Ausstellung Gatzemeier „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen
Einerseits ist ein Kunstwerk in der Lage ein anderes zu relativieren, also zu dominieren oder gar seine Schwächen eklatant hervortreten zu lassen.
Das Verhältnis eines Gegenstands zu einem benachbarten ist nicht nur von dessen Beschaffenheit, sondern auch von seiner Stellung zu dem anderen abhängig.
Wie in der Ausstellung Gatzemeier „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen zu betrachten, können Kunstwerke, im Zusammenhang gesehen, eine gänzlich andere Wirkung entfalten, als es ihnen unbeeinflusst von anderen Bildwerken gelingt. Denn die Kommunikationder Werke ist bedingt durch eine unterschiedliche Hin- und Draufsicht.
Einerseits ist ein Kunstwerk in der Lage ein anderes zu relativieren. Mit anderen Worten zu dominieren oder gar seine Schwächen eklatant hervortreten zu lassen.
Andererseits können sich zwei oder mehrere Artefakte in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken und den Betrachter auf gänzlich andere gedankliche Pfade führen als dies ein einzelnes Bild, Objekt oder ähnliches geschafft hätte.
Mehrere Gegenstände in einem Raum zusammengebracht bauen formale und inhaltliche Beziehungen auf, ob wir dies wollen oder nicht. Dabei ist es entscheidend wie sie zueinander in Stellung gebracht werden, um Wirkungen gezielt zu erzeugen. Ist die Dominanz des einen Gegenstands zu groß, besteht die Gefahr dem anderen die Luft zu nehmen, also seine Wirkung zu minimieren.
In einem genau austarierten Verhältnis, wie hier zum Beispiel der Gewichtung der Plastiken und des Bildes „Jüngster Friede“, ermöglichen die Durchblicke, dass ein gänzlich neues Bild entsteht. In diesem Fall, ein Gemeinsames. Also ein Neues.
Das im Kunstjargon Flachware genannte Tafelbild verbindet sich mit den Plastiken zu einem raumfüllenden Objekt. Die abstrahierte Morbidität steht vor der verletzlichen Leiblichkeit. Die Blicke zweier Frauen auf dem Bild verfolgen den Betrachter skeptisch fragend. Sie lassen ihn nicht entkommen.
Interessiert das Bild „Jüngster Friede“ den Betrachter allein, so ist es in dieser Konstellation schlecht möglich das Bild aus einem gebührlichen Abstand zu betrachten, ohne die Plastiken in und vor das Bild zu bekommen. Gerade durch diese Überschneidung und das „Ineinander“ der zwei Bildwerke entsteht ein ganz neues Werk. Auch konfrontieren sich zwei grundsätzlich existenzielle Ebenen der Darstellung des Lebens und verstärken sich gegenseitig. Anders formuliert, werden in der Ausstellung Gatzemeier „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen Eros und Thanatos miteinander verwoben.
Einerseits Frieden-Gewalt. Andererseits Tod und Leben.
Da die 17. Plastiken und das Bild „Jüngster Friede“, für sich gesehen, jeweils nur einen Aspekt zu bedienen scheinen – Leben-Tod – umfassen sie in einem erweiterten Denkansatz doch auch immer das Gegenteil.
Der erfahrenen Kunstbetrachter sieht automatisch mehrere Bilder und Gegenbilder dessen, was rein optisch vor ihm auftaucht. Er macht sich sein Bild.
Trotzdem wird auch der Kunstsinnige durch diese Installation in der Ausstellung „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen einen weitaus intensiveren Eindruck des Wollens des Künstlers bekommen, als es bei einer separaten Präsentation beider Werke in der Schutzatmosphäre der Abgeschiedenheit möglich gewesen wäre.
Die ersten Reaktionen des Publikums reichten von großer Nachdenklichkeit, optischer Überwältigung bis zur Ablehnung und der nicht zu verurteilenden Sehnsucht „Schönes“ zu sehen.
Natürlich war in Form zweier junger Studentinnen auch die immer größer werdende Fraktion derer, die einen vorgeblichen Sexismus skandalisierenden vertreten. Allerdings scheinen mit diese Menschen kulturell und auch anderweitig einseitig programmiert zu sein. Die Emanzipation falsch verstehenden, Skandalruferinnen scheinen überall anwesend zu sein. Das Dilemma ist in diesem Fall nicht nur ein ins frühe 19te Jahrhundert reichendes Körperverständnis, sondern auch eine vollkommene Abwesenheit der kulturellen Bildung. Geschweige denn die intellektuelle Möglichkeit Zusammenhänge herzustellen.
Der Unterschied zwischen einem erotischen Akt, der natürlich auch seine Berechtigung hat, und einem sinnlich, melancholisch, verletzlichen menschlichen Leib wird nicht ansatzweise begriffen und schon gar nicht gesehen.
