Der Spiegel in der bildenden Kunst – Reflexionen eines vielschichtigen Symbols
Kaum ein Objekt hat in der bildenden Kunst eine so ambivalente und tiefgründige Bedeutung wie der Spiegel.
Jan van Eycks „Arnolfini-Hochzeit“ – Das Geheimnis des Spiegels
Die „Arnolfini-Hochzeit“ von Jan van Eyck ist eines der bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Gemälde der frühen niederländischen Malerei. Entstanden im Jahr 1434, zeigt es ein wohlhabendes Paar – Giovanni di Nicolao Arnolfini und seine Frau – in einer kunstvoll arrangierten häuslichen Szene. Doch während die detailreiche Darstellung von Stoffen, Möbeln und Schmuck sofort ins Auge fällt, ist es vor allem der Spiegel im Hintergrund, der die größte Faszination ausübt. Er reflektiert nicht nur die beiden Hauptfiguren von hinten, sondern enthält eine tiefgründige Symbolik, die das Bild auf eine neue Ebene hebt.

Der Spiegel als Schlüssel zur Bildinterpretation
Zentral an der Wand hinter dem Paar platziert, ist der Spiegel ein kleines Meisterwerk für sich. Der Rahmen ist mit zehn winzigen Medaillons verziert, die Szenen aus der Passion Christi zeigen. Doch es ist nicht nur diese religiöse Symbolik, die ihn bemerkenswert macht – seine reflektierende Oberfläche enthüllt eine alternative Perspektive auf die Szene. Hier sehen wir das Paar von hinten, aber auch zwei weitere Figuren, von denen eine vermutlich Jan van Eyck selbst sein könnte.
Dieses Detail wirft die Frage auf: Warum hat van Eyck den Spiegel auf diese Weise gestaltet? Was bedeutet diese doppelte Perspektive für das Verständnis des Gemäldes?
Symbolik des Spiegels: Wahrheit, Zeugenschaft und Ewigkeit
Spiegel waren im 15. Jahrhundert nicht nur Luxusobjekte, sondern auch Symbole der Reinheit und göttlichen Allwissenheit. Der Spiegel in der „Arnolfini-Hochzeit“ könnte auf die Unschuld und Treue der Ehefrau hinweisen – eine visuelle Bekräftigung des Ehegelübdes, das das Paar möglicherweise gerade abgelegt hat.
Die zwei zusätzlichen Figuren in der Spiegelreflexion könnten auch als Zeugen der Eheschließung interpretiert werden.
In einer Bildbeschreibung las ich die Vermutung, dass Jan van Eyck selbst anwesend war und sein Selbstbildnis in der Spiegelung als Signatur und Bestätigung seiner Rolle als Zeuge hinterlassen hat. Diese Vermutung wird durch seine lateinische Inschrift über dem Spiegel gestützt: „Johannes de Eyck fuit hic“ („Jan van Eyck war hier“).
Die Rundform des Spiegels könnte ein weiteres christliches Symbol sein: das „Auge Gottes“, das alles sieht und das Ehegelübde des Paares bestätigt. Dies wird durch die religiösen Szenen im Rahmen des Spiegels verstärkt. Der Spiegel fungiert somit als Bindeglied zwischen der realen und der göttlichen Welt. Aber auch dies ist lediglich eine Vermutung. Die Runde Form des Spiegels mach kompositorisch auf jeden Fall einen Sinn. Man denke sich einen rechteckigen…
Auf jeden Fall ist dieses Meisterwerk ein illusionistisches Meisterstück der Perspektive. Denn Van Eyck nutzt den Spiegel, um das Raumgefühl der Szene zu erweitern. Während das Paar aus der gewohnten Frontalansicht dargestellt wird, zeigt die Spiegelung eine zusätzliche Dimension. Dies macht das Gemälde zu einem frühen Beispiel illusionistischer Malerei, die den Betrachter aktiv in die Komposition einbezieht.
Der Spiegel ist nicht nur ein Instrument der Selbsterkenntnis, sondern auch ein Symbol der Wahrheit, der Illusion und der Vergänglichkeit. Seit Jahrhunderten dient er Künstlern als Motiv, um philosophische, religiöse und gesellschaftliche Fragen zu verhandeln.
