Eine Honorarordnung für bildende Kunst gegen Verliererkunst
Der Kunstmarkt ist unerbittlich und doch verhältnismäßig leicht zu durchschauen, denn er ist lediglich ein kleiner unbedeutender Teil der kapitalistischen Marktwirtschaft und von wenigen wirklich beobachtet.
Man berichtet gern über Preisrekorde hinterfragt sie aber nicht, lebt man doch auch davon, dass der Markt aus den Fugen geraten ist. Man hängt gern an den Lippen der Protagonisten dieser Zirkusveranstaltung und schaut die Geldberge hinauf und eben nicht in die Tiefen der Realität.
Wie auch in der ordinären Wirtschaftswelt setzt sich nicht unbedingt das Beste und für das allgemeine Wohlergehen sinnvollste durch, sondern Zufälle und Netzwerke steuern die Interessen einzelner Gruppen und ganzer Branchen. Die Kapitalanreicherung bewahrt vieles vor schnellem Niedergang weil für die Investoren zu viel auf dem Spiel steht und sie zuerst ihren Anteil sichern müssen, bevor das jeweilige Projekt endgültig dem Untergang geweiht ist. Das gilt für die Atomenergie genau so wie für andere spekulativ in die Hose gegangenen Unternehmungen.
Brutal ausgedrückt setzt sich das jeweils (Finanz) stärkste Rudel durch, wobei eine Mischung aus Habgier, Egoismus und Eitelkeit die Grundvoraussetzung für den Erfolg bildet.
Die Artefakte, mit denen der Kunstmarkt umgeht, sind die eine Seite. Die andere Seite ist ganz simpel und wie in der (Real) Wirtschaft auch das Streben nach einer Monopol- oder Vorrangstellung. Dazu benötigt man ein breites Netzwerk und immensen Einfluss in der Kulturindustrie. Die dicke Berta in diesem Kampf ist die Finanzkraft der Sammler im Hintergrund.
Der erste und notwendigste Schritt ist eine „Produktbestätigung“ durch Museen und renommierte Ausstellungen wie z. B. der Dokumenta aber auch Beteiligung an diversen Biennalen. Dazu ist es zwingend notwendig nicht nur „nett“ zu sein, sondern auch die wichtigsten Protagonisten des Kunstgeschäfts auf seiner Seite zu wissen.
Charisma und ein verkäuferisches Grundtalent müssen entweder dem Künstler oder zumindest seinem Agenten, Galeristen in die Wiege gelegt sein. Haben es beide, ist ein großer Schritt getan, denn die Medien benötigen dieses Schmuckwerk als Grundlage für ihren Bildungsauftrag – Stock und Hut ist immer gut. (Markus Lüpertz, Beuys ). Wer neben den sekundären Künstlermerkmalen auch noch rhetorisch zu brillieren vermag oder durch exzellentes und selbstbewusst vorgetragenes Understatement – wie es ein Gerhard Richter versteht – Menschen betört, wird unberührbar, was Kritik anbetrifft – so es diese noch gibt, denn die lapidare Bildbeschreibung hat schon lange über die Kritik gesiegt. Es wird weder gehauen noch gestochen sondern beschrieben.
Der Kunstmarkt ist von einigen wenigen Grundverhaltensmustern geprägt. Rudelverhalten / Hackordnung auf der einen Seite um sich Reviere zu sichern. Imponiergehabe sowie Balzverhalten auf der Anderen um das besetzte Gebiet abzusichern und zu erweitern.
Andere Gesellschaftsordnungen versprachen und versprechen Gleichheit um diese jedoch sogleich wieder aufzulösen. Natürlich mit der Begründung die Gleichheit zu schützen. Die Ideologie des Sozialismus verlangt gerade vom Künstler absolutes Wohlverhalten. Durch Opportunismus und Anpassung an die gegebenen Verhältnisse können Interessengemeinschaften und Kunstrudel Macht erringen in dem sie bestimmen, welches die wahre und hehre Kunst ist und zu sein hat. Ihre Eigene.
Um sich abzusichern, bilden sie zum Beispiel eine Gutachterkommission und können mit diesem Machtinstrument missliebige oder einem anderen Rudel angehörende Künstler ausschalten.
