Subtext - Brief an einen mir bekannten Leser
Eigentlich wünscht sich meine Mitbewohnerin, dass ich beim Schreiben nicht rauche.
Doch, während ich diese Zeilen an dich tippe, füllt sich der Aschenbecher neben mir bis zum Rand. Um locker zu bleiben, trinke ich Wodka-Cola, und lediglich das Rechtschreibprogramm sorgt dafür, dass diese Zeilen lesbar bleiben. Über den Pulposalat, den ich heute Vormittag zubereitet habe, brauche ich nicht zu berichten, den kennst du ja.
Da fällt mir beim Schreiben die sagenumwobene Schuppe vom Auge: Was wird nur der Subtext – Brief an einen mir bekannten Leser anrichten? Der Aschenbecher löst Ekel aus, Wodka-Cola lässt dich kalt, und der Pulposalat könnte wohl schmecken, wird dir aber durch den Zigarettenqualm vermiest. Ich kenne dich, mein Lieber!
Man könnte die Variationen der unterschiedlichen Empfindungen ausrechnen, die diese Zeilen hervorrufen. Wenn diese wenigen Worte einen künstlerischen Wert behaupten, liegt die positive Bewertung in der Hand des Rauchers, denn die Zigaretten übertönen selbst den Pulposalat.
Zum Sekretär muss noch gesagt werden, dass diese Geschichte auch als „Odyssee“ des Sieghart Paul gelesen werden könnte, womit ich bei Friedrich Schlegel lande: „Die Wirkungen der Kunstwerke zu erklären, ist die Sache des Psychologen und geht den Kritiker gar nichts an.“
Anders war es, bevor ich in den Westen kam. Damals blieb mir als Künstler nichts anderes übrig, als mit derart starken Subtexten zu arbeiten, dass meine Aussage nur die verstanden, die Bescheid wussten. Ich bin froh, dies nicht mehr zu müssen, aber immer noch zu dürfen. Bei näherem Nachdenken ist mein erster Roman voller Subtexte, die gelesen, aber nicht unbedingt verstanden werden müssen.
Wenn das Mittel der Verschleierung in einer Diktatur (oder einer anderen restriktiven Gesellschaftssituation) als Selbstschutz eingesetzt wird, so scheint mir, dass es in einer freien Gesellschaft manchen dazu dient, mystisch zu erscheinen und sich ohne festen Grund selbst zu erhöhen. Diese Kollegen nenne ich für mich „Tiefsinn-Erschleicher“.
Ich liebe eher den gescheiterten Schreiber von Michael Kohlhaas als den von seinem Fürsten wohlgenährten Fürst-Literaten namens Goethe. Dieser Subtext – Brief an einen mir bekannten Leser kann auch so gelesen werden.
Erklärung des Begriffs „Subtext“ und seine Verwendung in der Literaturwissenschaft
Subtext bezeichnet in der Literaturwissenschaft die unter der Oberfläche liegende Bedeutungsebene eines Textes.
Es handelt sich um die unausgesprochenen Gedanken, Gefühle und Motive der Figuren, die durch die wörtliche Handlung und den Dialog hindurchschimmern. Der Subtext verleiht einem literarischen Werk Tiefe und Komplexität, da er dem Leser ermöglicht, über die offensichtliche Handlung hinaus weitere Bedeutungen und Interpretationen zu entdecken.
Verwendung des Subtexts in der Literatur
1. Charakterentwicklung:
Subtext hilft, die inneren Konflikte und die psychologische Tiefe der Charaktere zu vermitteln. Durch subtile Hinweise und Andeutungen erfahren die Leser mehr über die wahren Gefühle und Absichten der Figuren, ohne dass diese direkt ausgesprochen werden. Beispielsweise kann ein Charakter, der beteuert, glücklich zu sein, durch seine Körpersprache und Gedanken im Subtext seine tatsächliche Unzufriedenheit enthüllen.
2. Themen und Motive:
Autoren nutzen Subtext, um tiefere Themen und Motive anzusprechen, die nicht explizit im Text genannt werden. Dies ermöglicht es, gesellschaftliche, politische oder philosophische Themen zu behandeln, ohne sie direkt zu benennen. Ein Beispiel könnte ein Roman sein, der vordergründig eine Liebesgeschichte erzählt, im Subtext jedoch Themen wie Macht, Freiheit oder soziale Ungleichheit behandelt.
3. Spannung und Erwartung:
Subtext trägt zur Schaffung von Spannung und Erwartung bei, indem er dem Leser Informationen gibt, die den Charakteren möglicherweise nicht bewusst sind. Diese Technik erzeugt eine dynamische Interaktion zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten, was die Leser dazu anregt, zwischen den Zeilen zu lesen und eigene Schlüsse zu ziehen.
4. Ironie und Mehrdeutigkeit:
Durch den Einsatz von Subtext können Autoren Ironie und Mehrdeutigkeit erzeugen. Eine Aussage kann auf der Oberfläche eine bestimmte Bedeutung haben, während der Subtext eine völlig andere, oft gegensätzliche, Bedeutung vermittelt. Dies kann sowohl humorvoll als auch tiefgründig sein, je nach Intention des Autors.
Beispiele aus der Literatur
William Shakespeare: In vielen seiner Werke, insbesondere in den Dramen, ist der Subtext entscheidend für das Verständnis der Charaktere und ihrer Handlungen. In „Hamlet“ zeigt sich dies deutlich in den Dialogen, in denen Hamlets wahre Gefühle und Absichten oft nur durch den Subtext verständlich werden.
Ernest Hemingway: Hemingways „Eisberg-Theorie“ oder „Theorie des Weglassens“ ist ein Paradebeispiel für den Subtext. In seinen Kurzgeschichten und Romanen bleibt vieles unausgesprochen, und die wahre Bedeutung wird erst durch das gelesen, was zwischen den Zeilen steht.
Jane Austen: In Austens Romanen, wie „Stolz und Vorurteil“, spielt der Subtext eine wesentliche Rolle bei der Darstellung der sozialen Normen und der inneren Kämpfe der Charaktere. Vieles von dem, was die Figuren fühlen und denken, wird nie direkt gesagt, sondern durch subtile Hinweise und Interaktionen offenbart.