Der Fortschrittsglaube kennt keine Romantik
(In den Pittler-Werkzeugmaschinenfabrik Leipzig-Wahren hatte ich von 2007 – 2012 neben dem in Karlsruhe ein weiteres Atelier)
Ruinen können unter anderem dadurch entstehen, dass ein Vorhaben nicht beendet wurde oder werden konnte. Im Fall der Pittler Maschinenfabrik – im „realsoz“ zugehörig zum Werkzeugmaschinenkombinat 7. Oktober – hat es der real existierende Sozialismus nicht gänzlich geschafft, das Werk zu zerstören. Die Bundesimmobilienverwaltung kam der Sache schon näher. Man munkelt, letztendlich sei das Gebäude für einen Euro in Privatbesitz übergegangen.
Auch hierbei ist anzumerken: Der Fortschrittsglaube kennt keine Romantik
Sachlich kühler Charme der Kantine in einer sozialistischen Fabrik.
Die Kantinen der VEB Betriebe wurden meist mehrfach genutzt. Auf der einen Seite dienten diese der Ernährung der Arbeiter.
Andererseits der ideologischen Erziehung. Hier wurden Parteischulungen und Propagandaveranstaltungen abgehalten.
Weich gekochtes Mischgemüse war die häufigste Beilage. Das dazu gereichte Jägerschnitzel bestand aus einer fingerdicken, panierten und gebratenen Scheibe Jagdwurst. Diese Wurst hatte nicht das Geringste mit Wildfleisch zu tun wie der Sozialismus in der DDR eigentlich auch nichts mit den Idealen des Sozialismus zu tun hatte. Jedenfalls nicht mit denen die Rosa Luxenburg vertrat.
„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.„
Deswegen standen viele ihrer Werke auf dem Index der verbotenen Bücher.
Das Moderne war der DDR nicht ganz fremd. Manchmal ist man regelrecht überrascht, solch einen konsequent gestalteten Raum zu finden.
Verlassene Räume haben oft eine besondere Aura – aber der Fortschrittsglaube kennt keine Romantik? Dieser Allzwecksaal in der ehemaligen DREMA (VEB Drehmaschinenfabrik) in Leipzig Wahren hinterlässt einen besonderen Eindruck.
Die architektonische Gliederung wird von der Dachkonstruktion vorgegeben. Der Raum wirkt wie ein Aufmarsch. Die Menschen haben sich einzufügen. Dies entsprach der Ideologie des sozialistischen Kollektivs. Einfügen und funktionieren.
Ich habe diesen Raum so vorgefunden. Die Stühle standen wie zum Appell aufgestellt. Große Lücken klafften im Raum und einige Stühle haben sich selbstständig gemacht – sind aus den Reihen ausgebrochen. Absolute Ruhe. Ein Memento mori.
Eine radikal klare Anordnung. Der Stuhl des ersten Sekretärs der SED-Betriebsgruppe steht frontal zu den Stühlen, auf denen die Arbeiter Platz zu nehmen hatten. Dies kommt einen in den Sinn wenn man fast 20 Jahre nach dem Untergang der DDR in einem ehemaligen VEB-Betrieb solch eine Situation vorfindet.
Jedes Detail erzählt eine Geschichte als wäre diese in ihn eingebrannt.
In der Zeit zwischen dem Konkurs des Drehmaschinenwerkes 1997 und der Schließung durch die Brandschutzbehörde 2012 blühte die freie Marktwirtschaft in dem Gebäude. Kleingewerbe und Künstler hatten sich des vergessenen Gebäudes angenommen und nutzten dessen Möglichkeiten.
Man könnte meinen, es sei ein Kunstwerk. Eine Installation in einem künstlerischen Kontext.
Industrieller Naturalismus und auf seine Weise ästhetisch. Wertfrei, ja geradezu von einer einfachen Schönheit, sind die Details einer verlassenen Fabrik. Die Benutzung hat sie zu einem neu anzusehenden Gegenstand geformt der sich von seiner Bestimmung entfernt und zur Plastik wird.
Ein Sicherungskasten als funktionelles Möbelstück in guter Tischlerarbeit gefertigt. Die Ausführung in Holz widerspricht jeder Brandschutzordnung.
Und doch ist an die 90 Jahre nichts passiert. Unser modernes Sicherheitsbedürfnis widerspricht unserer modernen Lebensweise ohne das wir uns darüber Gedanken machen würden. Einerseits gibt es Regulierungen und Verbote überall. Der Brandschutz hat hysterische Formen angenommen. Andererseits vergiften wir die Welt. Reduzieren die Arten und verwandeln die Weltmeere in eine mit Plastikmüll angereicherte Kloake. Wie man den Atommüll beseitigt steht in den Sternen. Aber jeder noch so kleine Schalter wird einer Tiefenprüfung unterzogen.
Die Störung der Wahrnehmung verursacht diese Unverhältnismäßigkeit.
Natürlich dominieren auch wirtschaftliche Interessen die übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen. Wie könnte es auch anders sein?
Bei 372 Brandtoten im Jahr 2014 und zum Beispiel 373 im Jahr 2010 ist kein wirklicher Unterschied durch die Brandmelder-Verordnung und andere Maßnahmen auszumachen. Natürlich gab es 1990 zum Beispiel 787 Brandtote zu viel. Zu viel immer.
Andererseits schätzt man die Zahl der Krankenhausinfektionen für 2016 in Deutschland auf 500.000 Fälle und bis zu 15.000 Todesfälle. Eine wirkliche Bekämpfung dieser Infektionen würde Geld kosten. Dieses auszugeben scheut man jedoch um die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser nicht zu gefährden. Also deren Profit.