Der Spiegel als Symbol der Selbsterkenntnis und Eitelkeit
Seit der Antike gilt der Spiegel als Abbild der Seele. In der griechischen Mythologie verfiel Narziss seinem eigenen Spiegelbild, gefangen in der Illusion seiner eigenen Schönheit. Diese Deutung findet sich in der Kunst immer wieder, insbesondere in Darstellungen der Vanitas, die den Spiegel als Mahnung an die Vergänglichkeit des Seins nutzen.
Gleichzeitig ist der Spiegel auch ein Sinnbild der Eitelkeit. In zahlreichen Darstellungen zeigt sich die weibliche Figur beim Blick in den Spiegel – oft als Sinnbild für Hochmut und Selbstverliebtheit. Jan van Eycks „Arnolfini-Hochzeit“ nutzt den Spiegel hingegen auf subtile Weise: In seinem Zentrum reflektiert sich die gesamte Szene, wodurch die Realität erweitert und eine neue, fast metaphysische Dimension geschaffen wird.
Giovanni Bellinis „Junge Frau mit einem Spiegel“ zeigt eine nachdenkliche, ernst blickende Frau, die sich in einem kleinen Handspiegel betrachtet.
Der Spiegel fungiert hier nicht nur als Reflexionsfläche, sondern als Symbol der Selbstprüfung und Innerlichkeit. Während der Betrachter ihr direkt ins Gesicht blickt, bleibt ihr eigener Blick auf ihr Spiegelbild gerichtet – ein Moment der Selbstversenkung, der den Betrachter ausschließt. Diese Komposition schafft eine Distanz: Die junge Frau ist in ihren eigenen Gedanken gefangen, während wir als Zuschauer in eine intime, aber unerreichbare Szene eintreten. Der Spiegel verdeutlicht somit den Gegensatz zwischen äußerer Erscheinung und innerem Selbstbild.
Tizians „Venus vor dem Spiegel“ – Ein Bild der Schönheit, nicht des Sexismus
Tizian, einer der größten Maler der Renaissance, schuf mit Venus vor dem Spiegel (um 1555) ein Meisterwerk, das die idealisierte Schönheit und die Sinnlichkeit der weiblichen Figur zelebriert. Die Göttin Venus sitzt entspannt, eine spiegelnde Reflexion ihres Gesichtes offenbarend, während zwei Amor Figuren – die Götter der Liebe – den Spiegel halten. Diese Szene ist nicht einfach nur ein Aktbild, sondern eine tiefere Allegorie über Selbstbetrachtung, Liebe und die ewige Anziehungskraft der Schönheit.
Die Amoretten sind entscheidend für das Verständnis dieses Gemäldes. Denn sie halten nicht nur den Spiegel, sondern weisen damit auch darauf hin, dass Schönheit nicht nur ein äußerliches Phänomen ist, sondern mit Liebe, Verlangen und menschlicher Sehnsucht verbunden bleibt. Die Spiegelung im Bild zeigt, dass Venus – und damit die Frau an sich – nicht nur Objekt des Blicks ist, sondern sich selbst reflektiert. Das bedeutet: Sie sieht sich, sie betrachtet sich, sie erkennt ihre eigene Schönheit. Diese Selbstbetrachtung ist keineswegs narzisstisch, sondern vielmehr ein Ausdruck von Selbstbewusstsein und Wertschätzung des eigenen Körpers.
Warum ist dieses Gemälde nicht sexistisch?
Es gibt heute oft vorschnelle Urteile über historische Aktmalerei, doch die Venus vor dem Spiegel ist weit entfernt von sexistischer Abbildung oder reiner männlicher Begierde. Warum?
Erstens war und ist Venus keine schwache, unterwürfige Figur. Ihre Darstellung ist würdevoll, harmonisch und in sich ruhend.
Die Frau als zentrales Motiv der Kunst ist kein passives Objekt und sie wird nicht degradiert, sondern in ihrer ganzen Schönheit und Kraft dargestellt. Künstler – ob Tizian oder andere Meister – haben die weibliche Form als Quelle der Inspiration gesehen, nicht als Ware oder Besitz.
Modelle stellten sich seit jeher freiwillig für Künstler zur Verfügung. Schon in der Renaissance waren sie sich bewusst, dass ihre Abbildung in einem Kunstwerk sie auf besondere Weise über die Zeit hinaus bewahren und ihnen eine Art Unsterblichkeit verleihen kann.