Willi Sitte war von 1974 bis 1988 Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR. Die Präsidenten des Künstlerverbandes wurden durch die Parteiführung der SED ausgewählt. Der Freund von Gerhard Schröder – sie sprachen sich mit Genosse an und pflegten sich zu umarmen – wurde von Erich Honecker jährlich in seinem Amt bestätigt.
Zugleich war Willi Sitte Mitglied des Zentralkomitees der SED und hatte maßgeblichen Einfluss auf die Zentrale Gutachterkommission, welche über Kunst und Künstler urteilte. Die graue Eminenz war jedoch Bernhard Heisig, der es vermochte als zweiter Mann im Verband und in Kunstkommissionen seinen Einfluss geltend zu machen. Er schuf an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig ein für DDR-Verhältnisse liberales Klima und setzte sich auch für abseitige Positionen ein. Er konnte aber mit allen. In Ost und West. Seine Liberalität und die Zusammenarbeit mit dem Kunstsammler Ludwig, der auch Leihgaben nach Leipzig sendete, öffnete nicht nur für ihn den West-Kunstmarkt. Die „Dreierbande“ Heisig, Tübke und Mattheuer teilte diesen unter sich auf. Einige Vasallen – wie zum Beispiel der Genosse Arno Rink – bekamen auch einige Bröckchen ab.
Bezeichnend ist, dass Gerhard Richter auf der einen Seite drei farbige Streifen im Bundestag gestaltete und Bernhard Heisig auf der anderen ein großes Format mit dem Titel „Welttheater“ schuf. Kunst von Dissidenten sucht man im Hohen Haus des Volkes vergeblich.
Der Nimbus der Macht vernebelt den Mächtigen den Blick auf die Realität.
Gerhard Schröder benutzte Künstler wie diese ihn benutzten, um ihren Einfluss auf den Markt zu stärken. Wobei Marcus Lüpertz eindeutig der bessere Selbstdarsteller ist. Künstler können jedoch keinen größeren Schaden anrichten oder gar eine Partei zugrunde zu richten.
Als Willi Sitte in das ZK der SED gewählt wurde, welches auch den Schießbefehl an der Zonengrenze zu verantworten hatte, äußerte Honecker:
„Es muss angestrebt werden, dass Grenzdurchbrüche überhaupt nicht zugelassen werden […] überall muss ein einwandfreies Schussfeld gewährleistet werden […] nach wie vor muss bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden, und es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen.“
Der Kunstmarkt der DDR ist leicht zu durchschauen, denn er wurde von den Interessen der herrschenden Klasse bestimmt, die ihn, dem Wesen des Menschen entsprechend, zu ihrem Vorteil ausnutzen.
Typisch für staatliche Anordnungen sind die Ausnahmegenehmigungen, welche zum Rudel gehörende Künstler bevorzugen und ihnen Privilegien schaffen. Diese Ausnahmetatbestände sind mit Bedacht nebulös gestaltet um sie auch für einen nackten, sozialistisch gemalten Arsch verwenden zu können. Der duschenden sozialistischen Arbeiterin im Hallenser Saunastil zum Beispiel oder einem spätpubertären Akt von Arno Rink konnten so die Insignien des besonderen sozialistischen Kunstwerkes verliehen werden.
Neben diesem Aspekt musste man sich Optionen für den internationalen Kunsthandel zur Devisenbeschaffung offenhalten. Seit dem der Rheinische Schokoladenproduzent Ludwig erst DDR-Kunst erwarb und dann seine Schokolade in Delikat- und Intershopläden verkaufte, wurde DDR-Kunst zum Wirtschaftsfaktor. Die Umsätze des Kunsthandels der DDR im Westen waren sicher ähnlich hoch wie die mehrerer LPG-Schweinemastbetriebe, welche ihre sozialistischen Mastschweine über die Franz-Josef Strauß | Gebrüder März KG Connection aus Rosenheim verkauften.
Freilich wäre ein florierender Kunsthandel für die DDR-Bevölkerung angenehmer gewesen, da sie in diesem Fall eventuell außer Fliesen, Schweinebauch, Kammfleisch und Hausmacher-Leberwurst noch anderes in den Konsum-Fleischereien gesehen hätten.