Rauchmelder und Sprenkleranlagen sind jedoch Pflicht. Es sei über die Verhältnismäßigkeit nachgedacht.
Komplexe Insallation in der altem Maschinenhalle des VEB DREMA in Leipzig – Wahren.
Solider Verteilerkasten aus Gusseisen.
Brüllende Ruhe in einer verlassenen Maschinenhalle. Anders kann man das Gefühl nicht beschreiben, welches man hat, wenn man in einem solchen Raum allein ist.
Orte an denen viele Menschen waren, täglich waren, ihr halbes Leben oder länger waren, sind von sich aus melancholisch. Einsam und verlassen.
Manchmal erzählt ein Detail mehr als das ganze Bild.
Ein stillgelegter Aufzug bringt uns nicht nach oben, kann uns jedoch auch nicht in die Tiefe stürzen lassen. Dies ist tröstlich.
Die Flure in Verwaltungsgebäuden sind zeitlos trist. Selbst der Geruch scheint in ihnen immer der gleiche.
Man denkt nur Papier sei ein neutrales Material. InWirklichkeit ist unser Leben in den Ordnern gefangen und das Papier deckt unsere Existenz zu. Es verschlingt das SEIN.
Der Minimalismus diese unfreiwilligen Rauminstllation würde sich auf jeder Dokumenta gut machen.
Den Kunsttheoretikern würde schon etwas dazu einfallen.
Eine klare Situation muss uns nicht immer einen Ausweg zeigen. Viele Türen führen in das Nirgendwo und wir werden uns verirren.
Eine Ecklampe kann Orientierung bieten, wenn sie an der richtigen Stelle angebracht ist.
Das wir in einer Zeit der Geschichtsvergessenheit leben beweist schon der Abriss des Palastes der Republik.
Dieser hätte Zeugnis über die zweite deutsche Diktatur und ihre kleinbürgerliche Miefigkeit abgeben können wie kein Zweites Relikt dieser Dumpfkopfdiktatur.
Aufklärung und Romantik verstanden sich darauf die Vergangenheit wertzuschätzen. Viele Bilder des Caspar David Friedrich wären ohne die auf ihnen abgebildeten Ruinen ohne Aussage.
Man muß die Vergangenheit nicht unbedingt wertschätzen. Mann sollte sie in Erinnerung halten.
Auch der 30. Jahrestag der Befreiung ist nur eine Fußnote in der Geschichte – auf die eine weitere Befreiung folgen wird. Und auch diese wird nicht die Letzte sein.
Zu unserem Bestreben Ewiges, oder zumindest ein sehr langes Leben, zu erlangen passt keine Vergänglichkeit.
Nicht in der Kunst und auch nicht im Alltag. Wenn wir Gebäude erhalten, werden diese meist kulissenhaft wieder aufgebaut und sind letztendlich ohne Seele.
Der Geruch von Waschpaste ist bis heute in meiner Nase.
Im Übrigen ist meine leichtfertige Verwendung des Begriffs Ruine wohl angebracht aber nicht treffend, da es sich lediglich um ein durch die Nutzung und den Zeitumständen gekennzeichnetes Gebäude handelt. Es kann wieder zu neuem Leben erweckt werden.
Ich habe gern vor Gästen gesagt, es röche in den Hallen noch nach sozialistischem Arbeiterschweiß. Diese Albernheit bezeichnet aber das Richtige. Die Werkhallen atmeten, obwohl verlassen, noch den Odem der Generation von Menschen die hier ihren Alltag verbrachten.
Allgemein ist es ja so, dass die sogenannte Kreativwirtschaft offengelassene Industriegebäude oder vernachlässigte Stadtviertel in Besitz nimmt und diesen wieder Leben einhaucht. Obwohl wirtschaftliches Denken notwendig ist, besteht aber die Gefahr, dass durch die radikale Lifestyleaufwertung die kulturelle Basis einer Region verloren geht.
Zumindest ein wenig subversiv sollten die Künste schon sein. Scheinbar hat jedoch der Markt die Seele der Kunst längst aufgefressen und scheißt diese als infantilen Firlefanz aus. Der Künstler war noch nie so sehr willfähriger Lieferant des Kunstbetriebes wie in unseren Tagen.
Die Maler der Romantik haben die Ästhetik des Zerfalls entdeckt. Von Stendhal ist ein Satz über das Colosseum überliefert, der eindrücklich beschreibt, um was für eine Bedeutung es sich beim Erhalt des Zerfalls handelt. …“heute, wo es in Trümmern fällt…vielleicht schöner (ist), als in den Tagen seines höchsten Glanzes. Damals war es nur ein Theater…“
Die unter den Benutzern einfach „Pittlerstrasse“ genannte Fabrik hätte gut ihrem Tun dienen können ohne große Eingriffe vorzunehmen. Dies wäre nicht nur wirtschaftlich, sondern auch bei intelligenter Vorgehensweise ressourcenschonend gewesen. Und dies bei gleichzeitigem Erhalt von Beschäftigungsmöglichkeiten nebst kulturellen Output.
Gerade bei einem Gebäude, welches unter sozialistische Planwirtschaft heruntergewirtschaftet wurde, hätte es einen Sinn gemacht freies Kleinunternehmertum und alternatives Leben zu etablieren.
Ein Abriss oder eine Totalsanierung macht keinen Unterschied. Die Aura des Gebäudes ist so oder so verloren.
Derartige Gebäude sind immer auch Erinnerungsraum und Räume die die Phantasie anregen und neue Geschichten produzieren – von wegen der Fortschrittsglaube kennt keine Romantik. In diesen Hallen schrieb ich einen großen Teil meines Romans „Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen.“ und einen kleinen Band mit Erzählungen.