Die Huldigung der Weiblichkeit und des Lebens ist ein Bestandteil des Lebens. Diktatoren und Menschenverächter männlichen und weiblichen Geschlechts könne mit der Menschenwürde, zu der gerade die sinnlichen und schönheitsliebenden Eigenschaften gesunder Menschen gehören, nichts anfangen.
Tizians „Venus vor dem Spiegel“ ist keine voyeuristische Fantasie, sondern eine Hommage an die Sinnlichkeit, an das Leben selbst. Die warme Farbgebung, die weichen Formen und das Spiel mit Licht und Schatten lassen die Venus fast lebendig erscheinen. Sie ist nicht bloß eine Frau, sondern eine Verkörperung der idealisierten Liebe und der Kraft weiblicher Schönheit.
Die Kunst der Renaissance, insbesondere die Werke Tizians, zeigen die Frau nicht als Opfer männlicher Dominanz, sondern als das zentrale Symbol für Anmut, Leidenschaft und Harmonie. Es ist kein Zufall, dass Frauen über Jahrhunderte hinweg von Künstlern dargestellt wurden – nicht als bloßes Objekt, sondern als Sinnbild für das, was das Leben lebenswert macht.
Tizian feiert in seinem Gemälde also nicht nur Venus, sondern das Weibliche an sich. Die Schönheit, die Liebe, die Leidenschaft – all das gehört zur menschlichen Existenz, und genau das wird hier künstlerisch verewigt.
Spiegel als Medium der Wahrheit und Illusion
Ein weiteres zentrales Thema ist der Spiegel als Vermittler von Wahrheit. Er wird oft mit Weisheit und Erkenntnis in Verbindung gebracht. Diese Symbolik spiegelt sich in religiösen Kontexten wider: In der christlichen Ikonografie steht er für die ungetrübte Erkenntnis Gottes, während er im Buddhismus als Symbol für die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz dient. Parmigianino dient der Spiegel in seinem „Selbstbildnis im konvexen Spiegel“, um die Grenze zwischen Illusion und Realität zu hinterfragen. Die Betrachtenden werden in das Werk einbezogen, ihre Wahrnehmung wird manipuliert. So entsteht ein Surrealismus lange vor dem Surrealismus.
Parmigianinos „Selbstporträt im konvexen Spiegel“ ist verzerrte Wirklichkeit als künstlerisches Experiment
Parmigianinos „Selbstporträt im konvexen Spiegel“ (1524) ist eines der faszinierendsten Selbstbildnisse der Kunstgeschichte. Der junge Künstler zeigt sich in der verzerrten Reflexion eines Wölbspiegels – seine Hand erscheint überdimensional groß, während sein Gesicht in den Hintergrund rückt. Dieser kühne Perspektivwechsel ist nicht nur ein technisches Meisterstück, sondern verleiht dem Bild auch eine fast surreale Anmutung.
Der Spiegel wird hier zum Medium der Selbstbefragung: Er zeigt nicht die Realität, sondern eine verzerrte, fluid wirkende Version davon. Damit spielt Parmigianino mit den Grenzen zwischen Wahrnehmung und Illusion, lange bevor der Surrealismus solche Verzerrungen bewusst nutzte. Das Werk ist nicht nur ein Selbstporträt, sondern ein Statement über die Kraft der Kunst, Wirklichkeit nicht nur abzubilden, sondern zu transformieren.
Spiegel als Werkzeug der Inszenierung
In der modernen und zeitgenössischen Kunst wird der Spiegel oft als Mittel der Reflexion und Inszenierung genutzt. Künstler wie Michelangelo Pistoletto haben mit spiegelnden Oberflächen gearbeitet, um die Betrachtenden in ihre Werke einzubeziehen. Obwohl der Spiegel aus der bildhaften Kunst in Beziehung zum Menschen, zumal dem unbekleideten, gänzlich verloren zu sein scheint, so gibt es in der deutschen inszenierten Fotografie einen Sonderfall. Horst Kistner setzt den Spiegel in vielen seiner Kompositionen kongenial ein und erzeugt damit verschiedenste Wirkungen.