Mit einem kleinen Abzeichen zum Erfolg zu gelangen dafür bedurfte es lediglich einen Aufnahmeantrag der SED. Dieser Schritt war eine Grunderwerbssicherung – die auch für maßlos unbegabte Menschen – welche sich an der Malerei versuchten, ein lebenslanges Auskommen sicherte. Parteilichkeit und Volksverbundenheit sind durch das richtige Parteibuch bewiesen. Ideenreichtum und künstlerische Meisterschaft dagegen subjektiv, so lange nicht abstrakt gemalt wurde. Denn dies war eher westlich dekadent, aber toleriert jedoch nicht ordentlich honoriert weil selten gekauft. Das figürliche Bild mit der richtigen oder eben falschen Aussage war natürlich viel gefährlicher als ein formales Experiment.
§ 8 zeigt auf, warum es unverständlich ist, dass der real existierende Sozialismus nicht mehr existiert. Es gab in der DDR Aufträge und Geld für das bloße Nachdenken. Auch für das Spielen mit Materialien gewährte man Zeit. Ein Paradies – und für 5 Pfennige ein Brötchen. 41 Pfennige ein Bier.
Widmete man sich einem schwierigen Thema der Gegenwart, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder bekam man ein Honorar oder man wurde Ausgebürgert. Wenn Westgeld knapp war und das Risiko des Imageschadens nicht zu hoch, inhaftiert man den Denker und er wurde vom Westen abgekauft. Auf demselben Transitweg wie die Mastschweine wanderte er in den kapitalistischen Kunstbetrieb. Also eine weitere Ebene des Kunsthandels und deren Bereicherung.
Die DDR war ein Paradies und doch wollte nur der freiwillig da bleiben welcher wenig Skrupel hatte mit einer Diktatur zusammenzuarbeiten und das waren viele.
Bedenken Sie! Für einfaches Nachdenken Monatsraten von 300 bis 1.200 M und das zwei Jahre bei einer Miete von 60 M und einer Flasche Lunikow-Wodka mit 40 VOL. % zu 7,20 M. Das lässt sich doch aushalten um Gottes Willen!
Ganz stimmt das nun auch nicht. Manche hatten familiäre Bindungen und berechtigte Zweifel, ob sie ein Leben im Westen bewältigen. Man arrangierte sich. Das ist aber ein anderes Thema.
Die Staatskünstler mit Reisepass und Westgeldkonto verloren zur Wende die in der DDR so hoch gehandelten Privilegien. Ja einige waren regelrecht sauer, dass die „Anderen“ nun auch das durften, für das sie sich haben Jahrelang in den Arsch der Oberen schrauben müssen.
Ein sehr interessantes Thema das menschliche Wesen betreffend – aber keine Kunst an sich ist die Arschkriecherei.
Was mich beim wiederholten lesen dieser Honorarordnung aber doch überrascht, in welch einer Vielzahl von Paragrafen die Privilegien einiger weniger mehrmals abgesichert werden.
Zum Beispiel ist nicht jeder berechtigt ein Künstler zu sein. Van Gogh wäre raus aus dem Spiel weil jeder, welcher als Künstler ernst oder Unernst tätig sein wollte, im Verband bildender Künstler Mitglied sein musste oder eine Anerkennung des Kulturministeriums benötigte.
Nun fragt sich der Westmensch (als auch der zu spät geborene) wie das gehen soll – es kann doch jeder, wenn er das Einkommen ordentlich versteuert oder verschleiert, tun, was er will. Geht eben nicht. In der DDR benötigte man eine Steuernummer, um freiberuflich arbeiten zu dürfen. Diese Nummer wurde von staatlichen Stellen vergeben und war wertvoller als ein 5fer im Lotto, denn diese Nummer versprach wirtschaftliche Unabhängigkeit und ein Höchstmaß an Freiheit in dieser miefigen Diktatur der Kleingärtner. Es gab eine Arbeitspflicht, die sehr schwierig zu umgehen war.
Das im Paragraf 3.
Im § 10 kommt die Anerkennung künstlerischer Leistungen, welche ein erhöhtes Honorar versprechen und die vom Ministerium für Kultur vergeben wurde, zum tragen. Antragsberechtigt ist zum Beispiel der staatliche Kunsthandel, welcher maßgeblich von Heisig und Sitte kontrolliert wurde wie natürlich auch die Jurys der wichtigen DDR-Ausstellungen.
