Freyburg, da wo Rotkäppchen wohnt.
1857 wird das erste Mal unter französisch anmutenden Namen, wie „Lemartin Frères“ und „Sillery Grand Mousseux“,
in Freyburg Sekt gekeltert.
Omnipräsent ist Rotkäppchen in jedem Supermarkt, ihr Wohnort jedoch vielen unbekannt. Und das ist nicht gut so. Denn die Weinstadt an der Unstrut ist unbedingt einen Besuch wert.
Nicht nur der Landschaft des lieblichen Tales wegen, auch die Stadt ist sehenswert und die Marienkirche ohnehin. Diese ist zeitgleich mit dem Naumburger Dom entstanden und damit romanischen Ursprungs. Im 13. Jahrhundert erbaut, ist ihre Architektur durch romanische und frühgotische Formen geprägt.
Der Architekturinteressierte wird viele unterschiedliche Bauelemente entdecken und seine Freude an der Zuordnung haben. Im Inneren verweben sich romanische und gotische Baukunst durch ein Netzgewölbe.
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Ein romanisches Querhaus verbindet sich mit dem gotischen Langhaus. Es findet sich ein Romanisches Portal und im gotischen Chor sind Spitzbogenfenster zu sehen. Der Innenraum hat ein sehr schönes Netzgewölbe und der Altar ist zwar nicht spektakulär, lädt aber zur längeren Betrachtung ein. Weiteres finden Sie im Netz besser als ich es beschrieben kann. Aber auch einfaches Genießen ohne fachlich geschulten Blick bereitet Freude
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Wie zum Beispiel die Wasserspeier.
Diese faszinieren mich immer wieder. Die Dämonen, Teufel und allerlei groteske Wesen besiedeln den Rand des Daches und haben die wichtige Aufgabe Kirchen vor bösen Mächten zu beschützen. Eine Art Blitzableiter des Bösen.
Sicher ist wohl, dass die Baumeister des Naumburger Doms – und auch der Marienkirche in Freyburg – aus Frankreich stammten. Ungesichert ist hingegen, ob sie des Weines wegen an die Unstrut kamen und nebenbei die Kirche bauten.
Denn der Weinbau hat in dieser Region eine Geschichte von über 1000 Jahre. Wein sicherte auch das Überleben der Bevölkerung, denn das Oberflächenwasser war oft ungenießbar und Brunnenwasser ein knappes Gut.
Also trank man reinen Wein, um gesund zu bleiben und gute Laune zu bekommen. Später wurde Kaffee und Tee zu einer starken Konkurrenz. Auch soll der Wein nicht die beste Qualität besessen haben. Behaupten Geschichtsschreiber. Also importierte man Wein aus fernen Regionen. Bis ein Mittel dagegen gefunden war, brachte die Reblaus später den Anbau fast zum Erliegen. Zu Zeiten der DDR war Saale-Unstrut Wein sogenannte „Bückware“ und selten zu bekommen. Seine Qualität war eher bescheiden, aber doch besser als vieles aus den sozialistischen Bruderstaaten wie Ungarn und Bulgarien. Heute kann man die Weine von der Unstrut – also ich schmecke dies so – mit den Weinen aus der Pfalz vor ca. 20 Jahren vergleichen. Sie sind nicht designet und haben einen deutlich eigenen Charakter, der nicht jedem passen mag. Sie sind eher charaktervoll als flach. Jedenfalls hat sich der Weinbau erholt und die Anbaufläche ist mittlerweile auf um die 760 ha gewachsen.
In Freyburg, da wo Rotkäppchen wohnt kann man gut flanieren. Auf dem Marktplatz im Schatten der Bäume Eisbecher Schwarzwälder Art genießen und im urigen Gasthaus Alt Freyburg einen guten Flammkuchen essen.
Ich hatte einen charaktervollen Portugieser dazu. Über das legendäre Turnerschnitzel, Turnvater Jahn hat seine Gedenkstätte gegenüber, muss ich später berichten, da ich all zu satt war, um es zu probieren.
In der Stadt steht fein Saniertes neben Zerfallendem oder zumindest Vernachlässigtem. Und da kommt Rotkäppchen ins Spiel.
1857 wird das erste Mal unter französisch anmutenden Namen, wie „Lemartin Frères“ und „Sillery Grand Mousseux“,
in Freyburg Sekt gekeltert. Ab 1948 nennt sich die Kellerei VEB Rotkäppchen Sektkellerei Freyburg. Nach 1989 trinkt der Ostdeutsche Westsekt und der Umsatz bricht um 50 % ein. Das Personal wird fast halbiert. Im Jahr 1993 gelingt die Wende. Die Treuhand verkauft den Betrieb an einige, erfahrene Mitarbeiter. Heute bringt es diese ostdeutsche Erfolgsgeschichte auf über eine Milliarde Umsatz und hat unter anderem die Westmarke Mumm fast geräuschlos verschluckt.
Es könnte, wenn es mit rechten Dingen zuginge, vieles besser sein.
Die Schaumweinsteuer, 1902 vom Reichstag zur Finanzierung der Kriegsflotte, wohlgemerkt der Kaiserlichen, eingeführt wir noch heute erhoben. Es bestünde die Möglichkeit diese Steuer, wenn schon nicht abzuschaffen, für Nützliches einzusetzen. Das wären 377 – 400 Mio. Euro jährlich. Ich denke da an den Denkmalsschutz. Bleibendes Schaffen anstatt Waffen. Oder so. Die Marienkirche könnte einiges davon gebrauchen, um ihren Bestand zu sichern, denn es bröckelt an dieser und jener Stelle schon gewaltig. Und auch unschöne – ja zerfallende – Gebäude in der Stadt ließen sich restaurieren. Freyburg hätte gewonnen und würde noch attraktiver für Gäste aus aller Welt. Denn die Straße der Romanik, zu deren Zielen auch Freyburg gehört, zählt 1,6 Millionen Besucher jährlich. Wenn sich von denen einige mehr in den schönen Weinort verirrten, wäre dies dem heimischen Gastgewerbe zuträglich.