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Peter Paul Rubens „Venus vor dem Spiegel“ – Schönheit, Blickkontakt und die Reflexion des Begehrens
Peter Paul Rubens’ „Venus vor dem Spiegel“ ist ein eindrucksvolles Beispiel barocker Aktmalerei, das nicht nur die weibliche Schönheit feiert, sondern auch eine subtile Reflexion über den Blick und das Verhältnis zwischen Betrachtendem und Betrachteter enthält. Venus sitzt mit dem Rücken zum Betrachter, doch ihr Gesicht wird durch den Spiegel sichtbar – und genau hier liegt die eigentliche Faszination des Bildes. Ihr Blick trifft den des Betrachters, jedoch nicht mit Scham oder Strenge, sondern mit einer offenen, fragenden Haltung. Diese Begegnung durch den Spiegel erzeugt eine intime, beinahe interaktive Spannung: Venus weiß, dass sie betrachtet wird, und scheint eine Reaktion zu erwarten – doch ohne Abwehr oder Urteil.
Rubens war bekannt für seine üppigen, kraftvollen Darstellungen weiblicher Körper, die sich deutlich von der schlanken Idealfigur der Renaissance unterscheiden.
Seine Venus verkörpert das Schönheitsideal des Barock,in dem Fülle als Ausdruck von Wohlstand, Sinnlichkeit und Vitalität galt. Dieses Ideal steht im Kontrast zu späteren Epochen, in denen weibliche Schönheit immer wieder neu definiert wurde – von der androgynen Eleganz des Art déco bis zur modernen Bildsprache der Modefotografie. Doch unabhängig von diesen Wandlungen bleibt „Venus vor dem Spiegel“ ein Werk, das nicht nur die Schönheit der Frau feiert, sondern auch eine intelligente Auseinandersetzung mit dem Thema des Sehens und Gesehenwerdens darstellt.

Das Gemälde von Diego Velázquez „Venus vor dem Spiegel“ zeigt die selbstbewusste Schönheit der Nacktheit.
Velázquez’ „Venus vor dem Spiegel“ (ca. 1647–1651) ist eines der wenigen und bekannten Aktgemälde des spanischen Barockmalers und beeindruckt durch die natürliche Selbstverständlichkeit, mit der sich die nackte Venus zeigt. Sie liegt entspannt mit dem Rücken zum Betrachter, ihr Körper geschmeidig und weich modelliert. Ihr Blick, reflektiert im Spiegel, ist ruhig und unaufgeregt – weder kokett noch überrascht. Diese Darstellung vermittelt ein Gefühl von Intimität und zeitloser Schönheit, frei von Scham oder moralischer Aufladung.
Der Spiegel spielt dabei eine besondere Rolle: Er erlaubt Venus, sich selbst zu sehen, aber auch dem Betrachter, mit ihr in eine subtile visuelle Beziehung zu treten. Doch anders als bei Tizian oder Rubens bleibt ihr Gesicht im Spiegel leicht verschwommen – eine bewusste künstlerische Entscheidung, die die Illusion von Realität hinterfragt und den Moment der Betrachtung in den Mittelpunkt rückt.
Über die Identität der Modelle von Velázquez gibt es viele Spekulationen.
Da er am spanischen Hof tätig war, könnten seine Modelle aus dem höfischen Umfeld oder dem Kreis der Kurtisanen stammen. Es wird vermutet, dass die Venus in diesem Gemälde von einer italienischen oder spanischen Adligen inspiriert wurde, doch eindeutige Belege gibt es nicht. Sicher ist jedoch, dass Velázquez mit diesem Werk nicht nur die weibliche Schönheit würdigte, sondern auch eine raffinierte Reflexion über Wahrnehmung, Kunst und Realität schuf.
Der Spiegel ist eines der vielschichtigsten Symbole der Kunstgeschichte und ist als Thema in der bildenden Kunst verloren.
Er reflektierte nicht nur das Bild des Betrachtenden, sondern auch tiefere gesellschaftliche und philosophische Fragen. Von der Antike bis in die frühe Moderne war er immer wieder ein Thema. Es ist noch zu ergründen, wieso dieses Motiv – wie auch das der drei Grazien – aus der Kunst verschwunden ist. Dazu weiteres in meinem Text der Tod der drei Grazien.
Liegt es an dem Verlust der Fähigkeit zur Selbstreflexion. An einer irrealen Leib-Feindlichkeit? Haben wir den Bezug zu unserem Körper verloren und enden in einer Verlotterung des ICH.