Schon im Paragraf 12 wird weitere Privilegierung betrieben. Noch eine weitrere Gutachterkommission soll den Weg zu höheren Honoraren sichern.
Aber kommen wir zu den Preisen für Kunst in Maß und Mark und was einem im Sozialismus glücklich machte. Also doch keine Verliererkunst ?
Obwohl Geld eher sekundär für ein Überleben im Sozialismus war, wurden die Künstler reich bedacht. Man bekam, so man sich bemühte und nicht in Ungnade gefallen war, regelmäßig Aufträge der öffentlichen Hand. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von ca. 900 M in den 70er Jahren ist die Honorarordnung großzügig. Heute beträgt das Durchschnittseinkommen rund 3000 €.
Leicht zu rechnen und zu vergleichen ist das natürlich nicht. Nehmen wir mit Preissteigerung einfach einen Faktor 3. So betrüge der Preis eines Bildes im Format 100 x 100 cm 6 – 12 T€.
Anders Gerechnet an einer Ateliermiete ist ein Bild der benannten Größe eine Jahresmiete oder 16.346 Gläser Bier in eine Konsum-Gaststätte.
Die Anregung über die DDR-Honorarordnung für bildende Kunst nachzudenken und den Text Eine Honorarordnung für bildende Kunst gegen Verliererkunst … zu schreiben verdanke ich dem ausgesprochen lesenswerten Buch von:
Wolfgang Ullrich | SIEGERKUNST herausgekommen im Wagenbach – Verlag 2016
Die Spekulationen und der Kampf um das schnelle Vermögen fangen spätestens mit der Erfindung der Münzen an.
Die Blumigste unter den Spekulationen ist die mit den Tulpen. Hier ein Kapitel aus meinem Roman „Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen!“ welches diese Tulpenspekulation benutzt um die Letzte Finanzkriese zu umschreiben.
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Kapitel
Präsentation
Edgar duschte und saß dann fröstelnd am Laptop. Die Kurse fielen nach einer kleinen technischen Erholung wieder, und das noch stärker als im vorangegangenen Zyklus. Im Ankleidezimmer zog er sich ein schwarzes Hemd an, das schwarze seidene Jackett von Florian Obst mit dem burgunderroten, kleinteilig gemusterten Futter und die schwarzen Jeans von Lagerfeld. Brauchte einige Zeit, ehe er mit zittrigen Händen die mit Rubinen besetzten Manschettenknöpfe verschlossen hatte, fuhr in die Bank und ging zum Mor-ningmeetig, das heute die Präsentation zur Analyse der Dubliner MBS für das Finanzministerium vorbereiten sollte. Ein Balkendiagramm war an die Wand gebeamt und die Verdunklung herabgelassen. Bis Freitag mußte dem neu eingesetzten Vorstand die abschließende Präsentation für das Finanzministerium zur Genehmigung vorliegen.
Die Vorstände hatten ihn vor einigen Tagen zu sich zitiert und gefordert, die Bilanz zu frisieren – offensichtlich wertlose Hypotheken höher zu bewerten und einen Teil in verdeckte Zweckgesellschaften umzubuchen. Als Edgar Be-denken äußerte, sagte der neue Vorstandssprecher zu ihm: »Der Sachverhalt ist viel komplexer als Sie denken, und jedem von uns ist klar, daß wieder bessere Zeiten kommen werden. Die unglaublich starken Ergebnisse, welche wir gestern und vorgestern erreicht haben, werden wir auch morgen und übermorgen wieder erzielen können, so wir nur alle an einem Strang ziehen. Auf schwerer See kommen die Anweisungen von der Brücke, und alle Mann an Bord haben sich gefälligst danach zu richten. Also, gefährden Sie mit Ihren kleinlichen, total unprofessionellen, um nicht zu sagen unqualifizierten Einwendungen nicht die Grundlage unseres künftigen Erfolgs. Wenn Sie darauf bestehen, die buchhalterischen Möglichkeiten nicht voll auszuschöpfen, fügt das unserem Haus mit Sicherheit schweren Schaden zu. Sind Sie sich dessen bewußt? Alle Konsequenzen, die aus einem Zuwiderhandeln resultieren, tragen Sie letztendlich allein, Herr Wünschel! Ihre Argumentation ist nicht nur falsch, sondern auch absolut unangemessen und total unsachlich.«
Unsachlich! Dieses Wort, auf das Edgar stark phobisch reagiert, brachte ihn dazu, das zu tun, von dem er meinte, daß es getan werden mußte. Die innere Kündigung war abgegeben und der Schalk saß ihm im Nacken. Er wußte zwar nicht, wohin das führen würde, wußte aber, daß das Finale für ihn begonnen hatte. Edgar fand keinen Anfang, wußte nicht recht, was er sagen sollte, ließ die Verdunklung hochziehen und verließ den Meetingraum, um auf der Toilette eine Ritalin zu schlucken. Kam zurück und stellte sich an die Stirnseite des Konferenztisches, nahm einen Schluck Volvic.
