Eine flog in das Papageiennest
Die Beziehung zwischen Mensch und Vogel ist seit jeher eine Besondere.
Wir sehen in ihnen sowohl ein Friedenssymbol als auch den Überbringer von Todesnachrichten. Vögel sind gleichermaßen geehrt und gefürchtet. Rabenvögel galten lange neben den Geiern als die bösesten Vögel überhaupt. Alfred Hitchcocks benutzte sie in seinem Film Die Vögel der als Archetypus des Horrorfilms schlechthin gilt.
Heute werden Raben als hochintelligent geachtet und sind gern gesehene Mitbewohner in unseren Wohnquartieren.
Die ihrem Wesen nach zänkische Taube wird vermutlich ihres weißen Federkleides wegen als Friedensvogel von der einen oder anderen Seite benutzt, bevor man erneut aufeinander losgeht und sich die Schädel systematisch einschlägt. Ist dies geschehen, kommen die als Aasgeier bekannten Kriegsgewinnler und ziehen ihren Vorteil aus dem menschgeschaffenem Leid.
Der Homo sapiens vermag es, seine Eigenheiten Tieren zuzuschreiben, ist jedoch nicht fähig, auf Dauer einen friedlichen Umgang mit seinen Artgenossen zu führen.
Einzigartig ist an diesem zweibeinigen Säugetier – mit auffällig aufrechtem Gang und fehlender Moral – die Fähigkeit planmäßig zu morden.
Aphrodite wird nicht nur mit einem stolzen Schwan, sondern auch zusammen mit Tauben, Schwalben oder gar Sperlingen dargestellt.
Die Verwandlung in einen Schwan diente Zeus wiederum, sich der Leda zu bemächtigen, um sie zu schwängern. Da der Schwan offensichtlich unschuldig war und lediglich benutzt wurde, konnte er überleben und wurde nicht in den Hades des #MeToo verbannt. Zeus hingegen wurde nach und nach von anderen Göttern abgelöst. Der einzige Universale und alles Beherrschende unter ihnen nennt sich Mammon.
Da bleibt der Papagei unschuldig und denkt sich seinen Teil.
“Imitiere, Mensch, die Stimme der Apostel, die Gott gepriesen haben, und lobe auch dich selbst. Imitiere die Lebensweise der Gerechten.” , und du wirst würdig sein, ihre leuchtenden Throne zu besteigen.” (Dem heiligen Basilius zugeschrieben)
Dem Papagei werden aufgrund seines Gefieders und der Fähigkeit, unsere Sprache zu imitieren, spirituelle Fähigkeiten zugeschrieben.
Auf Albrecht Dürers Kupferstich Adam und Eva sind eine Vielzahl von Tieren zu sehen. Die Schlange verkörpert die Hinterlist. Eine Bergziege soll zur Vorsicht mahnen und der Papagei oben links im Bild ist der Ausdruck einer immer währenden sündhaften Begehrlichkeit.
Wer als Künstler der grassierenden Kleinbürgerlichkeit* ein Dorn im trüben Auge ist, stellt das Leben in all seinen Facetten dar. Ist also Realist im wahren Sinn des Wortes.
Einer der größten Realisten war Gustave Courbet. Sein Thema – auch die dem Menschen eigene Lust.
Dabei lässt er jedoch die moralisierende Sündhaftigkeit weg, weil begehren keine Sünde ist.
Diese offensive, unverschwurbelte Art der Darstellung wählt der Maler, weil er in seiner Zeit ohnehin der Meister des Skandals war und damit der Kunst einen großen Dienst erwies. In unserer traurig dünkelhaft-unsinnlichen Epoche würde er einfach ignoriert, da es an Aufklärung über die Aufklärung fehlt und wir im menschlichen Rückschritt begriffen sind.
Wo Sinnlichkeit abhanden kommt, ist die Gewalt nicht weit.
Und sei es auch nur die verbale Gewalt gegen falsch verstandene Kunst. Der Versuch, sie im zeitgenössischen Diskurs zu diskreditieren, ist ein besonderes Phänomen unserer Zeit.
Eine flog in das Papageiennest.
Frieda Kahlo besaß eine große Sammlung von Tieren, ja einen kleinen Zoo, und porträtierte sich gern mit ihnen.
Als selbstbewusste Frau ist sie rauchend mit vier ihrer Papageien auf einem der zahlreichen Selbstporträts zu sehen. Vermutlich empfand Frieda Kahlo die Liebe zu Tieren als eine verlässlichere als die zu Männern und den Menschen im Allgemeinen.
Man spricht den Tieren auf ihren Selbstporträts – wie zum Beispiel der schwarzen Katze auf dem Porträt mit Dornenhalsband – symbolische Bedeutungen zu. Schwarze Katze symbolisiert Pech. Für mich ist diese Schlussfolgerung zu einfach und banal. Ich bin mir nicht sicher, ob sie dies meinte. Den Blick von Frieda, als auch den der Katze, deute ich als ein Zeichen der Angriffslust und Stärke. Es ist anzunehmen, dass die Künstlerin eher die Unabhängigkeit und Wehrhaftigkeit der Katzen im Sinn hatte, als sie diese als Attribut wählte.
