Somy Samani: Flugunfähig – Wenn Freiheit unter dem Eisen liegt
Es ist eine stille, fast häusliche Szene: eine junge Frau im hellen Kleid, der Blick nach innen gerichtet, die Hände ruhig – und doch geschieht etwas Unerhörtes.
Auf einem weißen Tuch liegen orangefarbene Schmetterlinge in Reih und Glied. Somy Samani Flugunfähig zeigt ein altes Bügeleisen, welches die zarten Flügel der Schmetterling unerbittlich auf ein weißes Laken drückt. Aus dem Alltäglichen wird Allegorie. Aus dem Geräusch des Dampfes wird ein Satz über das, was fehlt: Freiheit.
Die Fotografie Flugunfähig stammt von der iranischen Künstlerin Somy Samani. Sie steht in ihren Arbeiten konsequent selbst vor der Kamera – nicht als narzisstische Geste, sondern als bewusste Setzung: „Im Zentrum steht eine Protagonistin – ich selbst – um die Zwänge, Vorurteile und gesellschaftlichen Drücke sichtbar zu machen, denen Frauen ausgesetzt sind“, schreibt sie in ihrem Künstlerinnen-Statement. Ihre Bildwelt lebt vom Kontrast aus Zartheit und Gewalt, Schönheit und Verletzung, Verbergen und Offenbaren.
Somy Samani Flugunfähig | Der subtile Protest der Geste
Flightless – Flugunfähig ist kein Schrei, sondern ein kontrollierter Atemzug. Samani inszeniert eine Geste, die wir aus dem Haushalt kennen, und übersetzt sie in ein politisches Bild: Bügeln ist hier nicht Glätten, sondern Stillstellen, ja das kalte Töten an sich.
Die Schmetterlinge verlieren ihre Flugfähigkeit und damit ihr Leben. Das macht diese Fotografie so eindringlich: Sie zeigt nicht Repression, sie erzeugt ihren Effekt.
Diese poetische Verschlüsselung ist typisch für Samani. Ihre Serie von inszenierten Selbstporträts verbindet formale Strenge mit einem melancholischen Grundton – ein Ton, der sich aus dem politischen Klima Irans speist, ohne sich auf Parolen zu reduzieren. Dass ihr Werk unter diesen Bedingungen in Einzelausstellungen im Ausland gezeigt wird, wurde zu Recht als kleine Sensation gewertet.
Warum gerade Schmetterlinge für diese Aussage in der Fotografie von Somy Samani Flugunfähig?
Kaum ein Motiv ist in der Kunstgeschichte so aufgeladen wie der Schmetterling. In der Antike wurde er mit der Seele in Verbindung gebracht: Das griechische Wort Psyche bedeutet zugleich „Seele“ und „Schmetterling“. Von dort rührt das Bild der Verwandlung und der inneren Reise – eine Traditionslinie, die bis zu Apuleius’ Erzählung von Amor und Psyche reicht.
In China gelten Schmetterlinge seit Langem als Zeichen von Liebe, Romantik – und Freiheit; Malerinnen und Maler setzen sie in Paaren über Blüten als Bild für ein glückliches Zusammenfinden oder als Sinnbild eines freien, leichten Lebens.
Auch die Moderne hat das Motiv immer wieder neu gefasst – zwischen Metamorphose, Zerbrechlichkeit und Hoffnung. Museen, Feuilletons und Kunsthistoriker verweisen auf diese Spannweite: vom antiken Seelenbild über christliche Erlösungsallegorien bis hin zu zeitgenössischen Positionen, die das Ephemere des Lebens betonen. Flightless greift diese Bedeutungen auf – und dreht sie um. Wo der Falter sonst Freiheit verheißt, wird er hier flugunfähig gemacht. Genau aus dieser Umkehr bezieht das Bild seine Kraft.
Hier ein weiterführender Link zu: A Brief, Fluttering History of Butterflies in Art
Bildsprache: Präzision, Ritual, Kontrolle
Formal ist Flightless streng komponiert: Warme, gedeckte Fläche im Hintergrund, vorn die weiße Tischdecke als Bühne. Die Reihen der Falter folgen einem Rhythmus, der an eine wissenschaftliche Präparation erinnert – Ordnung als Herrschaftsgeste. Das Bügeleisen, heimisches Werkzeug mit Gewicht, wirkt wie ein kleines Denkmal der Disziplinierung. Samani reduziert die Szene auf wenige Elemente; alles Überflüssige ist entfernt. Gerade diese Ökonomie der Mittel macht die Arbeit flugunfähig universell lesbar.
Samani im Kontext ihres Œuvres
Wer Samanis Werk verfolgt, erkennt Motivreihen, in denen Luft, Sichtbarkeit und Grenze immer wieder verhandelt werden: Fische in einer Plastiktüte, die Frage nach dem Atem; oder ein dominanter, weißer Halsschmuck, der „Abschirmung“ sichtbar macht. Es geht stets um das Verhältnis von Körper und Regel, von Sehnsucht und Limit.
Somy Samani Flugunfähig – Freiheit als Arbeit am Bild
Was Somy Samani mit Flugunfähig leistet, ist eine Paradoxie: Das Bild nimmt Freiheit weg, um sie denkbar zu machen. Es zeigt nicht den Flug, sondern das, was ihm vorausgeht – das Gewicht, das drückt. In einer Zeit, in der Bilder oft laut sein müssen, um gehört zu werden, ist die stille Konsequenz dieser Arbeit ihr stärkstes Argument.
Flightless ist damit auch eine Einladung an uns, den Begriff Freiheit nicht als Abstraktum zu behandeln, sondern als etwas, das am Körper beginnt: in der Luftzufuhr, in der Beweglichkeit, in der Geste. Der Falter ist hier nicht Dekor, sondern Prüfstein – und das Bügeleisen nicht Requisite, sondern Metapher für Systeme, die Flügel glätten, bis sie nicht mehr tragen.
Einen weiteren Artikel über Somy Samani finden Sie HIER.
Weitere Arbeiten von Somy Samany sehen Sie auf dem Shop des SOLL UND HABEN VERLAGES