»Also«, fing er zögernd an. »Hier die Präsentation, eine Präsentation von nichts. Eine Präsentation eines Desasters! Bis zum heutigen Tag haben wir nur blödsinnige Präsenta-tionen produziert, um Kunden von Produkten zu überzeugen, an die wir selbst nicht glaubten. Wir wußten ganz genau, daß wir denen Trash andrehen. Präsentationen sind in der Regel Darstellungen von Vorstellungen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen, aber versuchen, eine vorzuspiegeln, und dies meist zu dem Zweck, Dinge zu verkaufen, oder auch, um sich marktgerecht zu drapieren. An das, was man da anderen vorgaukelt, glaubt meist kein vernünftiger Mensch. Im besten Falle glaubt man seinem Vortrag zur Hälfte, die andere ist aber immer eine Vorspiegelung falscher Tatsachen.« Jetzt war er fast drin. Es lief, und er konnte sich endlich vorstellen, wie es am Ende ausgehen würde.
»Sie werden aufgehübscht und fein hergerichtet, diese verdammten Präsentationen. Präsentationen sind die verlogenste Form eines Versprechens. Der Stöckelschuh des Marke-tings. Sie erheben etwas, das niedrig ist, verändern dessen Aussehen nicht nur von unten her, sondern in der gesamten Struktur, Waden und Beine straffen sich und sogar ein hängender, verdammt faltiger alter Arsch wird ansehnlicher. Ansehnlicher, als er ohne diese stützenden Hilfsmittel wäre. Falscher noch als die Versprechung von ewiger Treue vor dem heiligen Altare sind solche stumpfsinnigen Vorspiegelungen erlogener, vermeintlicher Tatsachen.
Für solcherlei Betrug gibt es auf der ganzen Welt keinen Beichtstuhl und keine Buße. Weihrauch jedoch ist immer im Spiel, dieser soll desinfizieren, vernebeln und zugleich die Sinne betören, sprich, sie ausschalten. Durch ihren Anspruch, auf mathematischer Wahrheit zu beruhen – immerhin einer exakten Wissenschaft – und dem Regelformelwerk zu gehorchen, täuschen sie absolute Genauigkeit vor. Da jedoch derjenige, der eine Präsentation erstellt, dies gewöhnlich wiederum auf Grundlage einer vorangegangenen Präsentation tut, die natürlich behauptete, reale und richtige Kennziffern zu verwenden, hilft die größte Sorgfalt nichts, da sich der grundsätzliche Fehler nur verstärkt fortsetzt, sich also die Lüge unablässig aufbläht. Jedoch von Mal zu Mal hübscher zurechtgemacht. Die redundante Vermehrung der Vorspiegelung von falscher Realität endet unweigerlich im Nichts. Es bilden sich unbeherrschbare Redundanzen, und diese löschen letztendlich alles aus.
Nun haben wir eine Präsentation über die Falschheit der Präsentationen vorzulegen. Nicht mehr und nicht weniger fordere ich von Ihnen, auch wenn sie Ihrem eingerosteten Denken nun endlich eine neue Richtung geben müssen. Ich würde vorschlagen, wir fangen bei der Lüge an, nein, bei der Geschichte der Spekulation, also bei einer Blume! Das ist besser.«
Sein Team glotzte ihn an wie eine Herde Schafe, einige räusperten sich, andere kicherten. Edgar nahm den Zettel vom Tisch, auf dem er sich gestern einige Stichpunkte notiert hatte.