Die Kompetenz die Umwelt wahrzunehmen ist bei derartigen Wesen auf die eines dumm gestrickten Logarithmus geschrumpft, über welchen ich letztens berichtete. Diese Menschen reagieren genau wie Facebook. Wird ein Stück bloße Haut oder gar eine Brust wahrgenommen, fallen alle Sicherungen aus und das Programm „Sexismus“ wird in Gang gesetzt.
Letztendlich wird die Leibfeindlichkeit zu einer asozialen Gesellschaft führen, in der ein normaler Umgang zwischen Menschen – mit all ihren Problemen – nicht mehr möglich sein wird. Anstatt die Kunstfreiheit zu behaupten wird die Angst im Hintergrund stehen von inquisitorischen Kräften denunziert zu werden.
Wie wollen sich derartig gepolte Menschen näherkommen, wenn sie so Leibfeindlich sind wie sie predigen? Das eigentlich harmlose wird aber gefährlich wenn Menschen einfachste Zusammenhänge nicht mehr wahrnehmen können. Logischerweise ist dies eine falsche Programmierung. Denn Leib- und Körperfeindlichkeit hat und hatte immer etwas mit Menschenfeindlichkeit zu tun. Um so mehr wenn solch eine Haltung orthodox daherkommt und der Gesellschaft von einigen wenigen aufgezwungen wird.
Deformationen sind die Folge.
Das können wir nicht nur bei fremden Religionen feststellen. Gerade die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche seien Beleg genug. Eine weiteren Erörterung wird dann auch überflüssig sowie langweilig denn jeder Psychologe wird Ihnen erklären was eine Verdrängung natürlicher biologischer Prozesse für Folgen hat.
Gottes Schöpfung ist nackt war nackt und bleibt nackt!
Kunst gegen Gewalt 17 Plastiken: Aus Wut wird Gestaltung
Dr. Martin Stather (Ausstellungsleiter Mannheimer Kunstverein)
Siebzehn Figuren, die meisten davon leicht überlebensgroß: Torsi, keiner komplett, keiner unverletzt. Jede Figur ein Einzelstück, Individuum, auf eine Standplatte gestellt, denkmalshaft.
Die Körperform ist verschliffen, rauh, erinnert an antike Statuen, die lange im Meer gelegen haben, vergessen, und von der Zeit ihre Patina erhalten haben. Bei manch einem schaut ein Gerüst durch die aufgebrochene Oberfläche, keine Knochen, aber dennoch eine Konstruktion, die die große Form zusammenhält, die Assoziationen an Lebendiges erhält.
Das Äußere ist von Erdfarbigkeit geprägt, die den Verfall, das Tote evoziert. Braun-, Rot-, Gelb- und Grüntöne überziehen die Körper flechtengleich, geben ihnen eine farblich lebendige Oberfläche, die der Starrheit und Versehrtheit des Leiblichen widerspricht.
Diese Figuren verharren auf ihren Standplatten in einem Ausdruck größter Konzentration. In der Dunkelheit werden sie zu Gespenstern im Aktsaal der Akademie, am Tage zu stummen Zeugen die befragt werden wollen.
Gatzemeier bildet den menschlichen Körper ab, indem er auf Distanz zu ihm geht. Als Individuen nur charakterisiert durch den Körperbau, die unterschiedliche Behandlung der Oberfläche, werden sie allgemein, entindividualisiert durch ihre Gesichts- und Bewegungslosigkeit. Die Installation der Gruppe im Berliner Reichstag im September 1994 konfrontierte die stehenden und stürzenden Körper mit dem Stapel der Verpackungskisten, die depotartig in einem Block zusammengefaßt waren. An diesem Block lehnte eine Eisenplatte, auf der die Namen von siebzehn Todesopfern rechtsradikaler Gewalt des Jahres 1992 verzeichnet waren, in flüchtiger Ätzung, kaum sichtbar.
Damit war der Bezug hergestellt, die Beklemmung, die die Gruppe beim Betrachter ausläst, zur Gewißheit geworden. Thomas Gatzemeier hat mit dem „Projekt siebzehn Plastiken“ ein Werk gegen das Vergessen geschaffen, keine Betroffenheitsstudie, vielmehr ein in seiner Bewegungslosigkeit überzeitliches memento mori, das für die Opfer der Gewalt in unserem Jahrhundert allgemein zu stehen vermag.
Die Distanz, die Gatzemeier zu seinem Gegenstand wahrt, ist die der Überlegung, der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem Thema, das wirksam umgesetzt werden kann nur in einem nicht-erzählerischen Kontext, der differenziert das Unbeschreibliche umkreist.
Konsequenterweise gestaltet er die Gruppe in Einzelfiguren, wobei keine auf die andere bezogen ist. Die Anonymität, die individuellen Zügen nur wenig Raum gibt, betont das unterschiedslose Sterben, das Leid des Einzelnen als Metapher für den Zustand unserer Welt.