Eine flog in das Papageiennest, um sich zu verwandeln
Die Trilogie Verzauberung von Horst Kistner greift die Beziehung zwischen Mensch und Vogel auf.
Im Studio baut der Fotograf Räume und stattet sie aus. Zuweilen sind diese Kulissen opulent eingerichtet oder wie für die Trilogie Verzauberung reduziert, ja fast karg gestaltet. Kistner zaubert eine spezielle Voliere für seine Erzählung „Eine flog in das Papageiennest“. Bei dieser Trilogie handelt es sich um die Geschichte von Annäherung und Verwandlung.
Die Beziehungen des Menschen zu Tieren sind ausgesprochen komplex.
Die Mensch-Vogel-Beziehung ist unzureichend erforscht. Aber allein die Interaktionen zwischen Mensch und Vogel lassen auf eine besondere Beziehung schließen. In der bildhaften Darstellung der Trilogie Verzauberung von Horst Kistner ist diese Interaktion nonverbal. Sie bezieht sich ausschließlich auf körperliche Handlungen des Beziehung aufnehmenden Menschen. Gerade bei der Kommunikation zwischen Mensch und Papagei ist die Grundlage einer speziellen Wahrnehmung gegeben.
Sitzt das Gegenüber des Papageis in der ersten Fotografie noch autonom auf einer Schaukel, so wandelt sich die Position, als die Frau ihre Kleidung ablegt.
Die zweite Aufnahme irritiert. Männlicher Exhibitionismus hat eine grundlegend andere Bedeutung als die gleiche Handlung, vollzogen von einer Frau. Die Entblößung einer Frau kann eine Machtdemonstration sein oder aber auch eine Drohung. Ich schrieb darüber in meinem Blog „Verschmähte Bilder wiedergefunden und hoch geehrt“. Auf dem Bild von Otto van Veen „Die Perserinnen“ entblößen Frauen vor ihren Männern das Geschlecht, um ihre Männer zu beschämen, die vor den Feinden geflohen waren.
In dem Kontext zwischen Vogel und Frau kommt dieser Handlung, so meine ich, eine andere Bedeutung zu als unter Menschen. Die Kleider werden abgelegt, um sich in ein anderes Wesen zu verwandeln. Die Haut des Menschen zu verlassen.
Die „Selbstenthüllung“ ist ein wichtiger Teil der zu uns gehörenden Intimität. Denn „das Ausmaß der gegenseitigen Bereitschaft der Partner zur Selbstenthüllung auf erlebnismäßiger, emotionaler und/oder physischer Ebene“ (Karremans und Finkenauer Affilion, zwischenmenschliche Anziehung und enge Beziehungen 214, S.431)
Diese Feststellung ist von nicht zu vernachlässigender Bedeutung. In dem Fall der hier beschriebenen Fotografien, die von der Selbstaufgabe des ICH handeln, um das Wesen des anderen anzunehmen ist, die Sehweise eine andere.
Es geht nicht um die nachäffende Reflexion des tierischen Gegenübers, sondern um den Wunsch, dessen Wesen und Daseinsform anzunehmen.
Wenn man bedenkt, dass Papageien eine ähnlich enge Beziehung zu ihren Haltern aufweisen können wie Hunde und auch auf Mimik und Stimmlage des Menschen reagieren, wird die besondere Beziehung zu diesen Vögeln deutlich. Denn ein Papagei ist auch in der Lage, Eifersucht zu entwickeln. Eines ist zumindest beim Papagei klar. Sein Freiheitswille bleibt, wie stark auch die Beziehung zum Menschen sei.
Die Metamorphose des Menschen zum Vogel impliziert die Befreiung von der Schwere des Physischen. Neben den Mischwesen, wie wir sie seit Urzeiten kennen, gibt es die Sehnsucht, ein Vogel zu sein. Und doch trägt diese Sehnsucht das Scheitern in sich.
Dädalus und Ikarus wurden vom König Minos aus Kreta gefangen gehalten. Dädalus fertigte für sich und seinen Sohn Flügel, um fliehen zu können. Dazu befestigte er mit Wachs Federn an ein Gestell und ermahnte seinen Sohn nicht zu hoch an die Sonne zu fliegen. Aber dieser hörte nicht auf den Rat. Das Wachs schmolz, die Federn verwehten im Wind.
Der jähe Absturz war die Folge, denn der Übermut des Ikarus war zugleich sein Verderben. Hoch hin zur Sonne wollte er und stürzte tief ins Meer.
Kleinbürgerlichkeit*: Ist im Sinne von Karl Marx eine Haltung des Menschen, die dem Fortschritt im Wege steht und bestrebt ist bestehende oder gestrige Zustände zu konservieren.
Literatur: Die Beziehung von Menschen zu ihren Vögeln in der Heimtierhaltung von Anne-Kathrin Burmeister