»Herr Busbeck sah im türkischen Adrianopel eine hübsche Blume, die er bis dahin noch nicht gesehen hatte, und nahm sie mit nach Hause, was nicht nur sein Empfinden der Schönheit, sondern auch seinem stark ausgeprägten botanischen Interesse entsprach. Exotisch war die Pflanze, und sie kam nicht nur deshalb gut an. Es war die Tulpe. Und die fanden die Holländer besonders schön, was bekanntlich bis heute anhält. Sie schmückten ihre Vorgärten mit den Pflanzen aus fremden Gefilden, und alle Bürger erfreuten sich alsbald an der allerliebsten Zartheit dieses verletzlichen Blütenwerks. Da sich jedoch recht schnell mehr und mehr Gartenliebhaber für diese schlichte Zwiebel erwärmten, stiegen – wer sollte es verdenken, so ist das nun einmal am Markt – die Preise für Tulpenzwiebeln. Im benachbarten Deutschen Reich, also auch hier, wo wir sitzen, tobte derweil der Dreißigjährige Krieg. Die Reformation war schon vor hundert Jahren in Gang gekommen, als in Wittenberg ein Mann einen Zettel an eine bis dahin ziemlich unbekannte Kirchentür geheftet hatte. Irgendwelche mutigen Thesen standen auf dem Wisch, die Aufruhr auslösten, und eine neue Zeit einleiten sollten. Bauern wurden zu Kriegern, und Galileo Galilei schwor ab, daß die Erde eine Kugel sei, da er um sein körperliches Wohl besorgt war, und weder gerädert noch gevierteilt werden wollte. Das kann jeder nachvollziehen. Über die Bedeutung von Religion für Kriege möchte ich hier nun nicht referieren, das würde wirklich zu weit führen und dient auch nicht unserer Sache. Obwohl der Pietismus …?
Nun ja, derweil, als die Bauern hier Krieg führten, malten im noch wohlhabenden Holland Maler Bilder, für die heute viele Millionen hingeblättert werden müssen, so man eines erwerben will. Rubens und Rembrandt hießen die begehrtesten von ihnen. Da wissen wir nun, was von der Zeit übrig bleibt. Lediglich das Bild.«
Frau Schmieder machte einen mißmutigen Eindruck und kritzelte auf ihren Notizblock kleine Männlein, die fein säuberlich gezeichnete Stricke um ihre Hälse trugen. Der eine oder andere war an einem Galgen festgeschnürt und zierlich aufgeknüpft.
»Daß die Maler so malen konnten, lag an dem immensen Reichtum, welchen die Bürger durch Handel und Speku-lation angehäuft hatten. Das ist auch gut so!« John rief ungeduldig dazwischen. »Komm endlich zur Sache, Edgar.«
»John ich bin ganz bei der Sache und auch bei dir und bei mir … Immer mehr sollten es sein, immer mehr von den Tulpen. Und wer den größten hatte, John, den größten Tulpengarten, bekam nicht nur die attraktivste Frau, nein, er war auch angesehen, und so kam die Spirale der Preistreiberei in Gang. Jedoch, die Preise waren noch bis ins Jahr 1634 hinein erschwinglich, dann begann eine große
Spekulationswelle, und es dauerte nicht mehr lange, bis Goldwaagen und reines Gold zu Hilfe genommen werden mußten, um den Zwiebeln einen Wert zuzuschreiben. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch schon seit eineinhalb Jahrhunderten eine Börse in Amsterdam, und seit einigen Jahrzehnten gab es auch Aktien, die genau so funktionierten, wie die, mit denen wir heute arbeiten. Also wurde die Technik der Spekulation geschwind auf die Zwiebel übertragen. Sozusagen das Zertifikat dieser glorreichen Zeit.
Ein eigentliches Nichts wird gefüllt mit vermeintlichem Wert, bleibt aber trotzdem eine armselige, beliebig duplizierbare, billige Zwiebel. Angebot und Nachfrage bestimmten natürlich damals schon den Markt. Und wie es so ist, siehe die High-Tec-Manie um das Jahr 2000 herum, griff das Spekulationsfieber auf Handwerker, Schiffer, Bauern, Torfträger, Knechte und Mägde …«
»Herr Wünschel, ich finde es nicht angebracht und schon gar nicht in irgendeiner Weise zielführend, daß Sie uns hier pseudogeschichtliche Vorträge halten. Dafür ist doch die Zeit zu schade. Kommen Sie …«
Edgar unterbrach Margarete emotionslos.
