Vice Versa stellt die Rückseite in den Vordergrund
Als alter Skeptiker dachte ich, man versuche mit allen Mitteln, und nun auch noch mit den rückseitigen Ansichten der Gemälde, Aufmerksamkeit zu erheischen. Ich musste umgehend Abbitte leisten.
Vice Versa ist eine hintersinnige Kabinettausstellung im Städel und nicht nur das.
Interessant ist es zu sehen, welch verschiedene Materialien als Bildträger dienten, bevor die eigentlich zu fragile Leinwand das Rennen machte.
Es sind Gemälde zu sehen, auf deren Rückseiten nicht nur Verstrebungen zu sehen sind. Zum Teil wurde ein regelrechtes Parkett aufgebracht, um ein Verziehen des „Gemäldeträgers“ zu verhindern.
Der Stein als Material der Wahl liegt da schon näher, hat aber durch sein Gewicht einen – im Sinne des Wortes – zu schweren Nachteil. Schiefer kämm in flache Tafeln geteilt werden, ist jedoch sehr dunkel und muss mehrfach grundiert werden. Marmor kann ich mir schon eher vorstellen. Beide Steine sind als Tafeln für die gemeinhin Flachware genannte Malerei jedoch zu zerbrechlich und noch schwerer als Holz, wenn sie denn eine gewisse Stärke aufweisen, welche zur Stabilisierung notwendig ist. Denn Marmor, Stein und Eisen bricht nur die Liebe zu Malerei tut es nicht.
In der Neuzeit wurden auch „arme“ Materialien als Malgrund verwendet. Als Student in der DDR an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bekam man Leinwand nur mit einer stichhaltigen Begründung. Diplomarbeit etc. Meist behandelte man einfache Hartfaserplatten aufwendig. Zuerst musste der wachsige Überzug abgeschliffen werden. Des weiteren musste neben der Vorderseite auch die Rückseite grundiert werden, um ein Verziehen zu verhindern.
Auch Kupferplatten sind als Bildträger ist in der Ausstellung Vice Versa zu sehen. Hab sie jedoch leider nicht dokumentiert. Kupfer wäre mir persönlich das sympathischste Material.
Auch die Leinwand hat einige gravierende Nachteile. Sie wird schnell feucht. Dadurch kann sich die Grundierung lösen. Bild kaputt.
Bevor die marode Leinwand überklebt wird, sieht sie erst noch mal richtig gut aus. Ungefähr wie ein echter Antoni Tàpies.
Dies ist ein Grund für meine innige Beziehung zu abgelösten Doublierleinwänden. Denn wenn die doublierte Leinwand wiederum das Zeitliche gesegnet hat, wird sie vorsichtig abgelöst und durch eine neue, jungfräuliche ersetzt.
Die abgenommenen Leinwände haben Stockflecken, durchgeschlagene Klebstoffe, in das Gewebe eingedrungenen Staub und eventuell auch einen netten Schimmelbefall. Diese unerwünschten Dinge und Eigenschaften macht eine Doublierleinwand ausgesprochen attraktiv.
Das ist die Grundlage für die weitere Verwendung als Palimpsest. Das Leinengewebe wird einem nachhaltigen Kunstrecycling zugeführt. Mit meinem leider zu früh verstorbenen Freund und Restaurator Paul Uwe Dietzsch habe ich derartige Leinwände zu neuem Leben erweckt. Diese neu bemalten alten Leinwände altern zurzeit ebenfalls. Und so schließt sich niemals der Kreis.
Paul hatte immer wieder Altargemälde zum Restaurieren in seinem Atelier, also bekamen wir alte, abgenommenen Doublierleinwände gratis und zu jeder Zeit.
Entweder Müll oder Kunst ist dann die Frage. Wir entschieden uns für Kunst und die alten Stoffstücke wurden Teil unseres Projektes „In Spirit of Rubens“. Also schloss sich der Kreis dann doch. Wir benutzten altes, beschädigtes und mit kunsthistorischer Vergangenheit Beladenes und schufen Neues daraus, dass sich nun schon wieder 27 Jahre in der Schleife der fortdauernden Alterung befindet. In unserer neuen Zeitrechnung also uralt ist.
Manchmal ist einfach kein Platz auf der Vorderseite.
Also signiert der Künstler seine Werke hinten auf dem Bildträger. Verso genannt. Spannend wird es, wenn der Künstler weitere Notate aufbringt. Ich habe auf vielen meiner Gemälde die Tage verzeichnet, an denen ich diese auf der Staffelei hatte und mit ihnen kämpfte. Übermalte. Farbe auf und abtrug. Während dieses Arbeitsprozesses änderte sich nicht nur das Motiv. Auch die endgültige Ausrichtung, das OBEN oder UNTEN war nicht klar.
Ich überlege es mit Kupfer zu probieren. Es reizt mich ungemein. Dank für diese Ausstellung du altes Städel.
Das Leipziger BILDERMUSEUM hatte eine leider nicht beachtete Ausstellung von Arbeiten aus Ihrer Sammlung mit den Daten des Ankaufs inclusive Preis versehen. PREISSCHILDER IM MUSEUM LEIPZIG
Einen nicht anekdotischen, sondern seriös wissenschaftlichen Text, können Sie zur Ausstellung Vice Versa auf dem ausgesprochen guten Blog des Städel lesen. Die Rückseiten von Gemälden – Hintersinnig.