Frühkindlicher Sexismus – oder wie ich die Kunst entdeckte
Ich weiß, es ist nicht einfach. Meine Mutter hätte mich ohrfeigen sollen, als ich als Fünfjähriger Bube wie angewurzelt vor der schlummernden Venus von Giorgione stand.
Mich trifft keine Schuld. Ich wollte nicht und musste doch.
Giorgione | Schlummernde Venus | 1508 -1510 | 108 x 175cm | Öl auf Leinwand | Gemäldegalerie Dresden
Weil dem Westbesuch etwas geboten werden musste, wurde regelmäßig ins nahe Dresden gefahren, um die dortigen Museen zu besuchen.
Was sollte man auch sonst mit den Wessis machen. Essen gehen konnte man nicht. Ihnen wäre vermutlich übel geworden und sie hätten schlecht über unser sozialistisches Vaterland gesprochen. Die Springerpresse hätte das aufgegriffen und sich über unsere Sättigungsbeilagen lustig gemacht. Das totgekochte Mischgemüse in einer pampigen Mehlschwitze war legendär.
Schon Giorgione ist mit 33 Jahren an der Pest gestorben. Ähnliches sollte den diversen Westtanten nicht widerfahren.
Wer hätte uns dann die Westpäckchen mit Jakobs Krönung geschickt und mir die Matchbox-Autos? Ich habe übrigens mit 33 die DDR verlassen aber schon viel früher meine Matchbox-Autos verkauft um aus einem katholischen Heim zu fliehen, in dem ich mal so richtig erzogen werden sollte. Von Nonnen. Diese ganzkörperverhüllten asexuellen Wesen waren zur Erziehung von heranwachsenden Jungen ungeeignet, da innerlich deformiert und total gefühllos. Eine schlechte Idee meiner Eltern der man nur durch Flucht entkommen konnte, um wieder ins sozialistische Bildungswesen zurückzukehren.
Das Einzige und Beste was wir in der DDR aus dem Westen hatten, war die Westkunst.
Zum Beispiel die schlummernde Venus aus Italien. Klar, wir hatten auch die viel berühmtere Sixtinische Madonna von Raffael. Mir persönlich war die schon damals zu kitschig. Wie könnte es auch anders sein, wurden später die Engel, welche am unteren Bildrand herumlümmeln, nicht nur auf Poesiealben, Regenschirme und T-Shirts gedruckt, sondern selbst Gegenstände für die Toilette werden bis heute damit geschmückt. Auf der Beliebtheitsskala der allgemeinen Kunstverwurstung kommen diese zwei Engel gleich nach den Sonnenblumen von Van Gogh auf Platz zwei.
Bei einem – vielleicht dem vierzehnten oder fünfzehnten Besuch in der Galerie alte Meister – stand ich wieder vor der liegenden Frau und fragte meine Mutter, wo diese denn jetzt zu Hause sei. Und damit das Thema – Frühkindlicher Sexismus – oder wie ich die Kunst entdeckte in das Spiel.
Sie ist schon lange gestorben, sagte Eva, und erklärte, dass dieses Bild um 1500 herum gemalt wurde. Also um die 460 Jahre lag die Frau in dieser arkadischen Landschaft und war immer noch so schön, wie sie einstmals vor dem Meister lag, als er sie abbildete. Da war mir klar, das will ich auch – ich will Maler werden. Denn erstens ist dies der nachhaltigste Beruf, was die Haltbarkeit der Produkte angeht, und zweitens kann man, als Maler, ungestraft nackte Frauen ansehen so lange man will.
Thomas Gatzemeier | Melange | 2007 | Öl auf Leinwand | 100 x 115 cm | Im Besitz des Künstlers
Ich komme aus einer streng katholischen Familie und war Messdiener.
Kreuz mit unendlich leidenden Jesus im Esszimmer über dem Esstisch. Canaletto im Wohnzimmer und Maria Sibylla Merian im Flur. Nur das große Brockhaus Lexikon enthielt einige unzensierte Bilder. Den Raub der Töchter des Leukippos von Rubens zum Beispiel. Als ich dann in die Pubertät kam, habe ich den Band von Q bis S oft heimlich mit auf mein Zimmer genommen und die anderen Bücher ein wenig zusammengerückt, damit die Lücke nicht auffiel. Später habe ich mich mit einem Freund intensiv mit dem Raub dieser Töchter beschäftigt und fast zwei Jahre an dem Projekt „In Spirit of Rubens“ gearbeitet. Schon damals fiel mir auf, dass die Nacktheit weitestgehend aus der Kunst verschwunden war.
Man war abstrakt oder meinte provokant zu sein, wenn man so schlecht wie es möglich war malte – aber möglichst nichts Nacktes.
Nur die Amis durften manchmal was wagen und mit einer Pornodarstellerin posieren wie Jeff Koons. Nacktheit war ansonsten marginal oder fand im Verborgenen statt. Und das hält seit dem an und wird immer schlimmer. Das frühere, selbstbewusste und kunstsinnige Bürgertum sammelte Egon Schiele und Gustav Klimt. Cranachs „Venusse“ hingen in Privatgemächern oder in der Klause des einen oder anderen Bischofs. Das heutige kunstsinnig erscheinende Publikum dekoriert sich abstrakt und jagt irgendwelchen Trends hinterher. Ja in der Galerie Neuer Meister zu Dresden sind gar die Monster eingezogen.
