen stellen sie die beiden Grenzplaneten dar. Solange es in der Jugendlichkeit bleibt, ist es im Prognostikum eher gut. Sind aber Saturn und Mars darin beteiligt fallen alle Prognostik schlecht aus. Die jugendlichen Planeten (Sonne und Mond gelten als Lichter) können am Tag-, am Nachthimmel und in der Morgen- und Abendröte dank der drei Grazien beobachtet werden.
Schade, daß Sie das Bild von Courbet nicht genauer betrachtet/interpretiert/ beschrieben haben. Aus sämtlichen Darstellungen dreier Grazien fällt dieses Gemälde als brutal, ungekonnt, zufällig, häßlich, unfertig heraus. Alles an diesem Bild ist unklar, die Anatomie der mittleren Frau kommt in der Natur wohl so nirgends vor, ihr Kopf ist zu groß, sie hat eine nicht erklärbare Delle am Unterleib, ihr rechter Fuß hat Courbet wohl nicht interessiert, ihre Figur (mit dem von Courbet so geliebten unförmigen – Jodmangel? – Hals) wirkt verwachsen, sie gleitet (denn sie sitzt nicht) von einer nicht genauer definierten Struktur (Felsen, Böschung?) ins Wasser, während die andere vom gleichen häßlichen, zu kurz geratenen und schnurrbärtigen Typ ihr in die Haare faßt. Von dieser sieht man nicht viel, außer eine von einem mutmaßlichen Kleidungsstück gebildete Masse und einen mit einem primitiven Pantoffel (in Österreich: Schlapfen) bekleideten Fuß. Auch bei der dritten hat Courbet sich mit der Natur nicht weiter aufgehalten: ihre linke Hand läuft in einem flossenhaften Gebilde aus, die rechte scheint verkrüppelt zu sein, die Füße verschwinden im Wasser oder hinter einer räumlich nicht verständlich angeordneten Vegetation.
Was ich nicht begreife: warum wird Courbet unter „Naturalismus“ oder „Realismus“ subsumiert? Waren diese krüppelhaften, hirsutischen Zwergfrauen sein Fetisch?