Aus Wut wird Gestaltung, erwächst eine künstlerische Form, die abbildhaft ist und doch abstrakt sein muß, um ihre Wirkung zu entfalten. Hieraus ergibt sich ein Realismus, der tiefer in die Struktur des Menschlichen einzudringen vermag.
Gatzemeiers Kommentare zur Lage der Nation nehmen keinen breiten Raum in seinem Schaffen ein.
Der politisch denkende Mensch findet nur hin und wieder konkreten Ausdruck in der künstlerischen Form. Allerdings sind diese Arbeiten auch kein bloßes Beiwerk, sie entstehen vielmehr in der lebendigen Auseinandersetzung mit seiner eigenen Gegenwart.
Die Leipziger Diplomarbeit „Die Hitler kommen und gehen…“ (1980), formal noch stark geprägt von sozialistischem Realismus, gegen den sie sich im Ende jedoch wendet, indem sie die Aktualität des Themas für die Gegenwart betont, setzt zynisch Machtverhältnisse gleich und provoziert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten unter den Bedingungen der Diktatur.
In einer Serie von Überzeichnungen/Ergänzungen von Akademiezeichnungen eines Dresdner Studenten aus der Nazi-Zeit, die von Gatzemeier den Titel „Todesfuge nach einem Gedicht des Lyrikers Paul Celan“ bekommt, wird der Dialog zwischen einem glatten Akademismus und freier künstlerischer Form geführt. Entlarvend, überdeckend, aber nicht von einem zerstörerischen Impuls getrieben, werden analytisch Formen entwickelt, weitergearbeitet, die künstlerische Struktur der ursprünglichen Zeichnung dabei freigelegt.
Schließlich entsteht 1990 das Gemälde „Waldeslust“ als Kommentar zur Wiedervereinigung, das die abgekratzten Farbschichten von vier früheren Gemälden zu einem neuen werden läßt.
Der Akt der Transformierung verschiedener Teile zu einem Ganzen läßt sich als zynischer Kommentar zur Wende lesen, bei der zwar alles neu gemischt, im Prinzip aber beim alten geblieben ist. Aufarbeitung der Vergangenheit: unerwünscht. Der Wald als Sinnbild deutscher Seele und als Ort germanischer Mythen ist die logische Projektionsfläche für die Erfüllung deutscher Sehnsüchte nicht nur am Ende dieses Jahrhunderts.
Das „Projekt siebzehn Plastiken“ schließt an diese Auseinandersetzungen mit der jüngsten deutschen Vergangenheit an. Dumpfer Fremdenhaß, Antisemitismus und andere Zutaten aus der Giftküche des Nationalismus sind lebendig wie eh‘ und je und Thomas Gatzemeier zeigt ihre zerstörerischen Folgen.
Verstümmelt, verbrannt, erschlagen, der Tod tanzt mit jedem einzelnen. Gatzemeier wählt bewußt die reduktive Form, läßt jeder Figur ihre Würde, betont durch die kleine Aufsockelung.
Auch wenn die Toten verstummt sind, die Stille, die um so vieles unerträglicher sein kann als der Schrei, hallt noch lange in den Ohren.
Auf der Suche nach Material schaltete ich eine Annonce. Eine ältere Witwe meldete sich und bot mir Farben und eine Staffelei an die auf einem Speicher lagerten. Ihr Mann studierte Malerei in Dresden, bevor er zur Wehrmacht eingezogen wurde und in Stalingrad fiel.
Ich beschäftigte mich schon während meiner Diplomzeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in einer Art mit dem Dritten Reich die nicht nur provokant war, sondern auch die Staatsmacht auf den Plan rief.
Die Arbeit an diesem Zyklus begann noch vor meiner Ausbürgerung in der DDR und endete nach vier Jahren – im Jahr der „Wiedervereinigung“ Deutschlands – 1989.
Paul Celans Lyrik – und besonders seine Todesfuge – hatte mich tief berührt.
Nun besaß ich Arbeiten, die augenscheinlich der Ästhetik der nationalsozialistischen Kunst folgten. Ein komplexes Zwiesprache zwischen dem in der Sowjetunion gefallenen Kollegen – meiner Vatergeneration – und dem in der realsozialistischen Diktatur erlebten begann.
Ausstellung Gatzemeier „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen
Thomas Gatzemeier
„Jüngster Friede“
Kunstverein Siegen
vom 29.09. – 13.11.2016
Kornmarkt 20
57072 SIEGEN
Öffnungszeiten:
Di. – Sa. 14 – 18 Uhr
So. und Feiertag 11-13 Uhr und 14 – 18 Uhr
Führungen unter 0271 21624 (Büro) anmelden.
Homepeage Kunstverein Siegen
Presse zur Ausstellung Ausstellung Gatzemeier „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen
Thomas Gatzemeier im Haus Seel (Siegener Zeitung 28.09.2016)
„Jüngster Friede“ von Thomas Gatzemeier in Siegen ausgestellt (WAZ Der Westen 01.10.2016)