#MeToo mag seine Berechtigung haben überspannt aber den Bogen eindeutig, wenn sie – diese Bewegung – gegen die Kunst vorgeht.
Leiblichkeit war die Grundlage und der Antrieb der Kunst so lange es diese gibt. Sie diente und dient der Selbstvergewisserung und der Reflexion unseres Daseins in all seinen Facetten. Giorgione hat es mir beigebracht.
Als Eva mir sagte, die von ihm gemalte Frau sei schon 400 Jahr tot, wusste ich, es geht bei der Aktmalerei nicht um das JETZT.
Es geht um Vergänglichkeit und es geht auch um eine unendliche Melancholie. Es geht um Verletzlichkeit und es geht um die Würde des Menschen. Diese Würde ist vielfältig. Wenn die jungen Frauen, welche ich nackt porträtiere mit ihren Freunden oder Freundinnen in meine Ausstellungen kamen und kommen, stolz sind, von mir gemalt zu sein – wenn ich ein Aktbild auf FB poste (Nach aus- und Wiedereitritt werde ich nicht mehr belästigt) und das Model sofort ein Däumchen in die Hohe streckt, besagt dies, das ich genau das Richtige mache.
Da kann sich Frau Bundestagsabgeordnete Kotting-Uhl, die angeblich auch mal Kunstgeschichte studiert haben soll, noch so sehr mokieren. Sie hat und wird nichts begreifen, denn es geht ihr nur um das Pöstchen und der von ihr erblickte Horizont ist sehr nah. Sozusagen hinter der Haustür.
Thomas Gatzemeier | Die Jahreszeiten | 2017 | Öl auf Leinwand | 100 x 120 cm
Die neuzeitliche Kunstinquisition und sich rapid ausbreitende Selbstzensur ist erschreckend. Frühkindlicher Sexismus – oder wie ich die Kunst entdeckte ist natürlich kein Thema und wird verdrängt.
Auch ich habe mich auf die Darstellung der „nicht menschlichen“ aber vom Menschen gefährdeten Natur verlegt. Nicht nur – aber fast nur. Es ist nicht so schlimm. Ich bin es müde gegen diese inquisitorische Idiotie anzukämpfen. Schaffe Schönes und kann davon auch noch leben. Ein Privileg.
Flatterzeug auf grünem Grund | 2017 | Pigmentdruck | 34 x 47,6 cm | Auflage 50
Die mir Nachgeborenen sollten sich aber dringend Gedanken machen auch wenn sie über das Thema – Frühkindlicher Sexismus – oder wie ich die Kunst entdeckte nicht nachdenken. Oder nachdenken zu wagen.
Google hat fast alle Bilder des grandiosen Künstlers John Currin – welche in einem erotischen Kontext stehen – aus seiner Bildersuche entfernt. Dies aufgrund der Bestimmungen des europäischen Datenschutzes, der die Denunziation in beispielloser Art und Weise fördert. Es ist lediglich ein Webformular auszufüllen und schon entfernt man Kunst aus der Öffentlichkeit und macht sie unsichtbar. Demnächst wird Pompeji endgültig zerstört!
Entschuldigung – es ist hart. Aber sind das nicht lediglich subtilere Methoden der Kunstvernichtung als die, welche der IS anwendet?
Erotische Szene | Pompeji | Italien
Erotisches Graffiti | Pompeji | Italien
Was bitteschön ist der Unterschied zwischen einem DDR-Stasi-Spitzelland und dieser Form der öffentlichen Zensur, gegen die man sich nicht wehren kann.
Auf YouPorn, dem größten Pornokanal, sind für jeden und jederzeit abartige Sexualpraktiken zu betrachten. Das stört mich nicht, da keine direkten und schädlichen Auswirkungen auf die Konsumenten nachgewiesen sind und dies eine Demokratie aushalten muß.
Bei dem Zölibat sieht die Sache ganz anders aus. Dieser ist gegen die Natur und deformiert den Menschen wie ich persönlich, an den anfänglich erwähnen Nonnen, feststellen durfte. Wie kann jemand – bitteschön – mit Jesus verheiratet sein? Das war in zwanzigstem Jahrhundert unnormal und ist es heute auch noch. Wo ist der Gesetzgeber?
Aber ein größerer, nicht wiedergutzumachender, Schaden ist durch pädophile Priester, staatliche Heime und die Ignoranz des Staates entstanden, welcher diese Straftaten nicht angemessen verfolgte und verfolgt. Ist diese Gesellschaft wirklich so schizophren oder ist es doch nur die pure Dummheit von den uns beherrschenden Politikern aller Couleur, welche die Grundlagen einer freien Gesellschaft vernichtet.
Freilich ist mein Text – Frühkindlicher Sexismus – oder wie ich die Kunst entdeckte – eine Form der Empörung, aber gerade deshalb notwendig.
Ein weiterer Text des Künstlers mit Bezug zu seiner Arbeit: Lukrative Selbstzensur