Kunst gegen Gewalt 17 Plastiken
Kunst gegen Gewalt 17 Plastiken: Aus Wut wird Gestaltung
Dr. Martin Stather (Ausstellungsleiter Mannheimer Kunstverein) schreibt zur Kunst gegen Gewalt von Thomas Gatzemeier
Siebzehn Figuren, die meisten davon leicht überlebensgroß: Torsi, keiner komplett, keiner unverletzt. Jede Figur ein Einzelstück, Individuum, auf eine Standplatte gestellt, denkmalshaft. Die Körperform ist verschliffen, rauh, erinnert an antike Statuen, die lange im Meer gelegen haben, vergessen, und von der Zeit ihre Patina erhalten haben. Bei manch einem schaut ein Gerüst durch die aufgebrochene Oberfläche, keine Knochen, aber dennoch eine Konstruktion, die die große Form zusammenhält, die Assoziationen an Lebendiges erhält.
Das Äußere ist von Erdfarbigkeit geprägt, die den Verfall, das Tote evoziert. Braun-, Rot-, Gelb- und Grüntöne überziehen die Körper flechtengleich, geben ihnen eine farblich lebendige Oberfläche, die der Starrheit und Versehrtheit des Leiblichen widerspricht.
Diese Figuren verharren auf ihren Standplatten in einem Ausdruck größter Konzentration. In der Dunkelheit werden sie zu Gespenstern im Aktsaal der Akademie, am Tage zu stummen Zeugen die befragt werden wollen.
Gatzemeier bildet den menschlichen Körper ab, indem er auf Distanz zu ihm geht. Als Individuen nur charakterisiert durch den Körperbau, die unterschiedliche Behandlung der Oberfläche, werden sie allgemein, entindividualisiert durch ihre Gesichts- und Bewegungslosigkeit. Die Installation der Gruppe im Berliner Reichstag im September 1994 konfrontierte die stehenden und stürzenden Körper mit dem Stapel der Verpackungskisten, die depotartig in einem Block zusammengefaßt waren. An diesem Block lehnte eine Eisenplatte, auf der die Namen von siebzehn Todesopfern rechtsradikaler Gewalt des Jahres 1992 verzeichnet waren, in flüchtiger Ätzung, kaum sichtbar.
Damit war der Bezug hergestellt, die Beklemmung, die die Gruppe beim Betrachter ausläst, zur Gewißheit geworden.
Thomas Gatzemeier hat mit dem „Projekt siebzehn Plastiken“ ein Werk gegen das Vergessen geschaffen, keine Betroffenheitsstudie, vielmehr ein in seiner Bewegungslosigkeit überzeitliches memento mori, das für die Opfer der Gewalt in unserem Jahrhundert allgemein zu stehen vermag.
Die Distanz, die Gatzemeier zu seinem Gegenstand wahrt, ist die der Überlegung, der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem Thema, das wirksam umgesetzt werden kann nur in einem nicht-erzählerischen Kontext, der differenziert das Unbeschreibliche umkreist. Konsequenterweise gestaltet er die Gruppe in Einzelfiguren, wobei keine auf die andere bezogen ist. Die Anonymität, die individuellen Zügen nur wenig Raum gibt, betont das unterschiedslose Sterben, das Leid des Einzelnen als Metapher für den Zustand unserer Welt.
Aus Wut wird Gestaltung, erwächst eine künstlerische Form, die abbildhaft ist und doch abstrakt sein muß, um ihre Wirkung zu entfalten. Hieraus ergibt sich ein Realismus, der tiefer in die Struktur des Menschlichen einzudringen vermag.
Gatzemeiers Kommentare zur Lage der Nation nehmen keinen breiten Raum in seinem Schaffen ein. Der politisch denkende Mensch findet nur hin und wieder konkreten Ausdruck in der künstlerischen Form. Allerdings sind diese Arbeiten auch kein bloßes Beiwerk, sie entstehen vielmehr in der lebendigen Auseinandersetzung mit seiner eigenen Gegenwart.
Die Leipziger Diplomarbeit „Die Hitler kommen und gehen…“ (1980), formal noch stark geprägt von sozialistischem Realismus, gegen den sie sich im Ende jedoch wendet, indem sie die Aktualität des Themas für die Gegenwart betont, setzt zynisch Machtverhältnisse gleich und provoziert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten unter den Bedingungen der Diktatur.
In einer Serie von Überzeichnungen/Ergänzungen von Akademiezeichnungen eines Dresdner Studenten aus der Nazi-Zeit, die von Gatzemeier den Titel „Todesfuge nach einem Gedicht des Lyrikers Paul Celan“ bekommt, wird der Dialog zwischen einem glatten Akademismus und freier künstlerischer Form geführt. Entlarvend, überdeckend, aber nicht von einem zerstörerischen Impuls getrieben, werden analytisch Formen entwickelt, weitergearbeitet, die künstlerische Struktur der ursprünglichen Zeichnung dabei freigelegt.
Schließlich entsteht 1990 das Gemälde „Waldeslust“ als Kommentar zur Wiedervereinigung, das die abgekratzten Farbschichten von vier früheren Gemälden zu einem neuen werden läßt. Der Akt der Transformierung verschiedener Teile zu einem Ganzen läßt sich als zynischer Kommentar zur Wende lesen, bei der zwar alles neu gemischt, im Prinzip aber beim alten geblieben ist. Aufarbeitung der Vergangenheit: unerwünscht. Der Wald als Sinnbild deutscher Seele und als Ort germanischer Mythen ist die logische Projektionsfläche für die Erfüllung deutscher Sehnsüchte nicht nur am Ende dieses Jahrhunderts.
Das „Projekt siebzehn Plastiken“ schließt an diese Auseinandersetzungen mit der jüngsten deutschen Vergangenheit an. Dumpfer Fremdenhaß, Antisemitismus und andere Zutaten aus der Giftküche des Nationalismus sind lebendig wie eh‘ und je und Thomas Gatzemeier zeigt ihre zerstörerischen Folgen. Verstümmelt, verbrannt, erschlagen, der Tod tanzt mit jedem einzelnen. Gatzemeier wählt bewußt die reduktive Form, läßt jeder Figur ihre Würde, betont durch die kleine Aufsockelung.
Auch wenn die Toten verstummt sind, die Stille, die um so vieles unerträglicher sein kann als der Schrei, hallt noch lange in den Ohren.
Video zur Ausstellung „Jüngster Friede“ im Kunstverein Siegen 2016