Karl Lagerfeld sagte „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Ich behaupte: Die Kunst hat nicht nur den Menschen, sondern auch ihren Inhalt verloren.
Eckersbergs „Frau vor dem Spiegel“ ist ein Beispiel für klassizistische Klarheit und stille Selbstbetrachtung.
Christoffer Wilhelm Eckersbergs „Frau vor dem Spiegel“ (1841) ist ein herausragendes Beispiel klassizistischer Aktmalerei, die durch klare Linien, ausgewogene Komposition und eine fast meditative Ruhe besticht. Der dänische Maler, bekannt als einer der bedeutendsten Vertreter des Goldenen Zeitalters der dänischen Kunst, vereint in diesem Werk die akademische Strenge mit einer intimen, fast besinnlichen Atmosphäre.
Die Szene zeigt eine Frau, die mit dem Rücken zum Betrachter steht, während sie ihr Spiegelbild betrachtet. Ihr Körper ist mit einer perfekten Klarheit und Natürlichkeit wiedergegeben, ohne Übertreibung oder übermäßige Idealisierung. Die kühlen, sanften Lichtverhältnisse und die reduzierte Farbpalette verstärken die Ruhe und Ausgewogenheit des Bildes.
Der Spiegel in der bildenden Kunst fungiert hier nicht nur als Reflexionsfläche, sondern auch als wesentliches Kompositionselement.
Er erweitert den Raum, gibt dem Betrachter eine zusätzliche Perspektive und betont die stille Selbstbetrachtung der Frau. Anders als in barocken Darstellungen wie bei Rubens oder Velázquez, wo der Spiegel oft ein Dialog zwischen Figur und Betrachter schafft, bleibt die Frau bei Eckersberg ganz in sich versunken. Ihr Blick trifft nicht den des Betrachters, sondern bleibt bei sich selbst – ein Moment der Introspektion und Selbstwahrnehmung.
Stilistisch ist das Gemälde der klassizistischen Tradition verpflichtet, doch seine intime, fast moderne Schlichtheit weist bereits auf die kommende realistische Malerei und die spätere Neue Sachlichkeit hin. „Frau vor dem Spiegel“ ist damit nicht nur eine Studie der menschlichen Figur, sondern auch ein Sinnbild für die kontemplative, unaufgeregte Schönheit, die Eckersbergs Werke auszeichnet.
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Wilhelm Gallhof: „Vor dem Spiegel“
Ein Spiegel ist mehr als nur eine glatte Fläche, die das Licht reflektiert. Er ist ein Tor zur Selbsterkenntnis, ein Werkzeug der Eitelkeit, aber auch der Selbstbestätigung. Die Frau schaut uns selbstbewusst und direkt an. Sie ist im doppelten Sinne physisch präsent. Einmal als Person, die im Halbprofil gemalt und einmal als Reflexion im Glas des Spiegels.
Direkter Blick oder wer betrachtet wen?
Dieser doppelte Blick – einer in den Spiegel, einer aus ihm heraus – erzeugt eine faszinierende Dynamik. Betrachtet sie sich selbst mit denselben Augen, mit denen sie uns anschaut? Ist es ein prüfender Blick oder einer, der Bestätigung sucht? Gallhof schafft ein Spannungsverhältnis zwischen Intimität und Distanz, zwischen Selbstreflexion und der Wahrnehmung durch andere.
Warum betrachten sich Frauen gern im Spiegel?
Der Blick in den Spiegel hat viele Funktionen. Kontrolle, Neugier, Selbstbewusstsein – oder manchmal einfach nur Routine. Frauen haben sich schon immer mit ihrem Spiegelbild auseinandergesetzt, sei es zur Selbstinspektion oder zur Selbstinszenierung.
Der Spiegel erlaubt es, das eigene Bild bewusst wahrzunehmen, sich aus einer anderen Perspektive zu sehen. Dabei geht es nicht nur um Äußerlichkeiten. Ein Spiegel kann ein Fenster zur eigenen Identität sein – ein Moment der Reflexion, nicht nur im physischen, sondern auch im übertragenen Sinne.