»Ach, Frau Schmieder. Denken Sie? Ich glaube, daß es an der Zeit ist nachzudenken! Wir haben eine Präsentation zu erstellen, die sich mit dem beschäftigt, was ich versuche, Ihnen hier mit meinem kleinen Vortrag klarzumachen, oder lediglich in Erinnerung zu rufen. Also, ich mache es kurz, um ihre Geduld nicht noch weiter zu strapazieren. Es fanden sich Advokaten! Frau Schmieder, sie haben doch Jura studiert, oder gehe ich fehl in dieser Annahme?«
Einige aus Edgars Team lachten hämisch und Margarete wurde rot, blickte Edgar an, als würde sie augenblicklich aufspringen wollen, um ihm an den Hals zu gehen. »Ja, also es fanden sich Advokaten, die Regeln und Gesetze für die Tulpenspekulation konstruierten und auch gleich nach Lust und Laune auslegten. Letztendlich bekam man …«
Edgar blätterte in seinen Papieren. »Hier! Bekam man für eine natürlich hochwertige und absolut frische Zwiebel, zwei Wagenladungen Weizen, vier Wagenladungen Heu, vier Mastochsen, vier Mastschweine, ein Dutzend schlachtreife Schafe, vier Fässer Bier, zwei Fässer Butter, 1000 Pfund Käse, ein Bett, einen Anzug und einen Silberbecher. So ist es jedenfalls überliefert. Um es nun kurz zu machen …«
Er blickte in die Runde. Alle waren aufmerksam, einige nachdenklich, nur Frau Schmieder kritzelte die nächste Seite voll, die erste lag zerknüllt am Boden. Als Edgar zu ihr schaute, stieß sie das Papierknäuel mit der Spitze ihrer Stiefeletten in seine Richtung.
»… Natürlich wurde eines Tages der eine oder andere Marktteilnehmer und stolze Blumenzwiebelbesitzer mißtrauisch, roch den Braten früher als die anderen, wollte verkaufen und bekam anstatt 1.500 Gulden, die er erwartet hatte, nur 1.250. Dieser Preisverfall wurde natürlich bekannt, und schon brach der Damm. Die Kurse stürzten ab wie heute bei uns. Wer jedoch …«
Edgar vermied, John anzusehen. »Wer jedoch auf Kredit spekuliert hatte, oder – siehe Bank – zu wenig Eigenkapital in der Rückhand hielt, für den sah es böse aus und er war raz, faz ruiniert. Die Tulpenzwiebeln waren nichts mehr wert, nur die Schönheit der duftenden Blüten blieb, was wir von unseren Hypothekenbündeln leider nicht behaupten können, denn wenn man versucht, tote Papiere einzupflanzen, wird wohl oder übel nichts anderes als Humus daraus entstehen. Dreck. Einfacher stinkender Dreck. Also! Unsere Präsentation hat die Entwicklung der Immobilienmärkte in den USA seit 1970 darzustellen. Da Immobilien vorwiegend dinglich sind und gelegentlich auch hoch aufragen, denke ich, daß Balkendiagramme zu deren Darstellung angebracht sind. Die Entwicklung der Derivate würde ich anhand eines luftigen Liniencharts darstellen, der diesem Zeug am ehesten entspricht. Und den Verschuldungsgrad natürlich in einem fetten, schwer darniederliegenden Tortendiagramm. Es wird absolut nichts beschönigt! Wir haben nichts mehr zu verkaufen, meine Damen und Herren! Und die Zukunft lassen wir außen vor, jetzt ist es unser Job, die Vergangenheit zu analysieren und das, was davon übrig blieb.
Frau Schmieder, Sie fassen mit zwei Kollegen die Wert-haltigkeit der Immobilien zusammen, ist das recht? John, Du mit Deinem Team den Verschuldungsgrad, und Herr Kugler mit seinem die Derivate. Stellt eure Mannschaften zusammen, morgen will ich die ersten Zwischenergebnisse sehen. Ich will von euch die schönste, bunteste und mit allen nur möglichen Raffinessen versehene Powerpointpräsentation haben. Den Vorständen sollen ihre hohlen Augen rausfallen!«
Auszug aus dem Roman „Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen!“