Spiegel und Selbstbewusstsein und der Spiegel in der bildenden Kunst
Während die Kunstgeschichte – auch zu Unrecht – den Spiegel oft mit Narzissmus oder Eitelkeit verbindet, zeigt Gallhof etwas anderes: eine Frau, die sich nicht nur anschaut, sondern sich selbst und damit uns begegnet. Ihr Blick ist direkt- selbstbewusst und auch ein wenig spöttisch. Es ist kein zufälliges, gedankenloses In-den-Spiegel-Schauen. Vielmehr ist es ein Dialog mit sich selbst – und mit uns.
Lotte Laserstein: Vor dem Spiegel
Lotte Laserstein ist eine der faszinierendsten Malerinnen der Weimarer Republik und hatte ein außergewöhnliches Talent dafür, Menschen in stillen, nachdenklichen Momenten zu erfassen.
Die Irritation der KunsttheoretikerInnen – und deswegen dürfte ihre Wiederentdeckung auch erst so spät erfolgt sein – hat wahrscheinlich den Grund, dass ihre Malerei nicht in das abgrenzende Muster passt. Das Diktum – weibliche Malerei sei eine andere.
Das emanzipatorische der Malerei Lotte Lasersteins ist in der Selbstverständlichkeit ihrer Arbeit zu finden wie auch bei ihrer Renaissancekollegin Artemisia Gentileschi.
Lotte Lasersteins Bild „Vor dem Spiegel (1930/31)“ zeigt im Vordergrund ihr nacktes Modell Rose vor einem Spiegel Lotte steht im Hintergrund und in ihre Arbeit an der Staffelei vertieft. Sie greift ein beliebtes Motiv der „Spiegelmalerei auf und zeigt den Körper ihres Modells gleichzeitig von vorne und hinten. Natürlich hatte auch ihr Modell kein Problem mit ihrer Rolle, denn die meisten Modellen sind selbstbestimmt und selbstbewusst.
Aus meiner langen Praxis kann ich berichten, dass es kein Modell gibt welches diese Tätigkeit widerwillig aufführt, da es unabdingbar ist beim Modellstehen locker zu sein. Selbst wenn sich eine Frau im Atelier unangenehm fühlte, würde sie als Modell – das kling hart – nicht zu gebrauchen sein.
Laserstein berichtet in ihren Briefen die Bilder mit diesem Modell es seinen „unsere Bilder“, auf denen Traute (ihr Modell) und sie zu sehen sind, auch als „unsere Bilder“. Denn jedes Modell prägt auch das Bild, auf welchem es zu sehen ist. Auch sagt die Malerin das „das Malen selbst ein erotischer Akt“ sei. Man stelle sich vor, dies äußerte – in diesen prüden und kriegerischen Tagen – ein malender Kollege. Seine Bilder würden sofort von Aktivistinnen zensiert und die Kuratoren hätten keine Lust sich auf Diskussionen einzulassen, oder von vorgesetzten Kulturbeamtinnen gemoppt zu werden – also gibt es heute (2025) keine Ausstellungen mit männlicher Aktmalerei. (Sollte ich mich geirrt haben, bitte ich um einen Kommentar.)
Der Spiegel in der bildenden Kunstund die Irrtümer der TheoretikerInnen
Zwei Zitate der Kunsthistorikerin Mag. Alexandra Matzner, B.A. Aus einem Text in ihrem Blog Artinwords zu Lotte Laserstaein
„Anstelle von Karikatur und Überzeichnung findet man in ihrem Werk einfühlsame Bildnisse selbstbewusster Frauen, anstelle von gewerbsmäßiger Erotik eine sinnliche Behandlung von Nacktheit.“
„Lotte Laserstein begab sich in die Fußstapfen ihrer männlichen Kollegen, wenn sie sich in „Vor dem Spiegel“ (1930/31) und „In meinem Atelier“ (1928) mit der nackten Rose als Modell und Muse sowie sich selbst in der Rolle der Malerin darstellte. Für eine lesbische Liebesbeziehung zwischen den beiden Frauen, worüber immer wieder spekuliert wird, gibt es keine Hinweise. Einzig die weiblich besetzte Künstlerrolle überrascht in ihrer Neuheit. Hierin mag man den Willen der Malerin erkennen, sich zum einen einem tradierten Schema zu unterwerfen (Aktmodell im Atelier) und zum anderen diese Herausforderung anzunehmen und mit einfühlsamen, sinnlichen Frauenakten zu übertreffen.“